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Das Ende der Panamericana

Die Panamericana gilt als Traumstraße der Welt. Mindestens 25.750 Kilometer fährt man, um von Alaska bis nach Feuerland zu kommen. Durch 14 Länder führt sie, mit Nebenstrecken noch eine Handvoll mehr. Doch die Panamericana hat eine Lücke: In Panama fehlt ein winziges Stück.

Von Sven Weniger und Michael Marek |
    60 Kilometer südöstlich von Panama-Stadt: Es ist heiß und schwül. Nur die Klimaanlage des Autos bietet Abkühlung. Links und rechts ziehen Palmen vorüber. Es geht vorbei an flachen Häusern mit exotisch bunter Vegetation in den Vorgärten.

    Wir sind unterwegs auf der berühmtesten Straße der Welt, der Panamericana. Sie verbindet Nord- mit Südamerika, Alaska mit Feuerland. In Kalifornien ist die Panamericana ein zehnspuriger Highway. Hier, in Panama, endet die Traumroute an einem geheimnisvollen Ort, den wir besuchen wollen. Er liegt im abgelegensten Winkel Panamas, dessen Schönheit Rubén Blades, der große Sänger des Landes, hymnisch besingt.

    Tapón del Darién - Verschluss des Darién - heißt dieser mysteriöse Ort auf Spanisch. Er bildet das vorläufige Ende der Panamericana. Knapp 100 Kilometer Straße, die fehlen zwischen Panama und dem Nachbarland Kolumbien.

    Es ist keine alltägliche, keine einfache Reise, das merken wir bald. Militärpolizei kontrolliert an Checkpoints mehrfach die Papiere, als wir unserem Ziel näher kommen. Es sind kleine Posten: einspurige Fahrbahn, großes Stoppschild, ein Holzverschlag in Oliv, kaffeebraune Männer in Tarnuniform, die Sturmgewehre lehnen an der Wand. "Stolz an der Grenze zu leben und unser Land zu verteidigen. Für Gott und Vaterland", so steht es in großen Lettern auf einer riesigen Tafel, wie aus dem Arsenal lateinamerikanischer Politpropaganda.

    Der Uniformierte gibt die Pässe zurück. Alles in Ordnung. Es geht weiter auf dem zweispurigen Asphaltband, das den Darién durchschneidet. Manchmal schnurgerade, dann wieder in weichen Schwüngen verläuft hier die Panamericana, Weideland wohin man schaut, Hügelketten auf und ab, über rostende Eisenbrücken geht es, vorbei an kleinen Siedlungen, deren einfache Holzhütten fast verschluckt werden von der sattgrünen Natur.

    Ein Werbefilm, der die Schönheit der Landschaft und seiner Bewohner preist.

    "Panama was a bridge of life.”"

    Lider Surce, Direktor des Museums für Artenvielfalt in Panama-Stadt:

    ""Panama war eine Brücke des Lebens. Hier entstand die Verbindung zwischen Nord- und Südamerika. Für 60 Millionen Jahre waren die beiden Kontinente getrennt. Aber mit der Entstehung Panamas aus einigen kleinen Inseln zu einer einzigen Landmasse begann das, was Biologen den großen amerikanischen Faunenaustausch bezeichnen. Zahlreiche Tierarten verbreiteten sich über die Landbrücke von Nord nach Süd, aber auch umgekehrt. Und das alles geschah hier in Panama – mit dem Ergebnis, das unser Land am Isthmus eines der artenreichsten Länder der Welt ist. Ich gebe Ihnen dafür nur ein Beispiel: In Panama, diesem kleinen Land in Zentralamerika, gibt es allein 2.300 Baumarten. Die USA und Kanada kommen zusammen gerade einmal auf 1.000. Das Gleiche gilt für Vögel und Orchideen."

