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Das Verzehren der Untiere

Der nordöstliche Rio Sao Francisco versorgt die idyllischen Uferrestaurants des brasilianischen Kolonialstädtchen Piranhas mit Fischen. Auch mit dem gleichnamigem Raubfisch. Der ist trotz seines fürchterlichen Aussehens eine schmackhafte Delikatesse.

Von Klaus Hart | 27.11.2011
    "Keine Angst", lachen drei Einheimische, "machts wie wir – lasst euch bei dieser Hitze die Piranhas hier im kühlen Fluss schmecken, in dem sie schwimmen."

    Die Drei haben sich einen Restauranttisch nebst Sonnenschirm ins flache Wasser des Strands von Piranhas gestellt, genießen die knusprigen Fische. Kann das gu tgehen? Im Rio Negro Amazoniens hatte mir ein Piranha mit einem Ruck ein Stück Fleisch aus dem Schenkel gerissen.

    Dann schon lieber ohne Nervenkitzel im schlichten offenen Restaurant "Badaué" solch ein Untier verzehren – der Blick auf das Flusstal des nach dem Heiligen Franziskus benannten Rio Sao Francisco ist grandios. Um die reichlich vorhandenen Piranhas zu fangen, fahren die Fischer mit einfachen, schmalen Motorkähnen hinaus – den ersten bringen die Franziskaner vor weit über hundert Jahren aus Deutschland mit.

    Badaué-Garçon Pedro serviert – großes Hallo an den Tischen der Zugereisten, denn die trotz des entsetzlichen Gebisses sehr appetitlich wirkenden Piranhas füllen den ganzen Teller aus. Irgendwelche Geheimrezepte, spezielle Tipps? Pedro verneint.

    "Wir machen da gar nichts Besonderes – Sojaöl und Salz – weiter nichts."

    Ein starker, würziger Eigengeschmack – vielen anderen Fischen Brasiliens deutlich überlegen. Bessere Piranhas als in Piranhas kriegt man kaum noch irgendwo in dem Riesenland vorgesetzt – wenn doch der weite Anfahrtsweg von Rio oder Sao Paulo nicht wäre!

    Wer gleich neben den Tischen nach dem Espresso vorm Weiterspazieren eine kühlende Dusche nehmen will – auch das geht hier – denn in Piranhas fühlt man sich tagsüber von einem tropischen Gluthauch oft regelrecht gegrillt. Schatten spendet Gottseidank der uralte, zum Regionalmuseum umgebaute Bahnhof, wo das Leben von Lampiao, Brasiliens berüchtigtstem Banditenchef, nachgezeichnet wird.

    Stadthistorikerin Monica Santos Dias schildert lebhaft, wie Lampiao im Nordosten sein Unwesen treibt und die Bevölkerung terrorisiert, bis er 1938 in der nahen Angico-Grotte von Stadtleutnant Joao Bezerra und dessen Soldaten aufgespürt wird – Maschinengewehre rattern, Granaten explodieren, die abgetrennten Köpfe von Lampiao, seiner ebenso gefürchteten Ehefrau Maria Bonita und neun Getreuen werden vor der kleinen Piranhas-Präfektur ausgestellt, die Leute feiern ausgelassen sogar mit Feuerwerk.

    "Gleich zwei brasilianische Filmklassiker, einer über Lampiao und sogar `Bye-bye Brasil´, wurden hier gedreht und machten Piranhas berühmt","

    sagt die Stadthistorikerin stolz.

    ""Das Fernsehen kommt wegen unserer Musikfestivals, produziert hier Serien und Humorsendungen. Piranhas ist denkmalsgeschützt – jedes Jahr kriegen die Hausbesitzer neue Farbe für die Fassade gratis. Klar – manche Auswärtige spotten über den Stadtnamen – aber das stecken wir weg!"

    Denn im Rest des Landes nennt man sündige Frauen, Prostituierte ebenfalls Piranhas.

    Mangobäume und bis zu vier, fünf Meter hohe Kakteen zieren das Städtchen. Eine steile Treppe, die Tiefgläubige auf den Knien erklimmen, führt zu einer kleinen Wallfahrtskapelle – eine weitere Treppe gleich gegenüber zum höchstgelegenen Bergrestaurant "Flor de Cactus", Kaktusblüte. Just bei wolkenlosem Himmel und grandiosem Sonnenuntergang fliegen einem nicht selten leichtere Teile des Abendessens, wie Reis und Gemüse, um die Ohren – der freundliche Kellner hatte vor dem Wetterphänomen plötzlicher starker Windstöße gewarnt!

    Wer gerne Akkordeon spielt – das Instrument gibt beim Forró, dem beliebtesten Nordostrhythmus, den Ton an – und Piranhas hat natürlich eine Akkordeonschule, man hört sie schon von weitem. Viele Piranhenser sitzen abends nicht etwa vor der Glotze, sondern vor den Türen, singen zur Gitarre, schwatzen mit den Nachbarn, vergnügen sich mit Brett-und Kartenspielen, bevölkern die Straßenbars am Fluss. Enorme Frösche hüpfen vorbei, die hier als Moskito-und Schneckenvertilger sehr geschätzt sind.

    Einmal in Piranhas, ist die Ausflugsfahrt durch die nahen malerischen Canyons des 60 Quadratkilometer großen Xingó-Staudamms geradezu ein Muss. Der Katamaran hält für eine Stunde an einem Felsendom – und alles stürzt sich in die Fluten. Auch die Rückfahrt gerät auf dem Sonnendeck wieder zum Kurzlehrgang in brasilianischer Populärmusik – die netten offiziellen Reiseführer bieten das Gehörte auf spottbilligen CDs an – wie fast überall im Lande Schwarzpressungen.