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Daten ohne "Akten-Rückhalt"
Warum Staatsschutzdateien oft fehlerhaft sind

Zahlreiche Journalisten verloren beim G20-Gipfel in Hamburg ihre Akkreditierung. Der Grund: Ihr Name war in den Sicherheitsdateien des Bundes aufgetaucht. Die Qualität dieser Daten gilt als mangelhaft. Doch es fehlt an politischer Initiative, diese Mängel zu beseitigen.

Von Peter Welchering | 17.03.2018
    Ein Schild weist auf das Bundeskriminalamt in Wiesbaden hin.
    Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden ist auf Informationen der Polizeistellen und des Verfassungsschutzes der Länder angewiesen, ohne diese Daten kontrollieren zu können. (dpa)
    Andrea Voßhoff: "Da wäre es wünschenswert, wenn klare Vorgaben bestehen, so dass auch für alle Polizei-Behörden oder andere Behörden, die Daten in diese Dateien einpflegen, klar ist, welche Daten hineingehören."
    Manfred Kloiber: "Sagt Andrea Voßhoff im Deutschlandfunk-Interview, die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Im Innenausschuss des Deutschen Bundestages sind die Sicherheitsdateien des Bundes seit Jahresanfang ein ständiges Thema. In diesen Sicherheitsdateien werden die ganzen Informationen aus dem ganzen Land über vermeintliche Extremisten und Gewalttäter zusammengeführt.
    Haben denn Behörden und Sicherheitspolitiker aus dem Akkreditierungsdebakel mit diesen Sicherheitsdateien auf dem G20-Gipfel im vergangenen Jahr gelernt, Peter Welchering?"
    "Problem aus der öffentlichen Diskussion heraushalten"
    Peter Welchering: "Offenbar nicht, denn die Diskussionen werden hinter verschlossenen Türen geführt. In einem vertraulichen Bericht an den Bundestag äußert die Bundesdatenschützerin zwar vorsichtige Kritik über die Datenqualität des polizeilichen Informationssystems INPOL. Aber in der Öffentlichkeit mag sie diese Kritik aber nicht wiederholen. Dabei sind die Mängel der Sicherheitsdateien des Bundes, die wir nach dem G20-Gipfel ja recherchiert haben, im vertraulichen Bericht der Datenschützer weitgehend bestätigt. Aber es werden keine Konsequenzen daraus gezogen.
    Aber es werden keine Konsequenzen daraus gezogen. In der Großen Koalition will man dieses Problem mit den Sicherheitsdateien auf die lange Bank schieben. Entsprechende Sitzungen des Innenausschusses werden deshalb nicht öffentlich durchgeführt. Dass die Sicherheitsdateien des Bundes nicht nur die Freiheit der Medien gefährden, sondern eigentlich ein Risiko für jeden unbescholtenen Bürger sind, weiß die Bundesregierung. Aber sie will am miserablen Standard der Sicherheitsdateien, auch übrigens am himmelschreienden technischen Standard, nichts ändern.
    Vor allen Dingen die Verfassungsschützer leisten hier massiven Widerstand. Deshalb gilt in Berlin die Parole: das Problem aus der öffentlichen Diskussion heraushalten. Genau deshalb finden in den Gremien die Diskussionen nicht öffentlich statt."
    Kloiber: "Das war und ist eine schwierige Ausgangslage für ein Gespräch mit der Bundesdatenschutzbeauftragten. Deshalb hat es auch lange gedauert, bis wir Andrea Voßhoff im persönlichen Gespräch zu den Sicherheitsdateien des Bundes befragen konnten. Wir haben das einstündige Gespräch hier knapp zusammengefasst."
    "Bundesbeauftragte konnte nur ein Teilsegment der Daten prüfen"
    Andrea Voßhoff, Bundesdatenschutzbeauftragte: "Ich nehme mal eine Datei, die sogenannte Verbunddatei INPOL. Wenn das BKA in seiner Funktion als Halter dieser Datei solche Daten erhält, die ausschließlich von den Ländern dorthin gegeben werden, dann ist das BKA nicht zuständig für die Kontrolle dieser Daten oder für die Frage 'Durften diese Daten eingegeben werden?', sondern die Länder.
    Das macht es problematisch, weil die Bundesbeauftragte für den Datenschutz in solchen Fällen dann aber auch nur die Dateien oder die Daten überprüfen kann, die von dem BKA oder BfV, also von der Bundesbehörde, dort eingegeben oder die sie sich zu eigen gemacht hat.