    Der Darién ist die südöstlichste Provinz Panamas Hier dängen sich Tiere und Pflanzen in einer Vielfalt und Pracht wie in wenigen anderen Weltgegenden. Ein wildes Land, kleiner als Schleswig-Holstein, kaum erschlossen, wenig besiedelt. Nur etwa 46.000 Menschen leben hier. Gleich danach kommt Kolumbien, dort beginnt Südamerika. Und nur diese einzige Straße, die Panamericana, führt bis dahin - zumindest fast.

    "Der Polizeiposten eben war der wichtigste in der Gegend um Metetí, der größten Stadt hier. Früher sollten die Beamten vor allem kolumbianische Guerilleros oder Paramilitärs aufspüren. Heute geht es darum, illegale Einwanderer abzufangen und darum, den Drogenhandel im Grenzgebiet einzudämmen."

    Javier Calvo ist Ex-Militär. Sein gesamtes Berufsleben verbrachte er in einer Versorgungseinheit der Armee. Heute ist er Rentner, sein Sohn arbeitet als Diplomat im Ausland. Der gedrungene, stämmige 63-Jährige aus Panama-Stadt begleitet uns. Javier hat eine kleine Finca im Darién. Er kennt dort viele Leute. Nur 300 km sind es von der Hauptstadt bis ins Herz des Urwalds. Ein Katzensprung auf der längsten Straße der Erde. Und doch ein weiter Weg und nicht selbstverständlich. Immer wieder gibt es Löcher und Blasen im Teer, über die Javiers alter Toyota wie ein Ziegenbock hüpft. Nur wenige Weiße kommen hierher. Die panamaischen Behörden sehen Ausländer nicht gerne im Darién. Daher sind wir froh, dass Javier uns begleitet.

    Javier kommt auf Manuel Noriega zu sprechen, dem berüchtigten Machthaber Panamas und verantwortlich für unzählige Menschenrechtsverletzungen. Noriega war in den 1980er-Jahren Schützling der CIA, fiel den US-Amerikanern aber zunehmend zur Last, nachdem er gemeinsame Sache mit dem kolumbianischen Medellín-Drogenkartell gemacht hatte. 1989 befahl der damalige Präsident George Bush in Panama zu intervenieren, um Noriega zu stürzen. In Florida wurde Noriega von einem US-Gericht zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt, danach nach Frankreich überstellt. In Kürze wird der Ex-Diktator nach Panama zurückkehren und auch in seiner Heimat vor Gericht gestellt werden.

    "Während Noriega an der Macht war, kontrollierte er etwa 80 Prozent des Rauschgiftgeschäfts und den kompletten Waffenhandel. Nachdem er verschwunden war und die Armee aufgelöst wurde, begannen seine ehemaligen Kumpanen auf eigene Rechnung - jeder für sich - Geschäfte zu machen. Dadurch stiegen der Drogenkonsum und Drogenhandel bei uns ebenso sprunghaft an wie die Gewaltkriminalität und Waffenschieberei. Seitdem müssen alle demokratisch gewählten Regierungen sozusagen Feuerwehr spielen, um Exzesse wieder einzudämmen, die es nicht gab, als die Militärs das Land kontrollierten."

    Dass die Absetzung des Diktators dem Land und besonders dem Darién Instabilität brachten, bestätigt auch José Miguel Guerra. Guerra ist Radio- und Fernsehjournalist. In Panama schätzt man ihn als eine unabhängige Stimme mit publizistischem Gewicht:

    "Geopolitisch hat der Tapon del Darién eine enorme Bedeutung. Er stellt eine wichtige Barriere dar, um das Einsickern der kolumbianischen FARC-Guerrilla und Paramilitärs nach Panama zu verhindern. Unter Noriega gab es eine Art Übereinkunft mit diesen Gruppen. Man ließ sie in Ruhe, auch wenn sie die grüne Grenze überschritten, um sich mit Nachschub zu versorgen oder auszuruhen. Damals hatte Panama keine Probleme mit der Guerilla. In den 1970er und 1980er-Jahren ging es im Darién äußerst friedlich zu."

