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"Das Produkt Fußball muss im Mittelpunkt stehen"

Der Fußball-Schiedsrichter Herbert Fandel ist eine der Hauptpersonen in dem neuen Dokumentarfilm "Spielverderber", der am Donnerstag ins Kino kommt. "Jeder, der auch nur ansatzweise Interesse oder Spaß am Fußball hat, sollte sich mal ansehen, wie so ein Schiedsrichter als Mensch tickt", sagte Fandel.

Herbert Fandel im Gespräch mit Jochen Spengler | 11.06.2009
    Jochen Spengler: Heute kommt ein Dokumentarfilm namens "Spielverderber" in die Kinos. Dieser Film blickt hinter die Kulissen der Arbeit von Fußballschiedsrichtern. Eine der drei Hauptpersonen ist Herbert Fandel. Der ist hauptberuflich Pianist – ein überaus erfolgreicher: Sieger des Mendelssohn-Wettbewerbs Köln 1988 – darüber hinaus leitet Herbert Fandel die Kreismusikschule Bitburg-Prüm in der Eifel. Einem Millionenpublikum bekannt ist Herbert Fandel aber, weil er seit 20 Jahren Schiedsrichter im Profifußball ist oder besser war: Am vergangenen Wochenende gab der 45-Jährige bekannt, dass der seine aktive Schiedsrichterlaufbahn beendet. Guten Morgen, Herr Fandel!

    Herbert Fandel: Guten Morgen!

    Spengler: Herr Fandel – Konzertpianist und Fußballschiedsrichter, für beides braucht man Disziplin, man braucht Ausdauer, Genauigkeit. Haben Sie beide Tätigkeiten auch schon mal als gegensätzlich empfunden?

    Fandel: Ja, sie haben natürlich mindestens genauso viele Gegensätze wie Vereinbarkeiten, das ist klar, aber um die alle aufzuzählen, würde unsere Zeit sicher nicht reichen. Der größte Gegensatz ist sicherlich für mich, dass in der Musik es viele, viele weiche, moderate und zurückgezogene Stellen gibt in den Werken. Das findet man im Fußball eher selten.

    Spengler: Das heißt, da muss man hart durchgreifen?

    Fandel: Die lauten Momente sind überwiegend im Fußball, das muss man klar feststellen, und natürlich gehört das Durchgreifen oder die Konsequenz auch zu einem Schiedsrichter.

    Spengler: Hat Ihnen das Spaß gemacht?

    Fandel: Das ist eine Leidenschaft, die nie enden wird. Ich mache das 30 Jahre insgesamt. Das ist ein Teil meines Lebens, das ist auch eine Lebenseinstellung, so etwas zu tun. Das hat mir mehr als Spaß gemacht, ja.

    Spengler: Ich kann mir das gar nicht vorstellen, dass es Spaß macht, wenn man für Tausende der Buhmann ist, wenn einen Tausende nach dem Spiel auspfeifen.

    Fandel: Ja, aber gut, macht es Spaß, eine Firma mit 50.000 Mitarbeitern zu führen? Kann das Spaß machen – natürlich kann es das –, Verantwortung zu übernehmen in einem Bereich, der einem am Herzen liegt. Fußball ist das schönste Spiel der Welt. In diesem Zirkus, sage ich mal, habe ich in der Schiedsrichterei an vorderster Front gestanden, habe die großen Spiele leiten dürfen. Das ist etwas, was mir unglaublichen Spaß gemacht hat, ja.

    Spengler: Wie geht man denn damit um, wenn man später, nach einem Spiel, erkennt, dass man mit einer wichtigen Entscheidung völlig falsch gelegen hat?

    Fandel: Ach, damit müssen Sie leben. Jeder, der Verantwortung übernimmt und Führungsarbeit leistet in unserer Gesellschaft, muss sich im Klaren sein, dass er auch Fehler macht. Das müssen Sie an sich akzeptieren, wenn Sie überhaupt erfolgreich sein wollen. Ein schwieriger Weg. Als junger Mensch, ich erinnere mich daran, war das schwierig. Man wollte es nicht akzeptieren, dass man auch Fehler macht. Aber die gehören dazu, weil sie manchmal auch völlig unumgänglich sind in diesem Sport. Das ist leider Gottes sehr schwer, der Öffentlichkeit darzulegen.

    Spengler: Haben Sie sich denn schon mal entschuldigen müssen?

    Fandel: Ich wüsste nicht, weshalb ich mich entschuldigen sollte.

    Spengler: Ja, für einen Fehler zum Beispiel.

    Fandel: Ich habe mich nicht für einen Fehler zu entschuldigen, der passiert ja nicht mit Absicht, sondern der passiert, weil er manchmal unumgänglich ist, trotz bester Vorbereitung und Konzentration. Ich denke nicht daran, mich für so etwas zu entschuldigen, was für mich nicht zu umgehen war.

    Spengler: Nun gibt es anlässlich Ihres Abschieds Blumen von allen Seiten, Ihre souveräne, ausgleichende, Ihre kompetente Art wird gelobt. Vom DFB sind Sie vier Mal zum Schiedsrichter des Jahres gewählt worden. Aber die Spieler, die Profis haben Sie jetzt in einer "Kicker"-Umfrage zum drittschwächsten Schiedsrichter der Rückrunde gewählt. Spinnen die, oder hatten Sie gerade eine Schwächephase?

