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"Das müssen sie bezahlen"

Wenn die Laufzeiten verlängert werden, erwirtschaften die Kernkraftwerksbetreiber "erhebliche Zusatzgewinne". Daher möchte Michael Fuchs die Energiekonzerne zu Investitionen in erneuerbare Energien und der Verbesserung des Leitungsnetzes verdonnern.

Michael Fuchs im Gespräch mit Sandra Schulz | 28.08.2010
    Sandra Schulz: Vier, zwölf, 20 oder 28 Jahre längere Laufzeiten für Atomkraftwerke? Am liebsten gar keine, meint laut ZDF-"Politbarometer" mehr als jeder zweite Deutsche in Deutschland, aber im schwarz-gelben Koalitionsvertrag steht etwas anderes. Die Bundesregierung hat verschiedene Szenarien durchrechnen lassen, das Gutachten kennen die Ministerien seit gestern, wir noch nicht, aber wir wissen schon heute Morgen, dass es der Diskussion der Bundesregierung um ein Energiekonzept neue Dynamik geben wird. Und darüber wollen wir in den kommenden Minuten sprechen mit Michael Fuchs, stellvertretender Unionsfraktionsvorsitzender im Bundestag und jetzt am Telefon. Guten Morgen!

    Michael Fuchs: Guten Morgen, Frau Schulz!

    Schulz: Herr Fuchs, versprechen Sie sich eigentlich ein neutrales Bild von einem Institut, von einem Gutachten, dem Energiewirtschaftlichen Institut an der Uni Köln, das mit Milliarden von E.ON und EnBW unterstützt wird?

    Fuchs: Ach, erstens Mal sind das drei verschiedene Gutachten von drei verschiedenen Instituten, die wir empfangen haben gestern. Wir haben sie alle noch nicht lesen können, die sind gestern Abend erst angekommen. Und ich gehe mal davon aus, dass jeder seiner Pflicht, neutral und sachlich die Sache zu beurteilen, nachgekommen ist.

    Schulz: Jetzt sagt das Bundesumweltamt, die Energieagentur und auch der Umweltsachverständigenrat, dass die erneuerbaren Energien den Übergang stemmen können, dazu brauchen wir auf das Gutachten ja gar nicht zu warten – welche Informationen haben Sie, dass das nicht stimmt?

    Fuchs: Eine ganz simple: Leider ist es so, dass der Wind nicht immer weht und – in Deutschland kann man das ja gerade in den letzten Tagen sehr gut feststellen – die Sonne nicht immer scheint. Das heißt, wir brauchen auch noch andere Energien, um Strom sicher und zuverlässig permanent zur Verfügung zu haben. Der zweite Punkt ist, dass wir Strom zu Preisen brauchen, die deutlich niedriger sind als die, die durch die erneuerbaren Energien zurzeit hergestellt werden. Ich nenne da mal nur zwei Zahlen: Eine Kilowattstunde Solarenergie kostet 39 Cent, das geht dann runter bis 35 Cent, das ist natürlich viel zu teuer, das kann weder der Bürger bezahlen noch die deutsche Wirtschaft. Deutschland ist ein Industriestandort und wir haben gesehen, dass gerade der Industriestandort uns geholfen hat, so schnell aus der Krise herauszukommen wie faktisch kein anderes Land in Europa.

    Schulz: Ja, aber Herr Fuchs, wenn das alles so unsicher ist und auch so teuer, warum haben sich denn die Stromerzeuger auf den Atomkompromiss, der ja ausgehandelt worden ist, überhaupt eingelassen? Dann haben auch die Stromerzeuger schlichtweg unverantwortlich gehandelt?

    Fuchs: Also erstens ist es damals die Politik gewesen, die die Stromerzeuger mehr oder weniger dahin gepresst hat. Zweitens ist es aber auch so, dass sich innerhalb der letzten zehn Jahre die Situation erheblich verändert hat. Wir sind pro erneuerbare Energien, diese Bundesregierung, die Bundeskanzlerin hat sich auf das Schild geschrieben: Wir wollen die erneuerbaren Energien so schnell wie möglich durchsetzen, um damit auch eine Versorgungssicherheit dergestalt hinzubekommen, dass wir unabhängig beispielsweise von russischem Gas oder auch von Ölimporten werden. Aber wir haben die Klimaschutzziele dazubekommen. Die waren im Jahre 2000, als der Atomausstieg das erste Mal beschlossen wurde, in dem Maße gar nicht da. Wir wollen CO2-freien Strom herstellen. Wenn wir die Kernkraftwerke abschalten, dann ist die Grundstromversorgung nur noch mit fossilen Energien und damit CO2-lastig herzustellen, und das ist genau der Punkt, an dem sich die Maßgabe verändert hat, das Denken verändert hat. Und wir alle wissen, dass wir nur CO2-frei herstellen können, wenn Kernkraftwerke laufen beziehungsweise erneuerbare Energien da sind.

    Schulz: Ja, Herr Fuchs, das sind natürlich alles Argumente, die Atomkraftgegner vollständig anders sehen. Ich würde gern noch mal das aufgreifen, was Sie gerade gesagt haben, dass die Konzerne gepresst worden seien zu diesem Kompromiss. Das heißt also, die Konzerne wären pressbar, ohne "er" vorne, das heißt auch, dass sozusagen die Politik autonom entscheiden kann, wie sie auch in die Pflicht genommen werden kann, wenn eine Verlängerung kommt. Wie soll das aussehen, Brennelementesteuer plus Abgabe?

