Archiv


"Das hat nicht unbedingt etwas mit Wahlgeschenken zu tun"

Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf für eine Rentenschutzklausel beschlossen. Otto Wulff, der Bundesvorsitzende der Senioren-Union, verteidigte die Maßnahme. Es sei nicht gerechtfertigt, immer von Wahlgeschenken für Rentner zu sprechen, nur weil die Regierung etwas für die älteren Mitbürger tue, so der CDU-Politiker.

Otto Wulff im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Was passiert mit den Renten, wenn die Löhne sinken? Nun, sie könnten ebenfalls sinken, denn die Renten sind in Deutschland an die allgemeine Lohnentwicklung gekoppelt. Dass den Rentnern ihre Bezüge tatsächlich gekürzt werden, ist zwar seit Bestehen der Bundesrepublik noch nie vorgekommen, aber wir stecken mitten in einer Wirtschaftskrise, deshalb könnte genau dieser Fall in den kommenden Jahren eintreten. Das will die Große Koalition jetzt ausschließen. Das Bundeskabinett hat heute einen Gesetzentwurf für eine Rentenschutzklausel beschlossen. Rentenkürzungen sollen damit ausgeschlossen bleiben. Darüber möchten wir jetzt mit dem Bundesvorsitzenden der Senioren-Union sprechen, mit Otto Wulff. Guten Tag, Herr Wulff.

    Otto Wulff: Guten Tag, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Wulff, ist diese Schutzklausel gegen eine Rentenkürzung mehr als ein Wahlkampfgeschenk in diesem Superwahljahr?

    Wulff: Ich wehre mich immer dagegen, wenn etwas für die Rentner gemacht wird, dass das sofort als Wahlgeschenk betrachtet wird. Ich glaube, man sollte auch mal überlegen, die Rentner sind ja auch nicht immer Rentner auf Kreuzfahrtschiffen oder Rentner, die in der Südsee am Strand liegen, sondern Rentner sind auch viele, denen es nicht besonders gut geht. Und wenn man hier sie vor weiteren Kürzungen bewahren will, dann hat das nicht unbedingt etwas mit Wahlgeschenken zu tun. Man macht sich die Arbeit sehr einfach damit. Natürlich geht es manchen Rentnern nicht schlecht, aber es geht auch manchen Rentnern nicht gut, und ich denke, das ist nicht immer als Wahlgeschenk zu betrachten.

    Armbrüster: Herr Wulff, ich sollte vielleicht dazu sagen, dass wir Sie am Bahnhof in Berlin erreichen, deshalb die Hintergrundgeräusche. Meine Frage zielte eher in die Richtung, werden die Rentner mit dieser Schutzklausel nicht für dumm verkauft, denn es ist ja de facto keine Kürzung, sondern die Rentenkürzung wird nur auf mehrere Jahre verteilt.

    Wulff: Ja. Nun kommt es darauf an, was in den nächsten Jahren passiert. Wenn durch ein solches Gesetz auch die Politik sich selbst einmal ein Ziel setzt, Produktivität zu erhöhen, mehr Arbeitsplätze zu schaffen, mehr Einkommen zu schaffen, dann heißt das auch, dass durch mehr Einkommen auch die Renten stärker steigen könnten, als man das gemeinhin betrachtet. Man sollte auch mal Augenmerk darauf legen, mehr wieder eines Tages einzunehmen, um dadurch auch schneller diese Lücke wieder auszufüllen.

    Armbrüster: Aber es ist doch nun so, dass es auch mit dieser Schutzklausel für Renten tatsächlich zu zahlreichen Nullrunden in Folge kommen könnte?

    Wulff: Das kann vermutet werden, das ist aber nicht zwingend.

    Armbrüster: Aber es kann durchaus sein. Wir befinden uns immerhin mitten in einer Wirtschaftskrise. Das heißt die Renten müssten möglicherweise, wenn es nach der jetzigen Regelung geht, tatsächlich sinken. Wenn diese Senkung nun ausgeschlossen wird, muss dieses Defizit irgendwie auf die kommenden Jahre verteilt werden, sodass die Rentner de facto auch bei steigenden Löhnen weniger bekommen würden, als ihnen dann eigentlich zustehen würde. Noch mal meine Frage: Werden da nicht Rentner für dumm verkauft, wenn man ihnen das jetzt als eine Schutzklausel präsentiert?

