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"Das Ganze wird als Politikum genutzt"

Der Karikaturen-Streit droht zu einem Flächenbrand in der islamischen Welt zu eskalieren. In Beirut, Damaskus und Gaza wurden Vertretungen Dänemarks, Norwegens, der EU und auch Deutschlands angegriffen und zum Teil angezündet. In vielen Ländern gab es Demonstrationen gegen die Mohammed-Karikaturen, zum Teil begleitet von Ausschreitungen. Im Irak forderten Demonstranten eine Fatwa, also eine Todesdrohung, gegen die Karikaturisten.

    Dass das Verhältnis zwischen dem islamischen und dem christlichen Kulturkreis störanfällig ist, wurde schon bei früheren Gelegenheiten deutlich, zum Beispiel bei der Todesdrohung gegen Salman Rushdie wegen seiner Satanischen Verse, beim Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh oder dem Kopftuch-Streit in Frankreich. Diesmal droht der Konflikt aber außer Kontrolle zu geraten. Frage an die Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur: Wie konnte denn ein Bild, noch dazu eine Karikatur, von der man ja weiß, dass es eine Überzeichnung ist, zu einer solchen Eskalation führen?

    Amirpur: Ich glaube, es wurde auf beiden Seiten versucht, Eskalation zu betreiben. Diese Karikaturen sind abgedruckt worden im September in der Zeitung Jyllands-Posten. Dann ist man hingegangen, hat säkulare, liberale Muslime gefragt, was sie davon halten, und sie haben gesagt, mein Gott, es ist halt Meinungsfreiheit, es ist mehr oder weniger egal. Dann hat man weiter gesucht von Seiten der Redaktion aus und hat die Leute getroffen, die sich dann von diesen Karikaturen tatsächlich angesprochen gefühlt haben. Die wiederum sind hingegangen und haben alle möglichen Botschafter alarmiert, die das Gespräch mit Premier Rasmusen gesucht haben, der aber sofort abgewunken hat, und daraufhin ist diese Delegation, aufgestachelt durch diese Zurückweisung und durch ein Gefühl, man wird in Dänemark sowieso nicht anerkannt als Minderheit, daraufhin sind sie in die islamische Welt gezogen, und daraufhin hat man dann mehr oder weniger einen Flächenbrand in Bewegung gesetzt, und der kommt nun auch den Regierungen in vielen islamischen Ländern sehr gelegen.

    Schäfer-Noske: Gibt es denn diese Tradition der Karikatur in islamischen Ländern?

    Amirpur: Es gibt sie, ja, aber es ist wahrscheinlich immer noch ein großer Unterschied, ob man sich selber karikiert, oder ob es andere tun. Wenn ich ein Beispiel nennen darf, mein Vater entstammt der türkischsprachigen Minderheit im Iran. Wenn wir Türkenwitze erzählen, dann erzählen wir die besten Witze, und es ist auch wirklich komisch, aber wenn das andere Leute in diesen Landesteilen tun, dann ist das irgendwann nicht mehr wirklich komisch. Wenn Salman Rushdie hingeht und sich über seine eigene Religion lustig macht, dann ist es immer noch etwas anderes, als wenn in einem Land wie Dänemark, wo sowieso eine sehr ausländerfeindliche oder islamfeindliche Politik betrieben wird, solche Karikaturen auf einmal dargestellt werden. Dann fühlen sich natürlich Gemeinschaften, die ohnehin schon benachteiligt werden, noch mal sehr stark vor den Pranger gestellt.

    Es ist einfach eine Art und Weise, wo man religiöse Gefühle verletzt, die ich persönlich als extrem unnötig empfinde. Auf der anderen Seite weiß ich natürlich auch, denke ich natürlich auch, es ist Meinungsfreiheit, und jetzt, wo es so eskaliert ist in den islamischen Ländern, jetzt muss man sich auf jeden Fall hinter diese Zeitung stellen, hinter die Redakteure stellen und sagen, Leute, ihr könnt nicht hingehen und Fahnen verbrennen, die Botschaften stürmen, Morddrohungen machen, das geht nicht, es gibt eine Meinungsfreiheit in der westlichen Welt, das könnt ihr alles nicht machen, aber im Vorfeld hätte man sich schon mal fragen können, muss man sich eigentlich über alles lustig machen, muss man eigentlich alles in den Dreck ziehen, was vielleicht anderen Leuten wichtig ist?

    Schäfer-Noske: Inwieweit ist es denn im Koran auch verankert, dass man Mohammed durch Bilder nicht beleidigen darf?

    Amirpur: Es gibt ein generelles Bilderverbot im Islam. Das ist immer wieder durchbrochen worden, es gibt sehr viele Darstellungen von Mohammed, vor allem beispielsweise unter iranischen Schiiten, die sehen das nicht ganz so streng, aber unter Sunniten wird das schon einigermaßen streng gehandhabt, dass man ihn a) nicht abbilden darf und b) schon mal überhaupt nicht karikieren darf. Wenn man dann hingeht und eine Karikatur sieht in einer dänischen Zeitung, wo Mohammed dargestellt wird, und auf seinem Turban ist eine Bombe befestigt, dann ist natürlich auch jedem Moslem klar, hier möchte dargestellt werden, dass Mohammed gleich Osama Bin Laden und Islam gleich terroristische Religion ist, die all das unterstützt.

    Schäfer-Noske: Inwieweit ist denn auch ein Schlüssel zum Verständnis dieser Eskalation tatsächlich das Fehlen der Epoche der Aufklärung in islamischen Ländern?

    Amirpur: Ich glaube, es geht weniger um die Epoche der Aufklärung. Ich glaube, es geht eher darum, dass das Ganze als Politikum genutzt wird. Die Regierungen in den einzelnen islamischen Ländern sind ganz froh darüber, dass sie ihren Bevölkerungen jetzt ein Ventil bieten können. Es kann mir niemand erzählen, dass man in Syrien diese Botschaftsstürmungen nicht hätte verhindern können oder dass im Libanon nicht auch die Syrer ihre Hand da drin gehabt haben. Die Regierungen in diesen autokratisch regierten Staaten sind ganz froh, dass ihre Bevölkerungen jetzt so etwas wie ein nettes, anderes, kleines Feindbild geliefert bekommen, und dass man dadurch dann ablenken kann von innenpolitischen Problemen. Ich glaube, das ist weit eher das Problem als die Frage, gibt es denn nun Aufklärung oder gibt es sie nicht in den islamischen Staaten. Ich glaube, das ist eher das Motiv, und es ist auf keinen Fall so, dass das jetzt wirklich der Anfang eines großen Kulturstreites ist, eines großen Kampfes der Zivilisationen, wie wir es in den letzten paar Tagen gelesen haben.