Freitag, 19. April 2024

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"Das Problem ist der Verlauf des Grenzzauns"

Lange: Das oberste Gericht Israels hat den Bauherren letztens schon die Grenze aufgezeigt, heute wird der Internationale Gerichtshof ein Gutachten zum gleichen Projekt veröffentlichen. Es geht um die Sperranlagen zwischen Israel und dem Westjordanland. Die Palästinenser klagen, dass Ihnen damit lebenswichtige, wirtschaftliche Verbindungen gekappt werden und monieren zudem eine schleichende Landnahme. Die israelische Regierung will das Projekt aber unter allen Umständen durchsetzen und macht Sicherheitsinteressen geltend. Beide Seiten schauen also heute nach Den Haag. Am Telefon ist nun Avi Primor, der ehemalige israelische Botschafter in Deutschland. Herr Primor, die israelische Zeitung Haaretz will erfahren haben, dass in den Gutachten die Sperranlagen als völkerrechtswidrig bezeichnet werden. Womit rechnen Sie?

Moderation: Peter Lange | 09.07.2004
    Primor: Mit dem Gleichen. Ich glaube, dass es so sein wird. Ich glaube, das entspricht der Weltöffentlichkeit, der öffentlichen Meinung in aller Welt, selbst in den Vereinigten Staaten sieht man das so. Das Problem ist nicht, dass die Amerikaner oder auch die Europäer wirklich Einwände gegen einen Zaun zwischen Israel und den Palästinensern haben. Es geht nur um den Verlauf des Zauns. Das heißt, ein Zaun, wie die Barak-Regierung vor vier Jahren ihn haben wollte, entlang der alten Grenze zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten, das kann man verstehen, glaube ich, das versteht man in aller Welt, hier geht es um einen Zaun, wie die heutige Regierung ihn baut, innerhalb der palästinensischen Gebiete, der Palästinenser trennt. Darum wird es wahrscheinlich heute in dem Urteil gehen.

    Lange: Es klingt aus dieser Ausführung ein bisschen heraus: Dass wird ein politischer Spruch sein. Ist das so?

    Primor: Na ja, wenn Sie in Betracht ziehen, wer in der Vollversammlung der Vereinten Nationen für so ein Gutachten des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag war und wer dagegen war: 74 Länder haben sich der Stimme enthalten, nur acht haben dagegen votiert, aber 74 Länder haben sich der Stimme enthalten inklusive fast aller Europäer. Warum? Nicht weil sie der israelischen Regierung in dieser Sache zustimmen, sondern weil sie meinen, dass ein Gerichtshof sich nicht zu sehr und zu oft in politische Angelegenheiten einmischen sollte. Darum geht es. Aber zur Sache selber, zum Zaun, glaube ich nicht, dass die 74 Länder der israelischen Regierung zustimmen.

    Lange: Wie beurteilen Sie das Verhältnis zwischen den Sicherheitsinteressen Israels einerseits und den humanitären Menschenrechten der Palästinenser auf der anderen Seite? Wenn dieser Zaun nicht Palästinenser voneinander trennen würde, wäre das keine Problem?

    Primor: Ich glaube, dass es kein Problem wäre. Das sagen selbst die Palästinenser, selbst Arafat hat das gesagt. Die israelische öffentliche Meinung versteht diese Nuance nicht. Die israelische öffentliche Meinung glaubt, dass der Zaun nur gebaut wird, um uns gegen Terror zu verteidigen und nichts anderes. In Wirklichkeit hat die israelische Regierung natürlich auch politische Absichten mit diesem Zaun, sonst hätte sie ihn nicht innerhalb der palästinensischen Gebiete gebaut. Aber für den durchschnittlichen Israeli ist das nicht so verständlich. Hätte die israelische Regierung den Zaun so gebaut, wie die Barak-Regierung ihn bauen wollte, wie gesagt, selbst die Palästinenser würden das verstehen.

    Lange: Haben Sie den Eindruck, dass sich das subjektive Sicherheitsgefühl der israelischen Bürger inzwischen nennenswert erhöht hat?