    Fuchs: Der Primat der Politik gilt, und der gilt gegenüber jedem in diesem Lande, ob das nun Energieunternehmen, Industrieunternehmen, aber auch Bürger sind, das ist für mich außer Frage. Ich glaube, dass wir die Kernkraftwerksbetreiber in einem bestimmten Maße belasten können, denn sie werden, wenn die Laufzeiten verlängert werden, erhebliche Zusatzgewinne haben. Diese Zusatzgewinne können die allerdings nur einmal oder zweimal ausgeben, aber nicht drei- oder viermal. Sie müssen nachrüsten, das müssen sie bezahlen, das geht also schon mal von den Zusatzgewinnen ab. Sie sollten meiner Meinung nach investieren in erneuerbare Energien, in Forschung, Entwicklung. Wir brauchen auch – und schon gerade deswegen, weil ja die erneuerbaren Energien im Wesentlichen dezentral entstehen – brauchen wir ein wesentlich verbessertes Leitungsnetz. Da müssen alle mitmachen, da müssen auch die Bürgerinnen und Bürger mitmachen und es darf nicht jeder gegen jeden Strommast klagen, sonst funktioniert das ganze System nicht.

    Schulz: Herr Fuchs, wenn die Politik das letzte Wort hat, dann verstehe ich nicht, es wird ja jetzt verhandelt, mit mir als Steuerzahlerin hat die Bundesregierung noch keine Verhandlungen aufgenommen.

    Fuchs: Hier geht es da drum, dass wir mit den Kernkraftwerksbetreibern erst mal feststellen müssen, wie hoch ist denn der Gewinn, wenn es zu einer Laufzeitverlängerung kommt und das natürlich proportional zur Laufzeitverlängerung so sein wird. Und da muss eben verhandelt werden, denn da haben die Kernkraftwerksbetreiber andere Vorstellungen als die Bundesregierung. Und die Zahlen müssen erst mal sauber auf den Tisch und die müssen auch ich sag mal unverrückbar sein. Und dann kann man über die fiskalischen Ansätze, nämlich Brennelementesteuer sprechen, über zusätzliche Investitionen in erneuerbare beziehungsweise in Leitungsnetze, aber auch über das Thema Nachrüsten, denn die Kernkraftwerksbetreiber können ja nur dann bezahlen, wenn die Nachrüstkosten nicht die Laufzeitverlängerung übersteigen.

    Schulz: Wir sprechen über eine Diskussion, wir führen eine Diskussion, die ja auch die Union als solche entzweit. Sie waren einer der Unterzeichner des energiepolitischen Appells in der vergangenen Woche, das war die große Anzeige in den Zeitungen am Wochenende, mit dem die Industrie Druck macht einerseits auf die Bundesregierung, aber ich habe mich gefragt, haben Sie denn keine anderen Mittel, Einfluss zu nehmen auf die Politik der CDU?

    Fuchs: Nein, ich habe das ganz bewusst getan, ich sage das auch in aller Deutlichkeit, weil ich auf den Industriestandort Deutschland aufmerksam mache. Ich mache mir Sorgen darüber, dass bestimmte Industrien in Deutschland – ich nenne mal die Glasindustrie, Stahlindustrie, die Seltene-Erden-Industrie, Papierindustrie –, dass die in Deutschland nicht mehr standortsicher produzieren können und uns verloren gehen. Damit gehen uns Branchen verloren, die wir als Grundlast brauchen, die – zum Beispiel die Stahlindustrie, die brauchen wir für unsere Automobilindustrie. Und das würde das gesamte Gefüge der deutschen Wirtschaft zerstören und kaputtmachen, und das darf nicht passieren. Und deswegen habe ich mich zu diesem Schritt entschlossen, weil ich damit auch ein bisschen demonstrieren will, dass wir uns unserer Verantwortung gegenüber diesen Industrien bewusst werden müssen, denn es kann nicht sein, dass wir diese Industrien aus Deutschland vertreiben.

    Schulz: Das ist ein Schritt, der auch – da verstehe ich Sie richtig – dann exemplarisch steht für die Diskussionskultur in der CDU? Erwarten Sie auch eine Antwort der Kanzlerin per Anzeige?

    Fuchs: Das muss sie nicht per Anzeige, wir werden uns mit Sicherheit in den nächsten Tagen sehen, aber mir geht es einfach darum, dass ich sagen will, wir können es uns nicht leisten, dass diese wesentlichen Industrien in Deutschland zumachen, weil sie aus Deutschland weggehen müssen. Die Preise beispielsweise für Strom in Frankreich sind deutlich günstiger, und es würde mich schon sehr ärgern, wenn die deutsche Stahlindustrie nach Frankreich ausziehen würde.

    Schulz: Michael Fuchs, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag der Union und heute in den "Informationen am Morgen" hier im Deutschlandfunk, haben Sie herzlichen Dank für dieses Interview!

    Fuchs: Danke schön an Sie!