Dienstag, 19. März 2024

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Das Durchhaltedrama "Die dunkelste Stunde" im Kino
Die große Winston-Show

Die Kunst sei es, einmal mehr aufzustehen, als man umgeworfen wird. Das Motto von Winston Churchill ist auch Leitmotiv in "Die dunkelste Stunde" von Joe Wright, einem Film über die schwierigen ersten Wochen Churchills im Amt des britischen Premiers im Frühjahr 1940.

Von Jörg Albrecht | 16.01.2018
    Gary Oldman hält als Winston Churchill in "Die dunkelste Stunde" eine Zigarre in der Hand
    Kaum zu erkennen und schon Golden Globe prämiert: Gary Oldman als Winston Churchill in "Die dunkelste Stunde" (imago stock&people)
    "We shall defend our Island, whatever the cost may be."
    Winston Churchill am 4. Juni 1940 vor dem Britischen Unterhaus.
    "We shall defend our Island, whatever the cost may be."
    Dieselben Worte - jetzt vorgetragen von Gary Oldman als Winston Churchill im Film "Die dunkelste Stunde". Ob im englischen Original oder in der deutschen Synchronfassung:
    "Wir werden unsere Insel verteidigen. Egal was es kosten mag."
    Allein auf den korrekten Wortlaut der legendären Rede des britischen Premierministers wollten die Filmemacher nicht vertrauen. Große Reden im Kino werden mit Dampf vorgetragen. Dabei ist die "We Shall Fight on the Beaches"-Rede, die am Ende von "Die dunkelste Stunde" stehen wird, nicht deshalb ein Musterbeispiel politischer Rhetorik, weil Churchill seine Worte so dynamisch und feurig vortrug.
    Idealvorstellung eines Einpeitschers
    Regisseur Joe Wright kümmert das wenig. Für die Filmdramaturgie biegt er sich seinen Churchill einfach zurecht und macht aus ihm die Idealvorstellung eines Einpeitschers. In der deutschen Version bleibt nicht einmal etwas von seinem Nuscheln übrig.
    "Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsabschnitten kämpfen. Wir werden niemals kapitulieren."
    Besonders berechnend ist der Film auch in einer längeren Sequenz, in der Churchill an jenem 4. Juni 1940 auf dem Weg ins Parlament in die Londoner U-Bahn steigt, um mit seinem Volk in Kontakt zu treten. Pure Erfindung.
    Was als komisches Intermezzo beginnt, entwickelt sich schnell zu einer Szene, wie sie in jeden britischen Propagandastreifen während des Zweiten Weltkriegs Eingang hätte finden können. Da fragt Churchill die Meinung des einfachen Volks - Kind inklusive - ab und ihm schlagen Entschlossenheit und Kampfgeist entgegen, Nazi-Deutschland die Stirn zu bieten. Ein - wie gesagt komplett erfundenes - Erlebnis, das ihn in seinem Handeln bestärken wird. Denn sowohl in der Regierung als auch im Parlament erlebt der Premier Widerstand gegen seine "Sieg, Sieg, um jeden Preis"-Haltung. Aber weder Kapitulation noch Appeasement-Politik sind für Churchill eine Option.
    "Hitler wird nicht auf unerhörten Forderungen bestehen."
    "Man kann mit einem Tiger nicht vernünftig reden mit dem Kopf in seinem Maul."
    Deskriptives Durchhaltedrama
    Es sind die vier Wochen zwischen Churchills Ernennung zum Premierminister am 10. Mai 1940 und der geglückten Evakuierung der eingekesselten Truppen an den Stränden von Dünkirchen Anfang Juni, auf die sich "Die dunkelste Stunde" konzentriert. Dabei gestattet sich das rein deskriptive Durchhaltedrama ein paar launige Abstecher in das Genre des Biopics, das dem Zuschauer den Menschen Winston Churchill näherbringen soll - ähnlich wie es "The King's Speech" mit König George VI. getan hat, den Churchill wiederholt aufsuchen wird.
    "Ich vermute, wir werden uns regelmäßig treffen."
    "Einmal pro Woche fürchte ich. Was halten Sie von montags?"
    "Ich werde mich bemühen verfügbar zu sein montags."
    "Vier Uhr?"
    "Ich schlafe um vier."
    Gary Oldman, kaum zu erkennen unter der Maske, kopiert perfekt den Sprachduktus und die Bewegungen seines - ständig Zigarre rauchenden - Eigenbrötlers. Abgesehen von den fragwürdigen Umdichtungen bietet "Die dunkelste Stunde" allerdings nur konventionell erzähltes, kunsthandwerklich aufgemotztes und viel zu glattpoliertes Geschichtskino. Kein Vergleich zum komplementären Filmexperiment "Dunkirk" eines Christopher Nolan, das übrigens auch mit den Worten aus der "We Shall Fight on the Beaches"-Rede endet - diesmal aus der Zeitung vorgelesen von einem britischen Soldaten mit einer Satzmelodie, die der originalen Churchill-Rede weitaus näherkommt.
    "Wir werden an den Stränden kämpfen, wir werden an den Landungsstellen kämpfen. Wir werden uns niemals ergeben."