    Alle anderen Dateien, die sich dort wiederfinden und möglicherweise zu einer Entscheidung geführt haben, unterliegen der Kontrolle meiner Länderkollegen. Das macht es etwas schwierig, so dass die Bundesbeauftragte nur ein Teilsegment sozusagen der in diesen genannten Dateien vorhandenen Daten prüfen konnte."
    "Datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden"
    Und deshalb kommt die Bundesdatenschutzbeauftragte zu dem Schluss, dass der Beitrag des Bundeskriminalamtes am G20-Akkreditierungsverfahren datenschutzrechtlich nicht zu beanstanden sei. Das BKA hatte ja den Daten, die unter anderem von den Verfassungsschützern geliefert worden waren, nicht so recht trauen wollen. Verantwortlich für die schlechte Datenqualität sind nach ihrer Einschätzung die Polizeibehörden der Länder und die Verfassungsschutzämter, von denen das Bundeskriminalamt die Daten bekommen hat.
    In den nicht-öffentlichen Sitzungen soll die oberste Datenschützerin der Republik vorsichtige Kritik geäußert haben. Von strukturellen Mängeln des INPOL-Systems zum Beispiel sei die Rede gewesen. Der fehlende Aktenrückhalt ist solch ein Mangel. Datenanalysten beim Bundeskriminalamt beschweren sich oft darüber, dass zu Einträgen keine Belege vorhanden sind. Sie sollen dann einfach ohne weitere Dokumente glauben, dass das, was in der Datei steht, auch wirklich stimmt und keine bloße Vermutung ist.
    Zum Beispiel, dass ein Journalist insgesamt eine extreme Gesinnung habe. Viel zu oft melden Landeskriminalämter oder Verfassungsschützer solche Vermutungen an das BKA, bleiben aber die Belege und weiterführenden Akten schuldig. Die Bundesdatenschützerin bewertet das im Gespräch mit dem Deutschlandfunk so:
    Voßhoff: "Es ist nicht vorgeschrieben, dass in dem Sinne Akten-Rückhalt mitgeliefert wird. Das Problem ist, wenn die Länder, Landespolizeien zum Beispiel, Daten einpflegen, dann verfügen sie nur über den Akten-Rückhalt, warum und wieso das Datum eingegeben wurde. Und demzufolge ist es dann auch notwendig, dass wenn so ein Datum in der Diskussion ist und geprüft werden muss, war es ordnungsgemäß eingegeben oder nicht, dann auf den Akten-Rückhalt zurückgegriffen wird. Aber dann bei den Ländern und auch durch meine Länderkollegen."
    Viel zu oft werden völlig unbescholtene Bürger nur auf Grund der Vermutung eines Behördenmitarbeiters in die Sicherheitsdateien eingetragen. Einträge zu polizeilichen Ermittlungen bleiben selbst dann in den Verbunddateien vermerkt, wenn der Betroffene längst von einem ordentlichen deutschen Gericht freigesprochen worden ist. Andrea Voßhoff erklärt das so:
    Die Bundesbeauftragte für Datenschutz, Andrea Voßhoff, gestikuliert.
    Die Bundesbeauftragte für Datenschutz, Andrea Voßhoff: "Rücklauf manchmal nicht so präzise." (Hannibal Hanschke, dpa picture-alliance)
    Voßhoff: "Der Rücklauf des Ausgangs des Verfahrens von den Justizbehörden, Staatsanwaltschaft, Gerichte, ist manchmal nicht so präzise, dass Polizeien oder diejenigen, die diese Daten eingegeben haben, erkennen können, ob zum Beispiel noch ein Eintrag weiterhin erfolgen muss, ob es eine entsprechende negative Prognose gibt, weshalb man die Daten weiterhin führt."
    Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit hat von einer förmlichen Beanstandung abgesehen, obwohl ihr Haus sämtliche Mängel in den Sicherheitsdateien des Bundes, über die der Deutschlandfunk berichtet hat, auch gefunden hat. Weil aber das BKA das Problem und die Fehler im Prinzip erkannt habe, sei eine Beanstandung für die Bundesdatenschützerin nicht zwingend notwendig.
    Freigesprochen, aber noch in Staatsschutzdateien gespeichert
    Kloiber: "Nun hat die Bundesregierung ja am Montag dieser Woche sehr umfassend Stellung genommen zu diesen Mängeln. Ergibt sich daraus denn eine Perspektive, wie und wann diese Mängel in den Sicherheitsdateien des Bundes abgestellt sein könnten?"
    Welchering: "Leider überhaupt nicht. Die Bundesregierung hat am Montag auf eine kleine Anfrage der Fraktion "Die Linke" im Deutschen Bundestag geantwortet. Und da ging es eben darum, dass es Betroffene gibt, gegen die wird ermittelt von den Staatsschutzbehörden, aber die wurden beispielsweise von einem Gericht freigesprochen oder das Ermittlungsverfahren gegen sie wurde eingestellt. Gleichwohl sind aber genau diese Menschen immer noch in den Staatsschutzdateien gespeichert.
