Samstag, 04. Mai 2024

Archiv


Da waren es nur noch sechs

Tierschutz.- Zur Tierwelt auf den Seychellen gehören unter anderem Riesenlandschildkröten. Der größte Feind der Panzertiere ist das gefräßigste Raubtier überhaupt: der Mensch. Früher haben Seefahrer beinahe alle der vielen tausend Schildkröten gegessen.

Von Brigitte Osterath | 31.08.2010
    Nur wenige Meter vom weißen Sandstrand entfernt, auf der drittgrößten Seychelleninsel Silhouette, rekeln sich sechs über ein Meter große Schildkröten in ihrem Gehege, alle viere von sich gestreckt. Neben dem kleinen Besucherzentrum der Aufzuchtstation steht ein niedriger, vollständig mit Gittern und Draht abgesicherter Käfig. Dort leben die Riesenschildkrötenbabys. Sie sind jetzt acht Monate alt und etwa zwölf Zentimeter groß. Der englische Biologe Justin Gerlach leitet die Aufzuchtstation:

    "Wir halten die Kleinen in gut verschlossenen Gehegen, damit Diebe keine Chance haben, sie zu stehlen. Das ist auf anderen Inseln passiert: Schildkröten sind einfach verschwunden."

    Verschwunden sind die Schildkröten auf den meisten Seychelleninseln tatsächlich – allerdings in der Regel nicht wegen souvenirbegieriger Touristen. Die Seychellen waren einst dicht besiedelt mit Riesenlandschildkröten – bis im 17. Jahrhundert die hungrigen Seefahrer auf die Tiere aufmerksam wurden.

    "Tausende Schildkröten hat man jedes Jahr von den Seychellen nach Mauritius exportiert und dort an Schiffsbesatzungen verkauft. Für die Seeleute war die Schildkröte ein großes Stück Fleisch. Die Tiere bewegen sich nicht sehr schnell und selbst, wenn man sie drei oder vier Monate nicht mit Futter und Wasser versorgt, überleben sie."

    Bald waren fast alle Riesenschildkröten von den Seychellen verschwunden. Nur auf dem Inselatoll Aldabra überlebten einige. Von der Aldabra-Riesenschildkröte gibt es inzwischen wieder circa 100.000. Um diese Art machen sich die Naturschützer weniger Gedanken. Die beiden Schildkrötenarten, die auf den anderen Seychelleninseln lebten, galten hingegen lange Zeit als ausgestorben.

    "Vor 14 Jahren sind wir zufällig auf einige dieser alten Seychellen-Riesenschildkröten gestoßen. Wir haben erkannt, dass sie anders waren, und entschieden, dass wir etwas für ihre Erhaltung tun mussten. Also haben wir sie hierher nach Silhouette gebracht, alle, die wir finden konnten, und das waren sechs von einer Art und sechs von einer anderen Art."

    Die eine Art ist die Seychellen-Riesenschildkröte, die andere heißt Arnold-Riesenschildkröte. Sie unterscheiden sich in der Form ihres Panzers: bei Aldabra-Schildkröten ist der Panzer eher rund und glatt, bei den Seychellen-Riesen hat er viele Ausbuchtungen, und bei der Arnold-Schildkröte ist er lang und flach. Riesenschildkröten zu züchten ist nicht so einfach, wie man denken mag, mussten Justin und seine Mitstreiter zu Beginn feststellen:

    "Wir hatten 250 Schildkröteneier, aber nichts ist geschlüpft! Und wir kennen jemanden, der Aldabra-Schildkröten auf Mauritius züchtet, und er sagte: Ich hatte genau dasselbe Problem - bis ich zwölf erwachsene Tiere zusammenhatte, dann war alles gut. Also dachten wir, okay, wir haben sechs von der einen Art und sechs von der anderen, lass sie uns zusammensetzen. Die beiden Arten haben sich nicht miteinander gekreuzt, denn die Weibchen sind sehr pingelig, welches Männchen sie als Partner akzeptieren. Aber sobald wir sie zusammengesetzt hatten, sind aus dem allernächsten Gelege Schildkrötenbabys geschlüpft."

    Das allererste Baby, Gerry, ist jetzt acht Jahre alt und etwa einen halben Meter groß. Die Arnold-Schildkröten haben inzwischen 140 Nachkommen gezeugt. Sie kommen nun auch ohne menschliche Hilfe klar, fanden die Naturschützer und haben die erwachsenen Tiere auf einem abgelegenen Teil der fast unbewohnten Insel Silhouette ausgesetzt. Die Seychellen-Riesen vermehren sich hingegen sehr langsam:

    "Das eine Weibchen ist wahrscheinlich zu alt zum Brüten. Jedes Jahr gräbt sie ein Nest, manchmal legt sie Eier, aber sie sind jedes Mal deformiert. Also sind wir auf ein einziges Weibchen angewiesen. Sie hat mit 16 Jahren angefangen Junge zu haben, mit einem 150 Jahre alten Männchen. Schildkröten macht der Altersunterschied offensichtlich nichts aus!"

    Der 150-Jährige heißt Adam. Er ist das größte Männchen unter den Seychellen-Riesen und daher der einzige, der bei den wählerischen Weibchen eine Chance hat. Er ist der Vater aller Jungtiere. Wenn Adam seine Josephine besteigt, ist das nicht zu überhören.

    Das Weibchen vergräbt seine Eier anschließend im Boden. Es sind harte weiße Eier, die aussehen wie Pingpong-Bälle. Justin Gerlach und seine Kollegen sammeln sie ein und legen sie in Brutkästen. Aber es sind Adam und seine Josephine, die ihre Schildkrötenart gerettet haben.

    "Inzwischen haben wir 40 Babys dieser Schildkrötenart. Das sind noch nicht genug, um sie in die Freiheit zu entlassen, das wird noch ein paar Jahre dauern. Aber wir hoffen, dass wir beide Schildkrötenarten vor dem Aussterben bewahrt haben."