    Wulff: Nein. Ich wehre mich etwas dagegen. Das ist jetzt auch eine Vorhersage, die Sie machen, die ja nicht unbedingt zu stimmen braucht. Wer sagt denn, dass in den nächsten Jahren die Einbrüche, die relativen Kürzungen so ausfallen könnten, dass es nur Nullrunden gibt? Wer sagt das? Wissen Sie, wenn ich mir überlege, wie schnell wir in einer relativ kurzen Zeit von über fünf Millionen Arbeitslosen zu drei Millionen gekommen sind und darunter, dann zeigt sich doch auch, dass manches Unerwartete eintreten kann, was jetzt genauso eintreten kann. Ich will hier gar nichts schön reden. Wo ich mich immer gegen wehre, dass von Vornherein immer etwas Negativeres angedeutet wird als gemeinhin eintritt. Dagegen wehre ich mich. Warum kann man das nicht auch mit einem gerüttelt Maß an Optimismus begleiten und wir geben uns Mühe, dass das anders wird? Natürlich kann das so sein, Herr Armbrüster, wie Sie das schildern, aber es kann auch genauso gut anders sein.

    Armbrüster: Dann wollen wir das ganze mal von einer anderen Seite aufzäumen, nämlich von Seiten der jetzt 20-, 30-jährigen, die die Beitragszahler sind und die auch für diese Renten bezahlen müssen. Zahlreiche Untersuchungen gehen davon aus, dass die Beiträge in den kommenden Jahren kräftig steigen müssen, möglicherweise auch durch diese jetzt beschlossene Schutzklausel für Rentner, möglicherweise auch über den eigentlichen Deckel von 22 Prozent, der ja von der Politik festgelegt wurde. Wie erklären Sie das einem jetzt 20-, 30-jährigen?

    Wulff: Ich kann ihm nur erklären, dass eine Politik, dass das unter Umständen eintreten kann, aber durch eine Änderung, beispielsweise Familienpolitik, mehr Kinder, mehr Arbeit, höhere Produktivität, auch das wieder geändert werden kann. Die Leute stehen doch nicht vor Entwicklungen, die wir so voraussagen können. Ich habe immer das Gefühl, die Fachleute lassen sich immer auf die Vergangenheit aus, da liegen sie richtig, aber wenn sie in die Zukunft prognostizieren, wenn das alles richtig wäre, dann wären die alle heute reich. Ich glaube nicht, dass diese Prognosen alle zutreffen. Die Regel ist eine ganz andere. Die Regel besagt, dass manche Prognosen zutreffen, viele aber auch nicht. Wenn ich mir überlege, was alles schon in den vergangenen Jahren zur Rentenhöhe und zur Einkommenshöhe gesagt worden ist, dann ist eben vieles nicht eingetreten. Ich stimme Ihnen ja zu, dass das so sein kann und die jungen Menschen letzten Endes, was ihre Bedürfnisse anbelangt, erheblich sich einschränken müssen. Es kann aber genauso gut sein, dass das nicht der Fall ist. So legen wir unser Augenmerk in der Politik doch einmal darauf, das zu ändern.

    Armbrüster: Aber Herr Wulff, die Zahlen sprechen doch eindeutig dafür: Wir werden weniger Beitragszahler sein in der Bundesrepublik.

    Wulff: Das ist richtig!

    Armbrüster: Daran können Sie auch mit einer Geburtenpolitik wahrscheinlich kurzfristig nicht besonders viel ändern. Das heißt, wir müssen uns auf Zustände einstellen, in denen immer weniger Beitragszahler für immer mehr Rentner aufkommen müssen. Das heißt, da werden die Beitragssätze steigen müssen, wenn wir am jetzigen System festhalten.