    Fandel: Ich muss darüber immer ein bisschen schmunzeln. Es ist ja nicht das erste Mal und ich bin ja auch nicht der Erste, auch ein Markus Merk oder ein Helmut Krug, die alle auch ganz vorne standen und die Nummer eins mal waren, wurden von den Spielern dergestalt dann auch gewählt. Das ist nun mal so. Wenn Sie unbequem sind, geradlinig – das möglichen Spieler nicht so und ich weiß, dass der ein oder andere Spieler lieber einen Bogen um mich gemacht hat. Aber das war meine Art, Spiele zu leiten. Die, die mich näher kennen in meinem persönlichen Umfeld, die wissen ganz genau, wie ich ticke. Und als Schiedsrichter war ich halt eben sehr konsequent und geradlinig. Das passt dem einen oder anderen Spieler nicht. Das kann ich gut verstehen.

    Spengler: Wie sehr hat es Sie eigentlich geschmerzt, dass für die letzte Fußballweltmeisterschaft Markus Merk und nicht Sie nominiert worden sind?

    Fandel: Das war innerhalb von wenigen Tagen war das gegessen. Ich ticke da anders. Ich war gut vorbereitet, habe anderthalb Jahre dafür gekämpft, weil ich der Meinung war: Jetzt könnte es funktionieren, weil man mir auch vorgegaukelt hat, dass es nur das Leistungsprinzip ist, was zählt. Dass dann nachher doch wirklich nur ein Schiedsrichter pro Land genommen wurde – was man immer verneint hat im Vorhinein –, hat mir dann nur gezeigt, dass die Sportpolitik niemals aus der Mitte weichen kann und ich auch als Sportler sowas akzeptieren muss. Im Übrigen verlange ich ja auch von meinen Spielern, dass sie meine Entscheidungen akzeptieren, also muss ich auch als Schiedsrichter bereit sein, mal Negatives hinzunehmen.

    Spengler: Wenn Sie mal zurückblicken auf die letzten 20, 30 Jahre – was hat sich verändert?

    Fandel: Die Medienarbeit. Der Schiedsrichter … Vor 20 Jahren kannten die Menschen, die Fußballanhänger kaum einen Schiedsrichter. Heute sind alle Schiedsrichter bekannte Persönlichkeiten, hervorgezerrt durch die Art der Berichterstattung, weil eben nicht das Produkt Fußball im Mittelpunkt steht manchmal, sondern Entscheidungen, Emotionen. Das Sezieren und das Analysieren von Spielsituationen und von Schiedsrichterentscheidungen steht viel zu sehr im Mittelpunkt der Berichterstattung. Das hat sich geändert, dadurch ist die Arbeit des Schiedsrichters deutlich schwerer und der Druck enorm gewachsen.

    Spengler: Wieso sagen Sie "viel zu sehr im Mittelpunkt"? Es ist doch ganz gut, wenn man im Nachhinein so ein Spiel zerlegt, analysiert.

    Fandel: Ich meine einzelne Situationen. Strafraumszenen, wo es einen leichten Körperkontakt gegeben hat, zeigt man aus fünf verschiedenen Kamerapositionen. Das ist mir des Guten zu viel. Wenn ich ein hervorragendes Produkt habe und dieses Produkt verkaufe, dann steht das Produkt an sich im Mittelpunkt, aber nicht diese Nebenkriegsschauplätze, wie wir sie teilweise in unseren Medien finden.

    Spengler: Herr Fandel, Sie als Bundesligaschiedsrichter – hat sich Ihre Art, ein Spiel zu leiten, verändert in den letzten 20 Jahren?

    Fandel: Ja, deutlich.

    Spengler: Was machen Sie heute anders?

    Fandel: Als junger Mann fehlte mir das Repertoire, auf bestimmte Situationen mit verschiedenen Antworten da zu sein. Wie jeder junge Schiedsrichter klammerte ich mich an das Gesetzbuch, an die Fußballregeln. Das hat sich gegeben. Die Akzeptanz ist gestiegen in den letzten Jahren und die Spieler wussten genau, mit wem sie es zu tun haben. Es kam viel Erfahrung dazu, also konnte ich auch viel relaxter diesen Job ausüben. Das hat mir und wahrscheinlich auch den Spielen, die ich geleitet habe, gutgetan.

    Spengler: Warum hören Sie jetzt auf?

    Fandel: Dies jetzt ist der richtige Moment. Ich habe ausschließlich positive Gedanken an diese Karriere. Der ein oder andere hat nicht damit gerechnet. Es wurde auch noch nirgendwo gefordert, Mensch, der alte Fandel sollte mal zur Seite gehen. Das war so mein Wunsch: aufzuhören, wenn ich wirklich ein absolut positives Gefühl habe. Und das ist jetzt der Moment.

    Spengler: Hängt das auch an dem Film, der heute in die Kinos kommt?

    Fandel: Nein, das hat damit nichts zu tun. Der Film ist ein Produkt, das wir in den letzten Jahren erarbeitet haben, hat nichts mit meinem Abschied zu tun.

    Spengler: Warum sollten wir uns diesen Film angucken?

    Fandel: Das sollte eigentlich jeder, der auch nur ansatzweise Interesse oder Spaß am Fußball hat, sollte sich mal ansehen, wie so ein Schiedsrichter als Mensch tickt, weil viel zu sehr geht es bei der Frage oder bei dem Thema Schiedsrichter um Fehlentscheidungen, um Entscheidungen, die ein Spiel beeinflussen et cetera. Man sollte mal hinter die Kulissen gucken: Wer sind die Leute, die sowas machen? Das zeigt der Film aus meiner Sicht eindrucksvoll.

    Spengler: Der Film "Spielverderber" kommt heute in die Kinos und wir haben mit einem der "Spielverderber" gesprochen, mit dem langjährigen Fußballprofischiedsrichter Herbert Fandel. Herr Fandel, herzlichen Dank für das Gespräch!