    "Das ist jetzt vorbei. Nach Noriega wollte keine Regierung mehr, dass Panama ein Rückzugsgebiet für Rebellen ist und dass vom Darién aus Waffen nach Kolumbien geschmuggelt werden. Das geschah auch auf Druck der USA. Dieser Strategiewechsel hat sehr viel Geld und auch Menschenleben gekostet. Dabei weiß jeder, eine vollständige Kontrolle des Gebiets ist unmöglich. Die Grenze zwischen Panama und Kolumbien mitten im Dschungel ist viel zu weitläufig ist, um sie kontrollieren zu können."

    Wir machen Kaffeepause in einer Fonda, eine der einfachen Gaststätten an der Panamericana. Ein paar Wellblechwände, abgenutzte Stühle und Tische, drinnen eine kleine Küche. Tagelöhner, Bauern, Lastwagenfahrer - alle essen hier. Es gibt Huhn und Rind, Reis mit Linsen, schwarze Bohnen, frittierte Bananen. Für drei bis vier Dollar schlägt man sich den Bauch voll. Die Straße ist die Lebensader für die Menschen des Darién. Das haben wir schon gemerkt. Ohne sie gäbe es in der Provinz keinen Anschluss zum Rest der Welt. Hier finden sich alles: Hier liegen die Tankstellen, Geschäfte, Werkstätten und die Mobilfunkshops des allgegenwärtigen Netzbetreibers Claro. Hier geht es zum Bus, zum Markt, ins nächste Dorf, zum nächsten Krankenhaus und Polizeiposten.

    Einer der täglichen, starken Regenschauer prasselt herunter. Ein Motorradfahrer flüchtet sich zu uns unter das Dach der Terrasse.

    Wir fahren weiter. Die Siedlungen werden immer kleiner. Rechts taucht Arimae auf, das Hauptreservat der beiden wichtigsten Indio-Stämme des Darién, der Emberá und Wounaan. Sie leben dort in ihren traditionellen, an den Seiten offenen Rundhütten, die auf hohen Stelzen stehen und so groß sind, dass sie je eine Großfamilie aufnehmen.

    "Die Wounaan kommen eigentlich aus Kolumbien. Sie überquerten irgendwann die Grenze zwischen den beiden Ländern. Und weil sich beide Völker stets gut verstanden, haben die panamaischen Indios, die Emberá, sie hier bei sich aufgenommen."

    "Es gibt physische Unterschiede zwischen Wounaan und Emberá. Die Wounaan haben hellere Haut und manchmal sogar blonde Haare. Wer sich auskennt, kann sie auch an den Gesichtszügen unterscheiden. Etwa 22.000 Emberá und 7.000 Wounaan leben heute im Darién. Auch ihre Dialekte unterscheiden sich. Um miteinander zu sprechen, müssen die Mitglieder der Stämme die Sprache des anderen erlernen. Da die Wounaan hier akzeptiert werden, sind sie aber heute ganz offiziell als indigene Panamenier registriert. "

    Plötzlich halten wir am Straßenrand und steigen aus. Neben einem Feldweg, einer Wiese und mehreren Hütten sitzen ein paar Männer auf einem Baumstamm.

    <im_78112>ACHTUNG: NUR IN ZUSAMMENHANG MIT SONNTAGSSPAZZIERGANG VERWENDEN</im_78112>Die Campesinos sind Javiers Nachbarn, dessen Finca hinter den Baumriesen des Urwalds liegt. Die meisten Bauern siedelten sich erst Mitte des 20. Jahrhunderts im Darién an und rückten mit dem Ausbau der Panamericana immer weiter in die Regenwaldgebiete vor. Sie halten Rinder, bauen Yams an, Bananen und Reis. Alles wird über die Carretera, die Landstraße, wie hier alle die Panamericana nennen, in die Hauptstadt geschafft und dort verkauft.