    Da wollten die Abgeordneten der Fraktion Die Linke wissen, um wie viele Personen es sich denn da handelt. Antwort der Bundesregierung: Das wissen wir nicht. Und die Abgeordneten wollten weiterhin wissen, inwieweit denn die Einträge in den Staatsschutzdateien bei der Datenmigration in den neuen BKA-Datenpool bereinigt werden, beziehungsweise ob die Daten darauf überprüft werden, ob der Eintrag eigentlich rechtmäßig ist. Antwort der Bundesregierung: Die Frage lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Also, aus diesen Antworten der Bundesregierung lernen wir: Aus den bisherigen datentechnischen Fehlern in den Sicherheitsdateien des Bundes hat die Regierung nichts gelernt. Und die Fehler werden auch bei den Dateiumstellungen, die jetzt ja im Zuge des BKA-Gesetzes geplant sind, eben nicht bereinigt."
    Kloiber: "Also aus der Bundesebene ist da wohl wirklich wenig zu erwarten. Inwieweit können die Länder hier denn Verbesserungen bewirken?"
    Welchering: "Einzelne Länder probieren das ja schon. Im Hamburg werden die polizeilichen Einträge vom Landesbeauftragten überprüft. In Baden-Württemberg führt das Landeskriminalamt bei Akkreditierungsverfahren eigene Recherchen durch, weil sie den Daten der Sicherheitsdateien des Bundes nicht mehr so ganz trauen. Nur das behebt ja das Problem nicht. Selbst BKA-Datenanalysten sagen ja, dass diese massiven Mängel in den Sicherheitsdateien ihre Arbeit behindern. Dass die Datenpraxis des Bundes ein totales Risiko für jeden unbescholtenen Bürger ist, das steht ja außer Frage. Aber solange auf Bundesebene der Wille nicht vorhanden ist, diese Mängel abzustellen, bleiben die Sicherheitsdateien des Bundes eine hochriskante Angelegenheit. Und da können die Länder machen, was sie wollen."
    Kloiber: "Ein besonderes Problem scheint ja der Datenaustausch zwischen Verfassungsschützern und dem BKA zu sein. Was müsste da passieren?"
    "Eintragungen werden dann nicht mehr quellenkritisch überprüft"
    Welchering: "Die beiden Stichworte hier lauten: Aktenrückhalt und Protokollierung. Weil genau diese Protokollierung fehlt, kann nicht mehr nachvollzogen werden, woher die Eintragung stammt und wodurch sie begründet ist. Und deshalb führen die Sicherheitsdateien ein fatales Eigenleben. Denn die Eintragungen werden dann nicht mehr quellenkritisch überprüft, die werden einfach nur übernommen. Und weil diese Eintragungen in vielen Fällen nicht durch Indizien gedeckt sind, sondern auf der Grundlage bloßer Vermutungen zustande gekommen sind, gelten plötzlich vollkommen unbescholtene Bürger als Straftäter, eben weil sie in der entsprechenden Straftäterdatei stehen, aber keine Straftat begangen haben. Und das ist ein unhaltbarer Zustand."
    Kloiber: "Nun haben ja einige Länderpolizeien Besserung gelobt. Die haben gesagt, sie würden künftig weitere Dokumente zur Verfügung stellen. Ist das nicht ein erster Schritt?"
    Welchering: "Ein erster Schritt sicherlich. Aber mit dem kommen wir nicht weit. Das machen ja nicht alle Bundesländer. Und selbst wenn das alle Länder machen würden, müsste geklärt werden, welche Dokumente denn bereitgestellt werden. Die Bundesdatenschützerin hat ja zu Recht darauf hingewiesen, dass die gesetzlichen Grundlagen für derartige Übermittlungen stark interpretationsbedürftig sind. Und die werdeneben sehr unterschiedlich interpretiert. Und da brauchen wir klare Kriterien für die Verwaltungspraxis, die es aber nicht gibt."
    Kloiber: "Wie könnten diese Kriterien aussehen? Geben Sie mal ein Beispiel."
    Welchering: "Zum Beispiel müssen Bagatellvorkommnisse definiert werden. Und dann muss klar sein, ab wann solche Vorkommnisse sozusagen eintragstauglich sind. Und genau das fehlt den Sicherheitsdateien des Bundes."
    Kloiber: "Die fehlerhaften Sicherheitsdateien des Bundes und wie mit ihnen umgegangen wird, darüber sprach ich mit Peter Welchering, danke!"
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.