    Wulff: Da kommt es auch wieder auf die Produktivität an. Ich gebe Ihnen ja Recht, dass wir weniger Beitragszahler demnächst haben werden und mehr Einkommensbezieher bei Renten. Das ist gar keine Frage. Aber man muss sich auch die Frage stellen, wie kann die Produktivität aussehen, damit die Beiträge eben nicht erhöht zu werden brauchen.

    Armbrüster: Fakt ist aber auch, dass die Berechnung der Renten durch diese jetzt beschlossene Schutzklausel immer komplizierter wird. Wäre es nicht eigentlich der richtige Zeitpunkt, um das komplette Rentensystem umzubauen?

    Wulff: Ich halte es auch aus meiner Sicht für richtig, wenn wir vielleicht, oder lassen Sie mich vorweg sagen: Gesetze müssen in der Regel darauf ausgerichtet sein, dass sie von einer bestimmten Dauer sind und dass sie nicht je nachdem, wie eine Politik gerade sich darstellen will, geändert werden können. Das halte ich, was das Vertrauen anbelangt, auch nicht besonders günstig. Aber deshalb ist auch meines Erachtens jetzt mal die Zeit gekommen, wie wir unter Umständen auch mal eine neue Rentenformel wieder entwickeln können. "Panta rhei", alles fließt. Das heißt, wir müssten auch bei der Rentenversicherung vielleicht mal überlegen, das eine oder andere zu ändern, was auf die Dauer mehr Vertrauen schafft, andererseits aber auch die Unwägbarkeiten, die auf uns zukommen könnten, mehr berücksichtigt. Darüber müsste man sich jetzt mal Gedanken machen, und nicht nur jetzt. Übrigens was Sie jetzt zurecht berechtigterweise sagen: Diese Probleme, die waren ja vor 15, 20 Jahren schon sichtbar und schlagen jetzt erst durch.

    Armbrüster: Wenn Sie sagen, diese Probleme müssten jetzt angegangen werden, gibt es denn dafür tatsächlich eine Möglichkeit in diesem Wahljahr?

    Wulff: Das weiß ich nicht, ob es in diesem Wahljahr eine Möglichkeit gibt, weil ich glaube, zu solchen Gesetzen braucht man auch in der Politik Ruhe. Man braucht eine Übereinkunft und braucht Vernunft, die mal etwas abseits geschehen kann, wenn keine Wahlen sind. Ich halte es in der Tat für wünschenswert, dass man sich jetzt schon über diese Dinge unterhält, aber weiß aus eigener Erfahrung, dass das in Wahlzeiten immer sehr, sehr schwierig ist. Das ist halt so. Davon lebt auch die Demokratie. Es sind eben Wahlen, da muss manches etwas deutlicher und anders formuliert werden, als das manchmal der Fall ist, dass man sich vielleicht, wenn die große Schlacht vorbei ist, zur großen Vernunft zusammenfindet und dann eine verträgliche Lösung findet, die letztlich allen Teilen dient und die zumindest mal ein gerüttelt Maß von Jahren vorhält und woran die Leute sich gewöhnen können, wo sie auch ein gewisses Ziel sehen, an das man sich halten kann, was von Beständigkeit geprägt ist, von Zuverlässigkeit und dergleichen mehr. Das müsste jetzt angepackt werden. Zumindest sollten sich einige Leute mal das überlegen, die nicht kandidieren, nicht unbedingt in die Parlamente wollen, zu denen ich auch gehöre, und ich gehöre wirklich zu denen, die folgendes immer sagen: Man darf die Älteren nicht in die Armut entlassen und den jüngeren nicht durch zu hohe Belastungen eines Tages die Freiheit nehmen, sich entfalten zu können. Darum geht es! Wir müssen jetzt eine Balance finden und endlich mal uns daran geben, diese Probleme in offener Auseinandersetzung zu lösen.

    Armbrüster: Ein gutes halbes Jahr vor der Bundestagswahl beschließt das Bundeskabinett eine Schutzklausel für Renten. Wir sprachen dazu mit dem Bundesvorsitzenden der Senioren-Union, mit Otto Wulff. Vielen Dank, Herr Wulff, für das Gespräch.