    Javier begrüßt die Männer, die alle zu einer Sippe gehören. Dann spricht er mit einem von ihnen über neue Stromleitungen, den Ausbau des Feldwegs, alltäglichen Dinge, mit denen sich die Menschen im Darién auseinandersetzen müssen.

    Wir verabschieden uns. Von hier aus sind es nur noch wenige Kilometer bis zum Ziel.

    Yaviza liegt in einem Bogen des Chucunaque, des längsten Flusses in Panama. Träge und erdbraun fließt er dem Pazifik entgegen. In der Siedlung herrscht lebhaftes Treiben. Mit seinen 2.000 Bewohnern ist Yaviza einer der größten Orte in der Region. Überall hört man Stimmen, Kinder laufen hin und her. Am Bootsanleger, einer weiten überdachten Betonfläche, liegen Piraguas. Die schlanken Holzboote sind bis obenhin voll mit Bananen. Männer entladen sie und schleppen die Stauden zu zwei Pickups, die bereits warten. Alles unter den Augen der Militärpolizisten.

    Wir gehen ins Lokal Reposo, was auf Deutsch "Rast" bedeutet. Genau das ist es, was wir nach sieben Stunden Autofahrt brauchen. Das kanariengelbe Lokal schiebt sich wie ein Grenzstein ins Asphaltband. El Repollito kommt wie ein Walross durch die Küchentür. "Kohlköpfchen" nennen alle in Yaviza den massigen Wirt. "Was wollt Ihr essen?", fragt er. "Was hast Du?", "pargo blanco", also gut, dann eben Flussbrasse. "Kommt in zehn Minuten wieder, dann ist er fertig".

    Draußen brütet die Sonne. Ein paar Männer sitzen im Schatten einer Veranda. Einer schmiert eine Kettensäge. "Beste Qualität, aus Deutschland", lacht er, als er hört, woher wir kommen.

    Wir sehen uns um. Eben noch die breite Carretera, scheinbar endlos. Nun rücken die Häuser zusammen, als wollten sie der Straße die Luft abdrücken. Der Asphalt franst aus. Dann liegt plötzlich ein Fahrweg quer, dahinter wie ein Riegel eine Reihe Holzbuden. Das war es. Kein Abgrund, kein Ozean, kein unüberwindbares Gebirge, das sich uns in den Weg stellt. Nach 13.000 Kilometern durch Nord- und Mittelamerika endet der Mythos Panamericana hier mitten im Dschungel Panamas so banal, dass einem die Worte fehlen.

    Doch die Sackgasse ist längst selbst zu einem Mythos geworden. In Dutzenden von Reisebüchern wird der Tapón del Darién beschrieben, stets mit ungläubigem Staunen, da er nicht einmal 100 Kilometer breit ist. Auf einem Schullineal würde gerade mal ein Millimeter fehlen. Immer wieder gab es Gerüchte über Versuche, ihn zu überwinden, Legenden von Leuten, die aufbrachen und verschwanden. Er ist ein Stachel im Fleisch motorisierter Abenteurer, die die schmale Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika mit dem Schiff umfahren müssen, ein Hohn auf das Machbare. Kein Landfahrzeug hat ihn bis heute überwunden. Alle Versuche sind gescheitert.

    Yaviza ist ein zwiespältiger Ort - wie der Set aus einem Indiana Jones-Film: Alles erscheint unwirklich und aus einer vergangenen Zeit zu sein. Yaviza ist dekadent, Yaviza ist derb, mit Abfall unter den Stelzenhäusern, und rostenden Wellblechdächern. Ein Ort voller greller, abblätternder Farben; mit Cantinas, in denen Latinohits wummern und zuviel gebechert wird; mit dunklen Läden voll obskurer Waren; mit abgehalfterten Bussen und Trucks; mit stoischen Indios und hellhäutigen Panamenier aus dem Westen des Landes, die uns Weiße aus wetterfesten Gesichtern anstarren, als seien wir rosa Kaninchen.

