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Das Wort der Kirche ist "durchaus notwendig"

Günther Beckstein will die Kirche stärker positioniert sehen: Differenzierte Beiträge zu gesellschaftlichen Themen wie etwa dem Einsatz in Afghanistan seien gefragt, nicht nur Schlagzeilen.

Günter Beckstein im Gespräch mit Anne Raith | 01.06.2011
    Anne Raith: Die Kirchen haben viel zu sagen, ihre Positionen sollten mehr Gehör finden. Das fordert Bundespräsident Christian Wulff und fügt im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst gleich hinzu, "die Kirchen müssen stärker auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren". Der Evangelische Kirchentag, den Wulff heute mit eröffnet, könnte dafür eine Plattform bieten, denn die großen Themen, die dort auf den Podien diskutiert werden sollen, sind gesellschaftspolitische: Atomausstieg, Integration, Finanzkrise, Krieg und Frieden. Doch wann sollte die Kirche Stellung beziehen? Wo sind die Grenzen? – Ein großes Thema werden der Krieg in Afghanistan und weitere etwaige Interventionen der Bundeswehr sein. Darüber wollen wir sprechen mit Günther Beckstein, dem Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Einen schönen guten Morgen!

    Günther Beckstein: Einen guten Morgen.

    Raith: Herr Beckstein, seit zehn Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan. Erst am Wochenende sind wieder Soldaten und Zivilisten ums Leben gekommen. Hatte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Käßmann recht mit ihren Worten, nichts ist gut in Afghanistan?

    Beckstein: Es war richtig, dass sich Frau Käßmann in diese Frage eingeschaltet hat. Die Aussage als solche erscheint mir zu undifferenziert zu sein, denn die Bundeswehr, die in einer ganz, ganz schwierigen Situation ist, ist ja nicht dort, um sozusagen Krieg zu führen, sondern es sollen einerseits Terroristen keinen Schutzraum haben und andererseits soll der Transformationsprozess von Afghanistan in einer menschenrechtsgemäßen Gesellschaft gefördert werden, und da sind durchaus auch gute und wichtige Ansätze zu sehen. Deswegen hat der Nachfolger von Frau Käßmann, Präses Schneider, auch eine sehr viel differenziertere Äußerung abgegeben nach seinem Besuch in Afghanistan.

    Raith: Damals gingen die Wogen ja hoch, als sich Margot Käßmann als Bischöfin politisch positionierte. Zurecht oder zu Unrecht?

    Beckstein: Wenn man sich, jetzt sage ich mal, mit einer sehr klaren und vielleicht auch provozierenden These meldet, dann ist es selbstverständlich, dass es Kritik gibt außerhalb der Kirche, aber auch innerhalb der Kirche. Es hat auch innerhalb der Kirche viele kritischen Stimmen gegeben. Deswegen hat nach dieser Äußerung von Frau Käßmann der Rat der Evangelischen Kirche eine Erläuterung hinzugefügt, und diese Erläuterung ist ein sehr differenziertes Urteil, dass man einerseits sagt, natürlich muss man ganz, ganz sorgfältig sein, es ist eine hochproblematische Frage, mit Waffengewalt den Frieden durchsetzen zu wollen, andererseits muss das in bestimmten Situationen erfolgen. Das bedeutet für Afghanistan, dass man sagt, jawohl, der Einsatz ist zu rechtfertigen, kann vertreten werden, aber man muss einerseits sehr wohl das Ziel vor Augen haben, eine Gesellschaft, die die Menschenrechte beachtet, durchzusetzen, und andererseits muss ja auch wieder ein Ausstiegsszenario aus Afghanistan sichtbar werden, und deswegen fordert die evangelische Kirche einerseits, das Engagement für den friedlichen Aufbau einer Zivilgesellschaft zu verstärken, und andererseits, sich realer mit der Frage der Ausstiegssituation aus Afghanistan besser zu beschäftigen.

    Raith: Auf dem Kirchentag drehen sich auch zahlreiche Debatten um eben diesen Krieg, um den Einsatz in Afghanistan und um andere militärische Interventionen. Will sich die Kirche in Zukunft wieder ähnlich stark oder stärker positionieren?

    Beckstein: Ich glaube, dass die Kirche sich jedenfalls ganz eindeutig positionieren will, wobei es nicht immer eine ganz eindeutige einheitliche Aussage gibt. Wir haben in der evangelischen Kirche nicht einen Papst, der ex Cathedra dann uns allen verkündet, was richtig oder falsch ist, sondern wir sind als evangelische Kirche eine Kirche der Freiheit, wo unterschiedliche Positionen auch durchaus ihren Standpunkt haben. Aber die entscheidende Frage heißt um so prinzipielle Fragen wie Krieg oder Frieden, die Frage, wo soll sich Deutschland auch im Ausland engagieren. Da muss eine leidenschaftliche und tiefschürfende Debatte geführt werden, weil hier Glaubensfragen natürlich unmittelbar auch berührt sind, und deswegen ist das Wort der Kirche, auch wenn es unter Umständen unterschiedliche Inhalte hat, durchaus notwendig.

    Raith: Aber wie schwierig ist dieser Balanceakt, sich gerade in Bezug auf eine kriegerische Auseinandersetzung, auf einen Kriegseinsatz zu positionieren?