    Primor: Ja, es gibt weniger Terroranschläge in den letzten Monaten beziehungsweise im letzten Jahr und die israelische öffentliche Meinung geht davon aus, dass der Zaun dafür verantwortlich ist und ist dem Zaunbauer daher eher dankbar, das schon. Ich glaube, dass wenn die politischen Umstände sich nicht ändern werden und die Palästinenser immer noch die Motivation haben werden, Terroranschläge gegen die israelische Zivilbevölkerung auszuüben, dann wird der Zaun kein richtiges Hindernis sein. Sie werden irgendwie Mittel finden, den Zaun zu umgehen.

    Lange: Das Oberste Gericht Israels hat den Verlauf der Grenzsperre auch moniert und zum Teil für unzulässig erklärt. In wie weit wird das Projekt damit verteuert oder erschwert?

    Primor: Die israelische Regierung respektiert natürlich das Urteil des Obersten Gerichtes und wird den Zaun umbauen müssen. Das heißt, sie wird auf Teile der palästinensische Gebiete, in denen man den Zaun bauen wollte, verzichten müssen und den Zaun eher näher der alten Grenze zwischen Israel und den palästinensischen Gebieten bauen. Insofern haben die Palästinenser und die Gegner des Zauns innerhalb Israels einen Sieg erzielt. Aber der Zaun wird immer noch teilweise innerhalb der palästinensischen Gebiete verlaufen und das Problem ist damit noch nicht gelöst.

    Lange: Welche Konsequenzen erwarten Sie denn, wenn der Spruch des Gerichtes in Den Haag so ausfällt, wie wir jetzt vermutet haben? Juristische doch wohl kaum, aber politische?

    Primor: Also juristische Konsequenzen wird es wohl nicht geben, weil es nur um ein Gutachten geht und die Palästinenser werden natürlich versuchen, dann einen neuen Beschluss in den Vereinten Nationen zu erzielen. Das wird aber auch keine große Bedeutung haben, weil nur der Weltsicherheitsrat hier wirklich entscheidend sein kann und da werden die Amerikaner wie gewöhnlich ihr Vetorecht in Anspruch nehmen. Aber der wirkliche Kampf ist nicht juristisch, er ist um die öffentliche Meinung in aller Welt und insofern glaube ich, dass das Gutachten des Gerichtes in Den Haag einen großen Einfluss auf die Weltöffentlichkeit haben wird und das wird die Position der israelischen Regierung erheblich erschweren. Ich glaube nicht, dass die Israelis sich dessen so bewusst sind, wie sehr die weltöffentliche Meinung eine Wirkung auf unsere Politik und auf unsere Situation hat und haben wird. Aber das werden sie noch zu spüren bekommen.

    Lange: In Ihrem Land stehen nun Koalitionsverhandlungen an zwischen der Arbeitspartei und dem Likud von Ministerpartei Scharon. Was zeichnet sich da ab? Ein kurzfristiges Zweckbündnis, um den Abzug aus dem Gaza hinzubekommen oder wirklich eine längerfristige Perspektive?

    Primor: Zunächst einmal geht es tatsächlich um den Abzug aus dem Gaza. Wenn die Arbeitspartei tatsächlich in die Koalition geht, dann nur, um den Weg zum einseitigen Abzug aus dem Gazastreifen zu ermöglichen, beziehungsweise ihn zu erzwingen. Das ist an sich eine gute Sache, wenn auch der Abzug nur ein Teilabzug ist und wenn er auch einseitig ist und nicht mit den Palästinensern vereinbart, so ist es dennoch ein Schritt in die richtige Richtung. Wir werden auf Siedlungen verzichten, wir werden auf palästinensische Gebiete verzichten. Das ist schon ein erster Schritt. Ich gehe aber davon aus, dass es hinter her weiter gehen wird. Vielleicht meint Scharon oder seine Regierung, dass mit diesem einzigem Schritt Ruhe in der israelischen Bevölkerung erzielen können. Das glaube ich nicht. Die israelische Bevölkerung hat die Regierung zu diesem einseitigen Schritt gedrängt und sie wird die Regierung weiter dazu drängen, eine Lösung zu finden und die Arbeitspartei innerhalb der Regierung wird natürlich so einen Druck eher verstärken.