    Über den Chucunaque führt eine lange Hängebrücke in den neueren Teil Yavizas. Steinhäuser stapeln sich den Hang hinauf, Frauen und Kinder baden im Fluss. Dies ist das Ende der Zivilisation. Dahinter beginnt die Wildnis: namenlose Wasserwege, reglose Sümpfe, das Dickicht des tropischen Regenwalds, Mosquitos. Dort liegt auch der Darién Nationalpark, der mit seiner exotischen Vogelwelt zum Weltnaturerbe der UNESCO zählt.

    "Viele Panamenier haben dieses Ökosystem noch nie gesehen. Wir müssen diese unberührte Natur und seinen Regenwald schützen. Mehr als 35 Prozent der Fläche Panamas ist bewaldet. Und darunter ist sehr alter Regenwaldbestand, der noch nie gerodet wurde. Das ist ein einzigartiges Naturerbe."

    Der Lebensraum für 500 Vogel- und 450 Baumarten, eine der größten Artenvielfalt der Erde. In Panama fanden Biologen in den Kronen einzelner Bäume knapp 1100 Insektenarten, darunter allein fast 700 verschiedene Käfer. Auch die Tourismusbehörde Panamas schwärmt in Werbevideos von den Naturschönheiten der Region. Allerdings will sie, dass Urlauber nur zum Ort La Palma mit dem einzigen Flughafen im Darién reisen und von dort den Nationalpark besuchen. Von der berühmten Panamericana redet sie nicht.

    Ein Soldat kommt und fragt, was wir in Yaviza wollen. Er ist vom Indiostamm der Emberá und schwitzt in der Hitze trotz der Camouflage kein bisschen. "Mal schauen, wie es hier so ist", antworten wir. "Habt Ihr Euch beim Militärposten angemeldet?", "Nein, aber wir sind auf dem Weg hierher an den Checkpoints kontrolliert worden". Der kleine dunkelhäutige Mann ist zufrieden. Der Fisch müsste jetzt fertig sein. Also, zurück ins Reposo, zu El Repollito, dem Wirt.

    Seine Tochter feudelt den Boden, während andere Hungrige ihre Bestellungen aufgeben.

    Ein großer, hagerer alter Mann setzt sich zu uns. Eine ungewöhnliche Erscheinung in einer Gegend, deren Indio-Bevölkerung eher gedrungen und kompakt ist. Auch er ist ein Bekannter Javiers:

    "Ich heiße Jaime Enrique Lorén. Ich bin Repräsentant der Gemeinden Canclón und Yaviza. Meine Aufgabe ist es, die Lebensbedingungen der Menschen hier zu verbessern. Ich diene also dem Volk."

    <im_78110>ACHTUNG: NUR IN ZUSAMMENHANG MIT SONNTAGSSPAZZIERGANG VERWENDEN</im_78110>Kique, so nennen ihn hier alle, Kique wurde vor 72 Jahren im Darién geboren. Seit zwei Jahrzehnten kümmert er sich um die Belange der Bewohner in dieser Gegend.

    "Wir treffen uns vor Ort. Die Leute sagen, was sie brauchen: den Ausbau einer Straße, eines Hauses, Sachen fürs Heimatfest, Süßigkeiten für die Kinder, Weihnachtsdekoration. Das ist die Funktion eines Repräsentanten in Panama."

    Kique ist die Vaterfigur Yavizas. Mit ihm besuchen wir die Ruine des Forts San Gerónimo, das die Spanier im 17. Jahrhundert bauten, als sie die Cana-Goldminen im Dschungel ausbeuteten und Angst davor hatten, Piraten könnten den Fluss hinauf kommen, um es ihnen wieder abzunehmen. Ein paar Männer bessern die Böschung aus, die die Fluten des Chucunaque bei Hochwasser regelmäßig wegschwemmen. Andere gießen ein Basketballfeld mit Beton aus.