    Beckstein: Natürlich ist das eine ganz besondere Schwierigkeit. Zunächst gilt das fünfte Gebot, Du sollst nicht töten, und das völlig eindeutig, dass die Frage der Gewaltanwendung - das ist in einem Krieg der Fall, wo Menschen getötet werden – immer dazu führt, dass man schuldig wird. Auf der anderen Seite ist es auch offensichtlich, dass, wenn man einfach beiseite steht und Unrecht geschehen lässt, auch unter Umständen Schuld passiert. Wir haben das in der umgekehrten Situation jetzt im Moment in der Frage, soll Deutschland bei dem Libyen-Einsatz des Westens mit dabei sein oder nicht. Also das sind Fragen, die man auch nicht mit einer absoluten, ein für alle Mal richtigen Entscheidung treffen kann, sondern die von der Situation abhängig sind und von der Einschätzung der Situation.

    Raith: Aber, Herr Beckstein, bleiben wir bei der Situation in Libyen, wo es ja scheinbar nur die Wahl gab zwischen einem militärischen Eingreifen, bei dem möglicherweise Menschen sterben, und einem Bürgerkrieg.

    Beckstein: Der UN-Sicherheitsrat hat sich mit dieser Frage beschäftigt und hat gesagt, es ist notwendig, die Zivilbevölkerung zu schützen, einzugreifen. Deutschland hat sich bei dieser Situation enthalten, denn die Mittel, die damals beschlossen worden sind, waren, dass lediglich aus der Luft hier gegen Gaddafi und seine Truppen vorgegangen wird, und da war die Auffassung der Bundesregierung, dass man allein mit Luftschlägen die Aufgaben nicht erfüllen kann. Und ich glaube, die Situation seither hat die Position der Bundesregierung eher bestärkt. Da gibt es in dieser Frage auch in unserer Kirche unterschiedliche Meinungen: die einen, die sagen, man hätte eingreifen sollen, wie Engländer, Franzosen und Amerikaner, es gibt aber, wie ich meine, eine überwiegende Meinung, die sagt, die Bundesregierung hat recht getan, hier nicht dabei zu sein, weil hier mit den beschlossenen Mitteln im UN-Sicherheitsrat ein anständiger Schutz der Bevölkerung nicht möglich ist.

    Raith: Aber gehört, Herr Beckstein, haben wir die evangelische Kirche in dieser Debatte nicht.

    Beckstein: Also die Kritik ist nicht unberechtigt, gerade weil die Frage auch sehr umstritten war, hat hier eine öffentliche Positionierung zwar stattgefunden, aber nicht in einer Weise, dass sie sonderlich hörbar war. Das ist einer der Punkte, die auch für die Kirche mit Schwierigkeiten verbunden ist, dass Äußerungen, die klar und vielleicht auch provozierend sind, sehr viel stärker gehört werden als eine differenzierte Abwägung. Trotzdem ist es in der Regel die Aufgabe der Kirche, differenzierte Standpunkte zu bringen und nicht etwa nur Schlagzeilen.

    Raith: Aber geht es nicht auch darum, Herr Beckstein, gerade in umstrittenen Fragen, in moralisch umstrittenen Fragen eine Leitlinie zu zeigen?

    Beckstein: Das ist richtig. Allerdings noch mal: Wir haben nicht eine Amtsautorität, die dann sagt, die eine Meinung ist richtig und die andere Meinung ist falsch, sondern in einer Kirche der Freiheit ist das einzelne Gewissen durchaus gefordert. Es ist nicht zu sagen, wenn ein Christ eine andere Meinung hat zu Afghanistan, oder zu Libyen, als es der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland selber veröffentlicht hat, dass das dann eine nicht christliche Stellungnahme ist. Trotzdem ist es die Aufgabe auch der kirchenleitenden Organe, eine Stellungnahme abzugeben, die dann in aller Regel auch die Leitlinie sein wird für die meisten Christen.

    Raith: Möglicherweise kommen ja, wenn es nach Bundesverteidigungsminister de Maizière geht, noch weitere Auslandseinsätze auf uns, auf die Bundeswehr zu, auch wenn sie die deutschen Interessen nicht berühren, aus reiner internationaler Verantwortung, wie es heißt. Sehen Sie diese Verantwortung auch?

    Beckstein: Die Frage, wie weit die Bundesrepublik Deutschland als eines der ganz großen Länder und mächtigen Länder der Welt auch mithelfen muss, bestimmte Ordnungen einzuführen, wenn bei dem Krieg in Somalia Hunderttausende von Menschen getötet werden, dass dann unter Umständen auch nicht wegen deutscher Interessen, sondern einfach schlichtweg wegen humanitärer Fragen Deutschland sich engagiert, derartige Fragen halte ich für möglich. Es wird übrigens am Kirchentag gerade mit Thomas de Maizière da sehr heftige Diskussionen geben. Er ist ja zu diesem Thema am Kirchentag, wird eine Rede halten, wird sich der Diskussion stellen. Ich selber bin sehr gespannt, wie das ablaufen wird.

    Raith: ... , sagt Günter Beckstein, der Vizepräses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Beckstein: Auf Wiederhören!