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"Das jetzige System motiviert nicht zum Studium"

Das derzeitige Studienförderungssystem sei zersplittert, unflexibel und ineffektiv, kritisiert Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung. Sinnvoller wäre es, alle Förderinstrumente zusammenzulegen. Hier könne man "ohne finanziellen Mehraufwand Gigantisches leisten".

Ulrich Müller im Gespräch mit Jörg Biesler |
    Jörg Biesler: 794 Euro – so viel ungefähr sollte man im Monat zusammenkriegen, wenn man in Deutschland studieren will, denn statistisch kostet so viel der Lebensunterhalt als Student oder Studentin. Bei den allermeisten Studierenden kommt das Geld aus mehreren Quellen: die Eltern, Jobs und natürlich das BAföG, Stipendien und Kredite. Was die staatlichen Leistungen angeht, gibt es zu viel Kleinklein, sagt heute das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE), eine unabhängige Forschungseinrichtung der Bertelsmann-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz. Ulrich Müller vom CHE hat das untersucht. Guten Tag, Herr Müller!

    Ulrich Müller: Guten Tag, ich grüße Sie!

    Biesler: So ganz unübersichtlich ist das doch eigentlich gar nicht: Bedürftige bekommen BAföG, Begabte Stipendien, manche vielleicht beides. Wo ist das Problem?

    Müller: Na, so ganz einfach ist es leider doch nicht. Versuchen Sie doch mal, alles aufzuzählen, was es gibt an staatlicher Studienförderung: Wir haben das BAföG, wir haben den KfW-Studienkredit, wir haben vom Bundesverwaltungsamt ein Abschlussdarlehen. Wir haben noch in Niedersachsen ein Beitragsdarlehen eines Landes, wir haben das Deutschland-Stipendium, und wir haben noch 13 Begabtenförderwerke. So ganz aus einem Guss scheint das nicht zu sein.

    Biesler: Aber die einzelnen Einrichtungen haben doch auch alle unterschiedliche Aufgaben. Also das BAföG-Amt sorgt dafür, dass Kinder von Eltern, die das Studium nicht finanzieren können, dann für das Studium Geld zur Verfügung gestellt bekommen. Die Begabtenförderungswerke machen das, was der Name sagt, sie fördern nämlich die Begabten – das heißt, es sind doch auch unterschiedliche Zuständigkeiten.

    Müller: Ja, aber genau das ist das Problem. Der Student ist ja selber in der Verpflichtung, sich den Geldgeber oder den Finanzierungsbaustein rauszusuchen, der zu einem passt. Sprich: Es liegt in der Aufgabe des Studieninteressierten, zu checken, ob man überhaupt infrage kommt, ob die Förderung einen als förderwürdig erachtet, ob man einen Kredit bekommt, ob man BAföG bekommt. Dann noch die indirekten Förderungen, die habe ich eben noch gar nicht erwähnt, die Erleichterung, was die Steuer angeht, für Eltern oder das Kindergeld für die Eltern – das überblickt ja kein Mensch. Also aus meiner Sicht hat das derzeitige Studienfinanzierungssystem nicht alles falsch gemacht, beileibe nicht, ich verdanke selber meine ersten beiden Semester der BAföG-Förderung. Aber es gibt trotzdem drei große Probleme, die ich sehe bei der jetzigen Studienfinanzierung: Ich glaube, das jetzige System ist einfach zersplittert, es ist unflexibel und es ist ineffektiv. Warum ist es zersplittert? Ich glaube, dass viele Studieninteressierte einfach den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Es gab im Laufe der Zeit immer neue Finanzierungsbausteine, zuletzt das Deutschland-Stipendium oder den KfW-Studienkredit. Da ist ein Gesamtbild zu erkennen mehr. Gerade Studierende aus bildungsfernem Hintergrund werden oft dann von ihren Eltern angesprochen, die sagen, hör mal, ein Studium kostet so viel – kannst du nicht eine duale Ausbildung machen? Da kriegst du sogar noch Geld. Und ein vernünftiges Studienfinanzierungssystem muss genau andere Signale setzen. Deswegen auch das Argument, dass das jetzige System einfach ineffektiv ist. Es setzt keine Anreize, es setzt im Gegenteil hohe Hürden, gerade wenn man keine Vorläufer hat in der Familie, die akademische Ausbildung genossen haben. Das jetzige System motiviert nicht zum Studium, es ist einfach zu kompliziert.

    Biesler: Klingt so ein bisschen so, als seien das vor allen Dingen psychologische Hürden, die da im Weg stehen, und ein gewisser Zeitaufwand sei damit verbunden. Sie wollen dann so was wie eine Studienförderung, die man auf dem Bierdeckel machen kann? Das gab es mal bei der Steuer, die Idee.

    Müller: So was in der Art, das passt schon. Es ist einerseits, dass es klar erkennbar ist, dass ein konsistentes Gesamtsystem sichtbar wird, aber auch, dass wirklich alle Bausteine zu diesem einen Ziel beitragen. Es gibt ein großes Ziel, wo all diese sechs, sieben Instrumente zu gehören: dass man Studieninteressierten ein Studium erfolgreich ermöglicht. Und da ist mehr Flexibilität gefragt, aber auch einfach ein klares Gesamtbild, eine klare Aussage, eine klare Transparenz.

    Biesler: Wie könnte so ein einheitliches System dann aussehen? Einen Namen dafür haben Sie schon gefunden.

    Müller: Ja, das ist das Simpelste, einen Namen zu finden: Bundesstudienförderung passt ganz gut. Erst mal ein tröstliches Wort Richtung Finanzministerium: Es geht hier nicht um mehr Geld. Ich glaube, dass man hier ohne finanziellen Mehraufwand Gigantisches leisten könnte. Und ich glaube, dass gerade jetzt die Große Koalition, die ja absehbar kommt, hier auch mal einen großen Wurf wagen kann, dass man diese separaten Instrumente der Studienförderung zusammenschmeißt in eine Bundesstudienförderung neuen Zuschnitts, die in sich flexibel bleibt, und dass die indirekte Förderung, die jetzt die Eltern genießen, sprich Kindergeld und Steuerfreibetrag, dass das den Studierenden direkt als pauschale Sockelförderung zugute kommt. Das ist machbar, muss man nur ranwollen.

    Biesler: Wenn man will, dass mehr Studenten in Deutschland an die Hochschulen kommen, dann muss man auch dafür sorgen, sagt Ulrich Müller vom Centrum für Hochschulentwicklung, dass der Zugang, zumindest was die Finanzen angeht, so leicht wie möglich ist. Dafür fordert er eine Bundesstudienförderung.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.