    Wir haben die lange Hängebrücke überquert, Piraguas zugesehen, die aus dem Urwald kamen und wieder dorthin verschwanden. Nun geht der Tag zur Neige. Kique hat uns auf seine Finca eingeladen. Wir sitzen auf der weiten Terrasse, seine Schwester serviert süßen Kaffee und Fruchtkuchen. Im Haus haben sich die Enkel vor dem Fernseher versammelt. Die Nacht bricht schnell herein im Darién.

    Brüllaffen orchestrieren den Sonnenuntergang. Kique lehnt sich in seinen Schaukelstuhl zurück.

    "Zu Beginn der 1950er-Jahre war es für uns Darienitas eine Odyssee, hier zu leben. Wenn wir aus Panama-Stadt losfuhren, wussten wir nie, wann wir im Darién ankommen würden. Es gab keine Straße, nur eine Art Piste, die sich bei Regen in Schlamm verwandelte. Wenn jemand krank wurde, dauerte es unglaublich lange, bis ein Arzt aus Metetí auf dem Fluss hierher kam; wenn überhaupt. Menschen starben. Wir mussten Jahrzehnte lang für die Asphaltierung der Straße kämpfen. Erst seit zwei Jahren reicht die Carretera nun endlich bis zu uns nach Yaviza."

    "Aber ab Yaviza geht alles nur mit Motorbooten. Für die Dörfer tiefer im Darién ist das sehr teuer, weil das Benzin soviel kostet. Daher fordern wir jetzt den Ausbau bis Boca de Cupe nahe der Grenze zu Kolumbien."

    "Die Bauern in diesen Dörfer pflanzen Bananen, Yams und vieles andere mehr. Sie würden dann nicht mehr fünf Stunden für die 30 Kilometer hierher brauchen, um das alles zu verkaufen, sondern nur noch eine und das mit weniger Kosten, weniger Benzin."

    Und dann kommt Kique, der Volksrepräsentant, so richtig in Fahrt. Mit seiner hageren Gestalt, den scharfen Gesichtszügen sieht er jetzt im Dunkeln aus wie ein Kazike aus längst vergangenen Zeiten; ein Häuptling, der für das Wohlergehen seines Stammes kämpft.
    "Umweltschutz darf nicht den Fortschritt der Bevölkerung beeinträchtigen. Klar, dafür werden einige Bäume gefällt. Aber viele Leute werden davon profitieren."

    "Ökologen und Indios sind gegen den Ausbau der Carretera. Wir Siedler aber brauchen ihn. Und eine Regierung kann sich nicht gegen den Fortschritt stellen."

    Lider Sucre kennt diese Argumente. Der Biologe, Umweltschützer und Museumsdirektor weiß, dass Artenschutz und Lebensqualität keine Gegensätze sein dürfen:

    "Unsere Gesellschaft muss zuerst einmal das eigene Naturerbe würdigen. Wir brauchen mehr Rechtsstaatlichkeit, besonders in den abgelegenen Gebieten Panamas. Illegale Abholzung und Landnahme sind dort sehr verbreitet. Wir sollten den Landbesitzern etwas geben, damit sie den Wald erhalten. Es ist in Panama für Landbesitzer verboten, auf ihrem eigenen Grund und Boden Bäume ohne staatliche Genehmigung zu roden. Wir müssen diese Abholzungen verhindern, aber gleichzeitig den Leuten auch einen Anreiz geben. Sonst wird in einigen Jahren der Regenwald zerstört sein. Das ist auch eine Bildungsfrage."

    Ganz ähnliche Bedenken hat auch der Journalist José Manuel Guerra:

    "Der Tapón del Darién ist die Lunge unseres Landes. Aber die frühen Siedler, die aus Zentralpanama hierher kamen, gingen mit ihrem neuen Lebensraum schlecht um. Anstatt Vieh dort weiden zu lassen, wo Platz war, schufen sie Weideland für riesige Rinderherden, indem sie einfach alle Bäume fällten. "

    "Die indigenen Völker der Region haben mittlerweile ihre Identität wiedererlangt. Sie haben jetzt ihre eigenen Verwaltungsbezirke, meist riesige Reservate, die landwirtschaftlich nicht mehr entwickelt werden, weil die Indios traditionell in Subsistenz leben ... und ihre Gewohnheiten nicht ändern wollen, weil dies nun mal ihre Lebensform ist. "

    "Sie sehen nicht ein, warum sie auf ihrem Land mehr als eine Yucca anbauen sollen, wenn sie morgen nur EINE essen wollen. Und sie angeln EINEN Fisch, wenn sie einen braten wollen. Für sie ist es unsinnig, tausend Fische aus dem Fluss zu holen. Handel interessiert sie nicht. Und so gibt es Konflikte mit den Siedlern, die genau dort hinwollen."

    Es ist eine unübersichtliche Gemengelage im Darién: eine Regierung, die die Panamericana gerne ausbauen würde, um den Darién zu entwickeln, aber Angst vor Guerilleros und Drogenkartellen hat; Siedler wie Kique Lorén, die ihre landwirtschaftlichen Produkte vermarkten wollen; Ökologen, die die Artenvielfalt des Regenwalds in Gefahr sehen; Indios, die alles so lassen wollen, wie es ist. Und genau dieser Konflikt verschiedener Interessen sorgt dafür, dass die lächerlich kleine Lücke in der längsten Straße der Welt Bestand hat.

    "Für Panama wäre es sehr gut, den Tapon de Darién zu öffnen, für die Entwicklung der Region, die Viehwirtschaft. Die Bananen sind die besten des Landes. Außerdem hat man herausgefunden, dass es im Darién Erdöl gibt. Aber durch die Ausbeutung all dieser Ressourcen würde man das Ökosystem ruinieren."

    Kolumbien würde mit Ausbau der Panamericana durch den Darien Gap sofort beginnen, da auch dort im Grenzgebiet Armut herrscht - aber nur, wenn der Nachbar Panama mitmacht. Die Vereinigten Staaten, nach der Rückgabe des Kanals weiterhin der "Große Bruder" im Hintergrund panamaischer Politik, tun alles, um das zu verhindern, weil sie das Einsickern von Rebellen und Drogen fürchten. Wie wird es weitergehen?

    "Falls wir den historischen Fehler begehen, einen Präsidenten zu wählen, der alles dem schnellen ökonomischen Fortschritt unterordnet, könnte das passieren. Im Moment bekommt die Hauptstadt eine Metro, und wie bauen einen zweiten Panamakanal."

    "Für mich ist die Hauptgefahr ganz klar die, dass wir heute alles dem Konsum unterordnen; alle wollen schnell Geld verdienen; ein Blackberry oder iPhone zu haben, ist für viele wichtiger sind als der Erhalt der Umwelt."
    "Hoffen wir also, dass nichts passiert."

    "Meine Meinung zur Sperrung der Panamericana ist immer dieselbe gewesen. Der Umweltschutz hat seine Grenzen. Was machen wir, wenn es hier nicht voran geht, wenn jemand krank wird und wegen schlechter Straßenverhältnisse rechtzeitig keine Hilfe kommt, wenn Boote zu lange brauchen, wenn dann jemand stirbt. Was machen wir dann?"

    Der Morgen graut, es war eine kurze Nacht. Die Grillen verstummen. Dichter Frühnebel steigt aus den Wiesen. Die Sonne wird ihn schnell auflösen. Auf der Panamericana ist der erste Verkehr zu hören. Nichts bekommt man mit von der verzwickten Geschichte um den Tapón del Darién bei der Reise auf der längsten Straße der Welt. Und im Radio singt Rubén Blades von der Schönheit seiner Heimat.