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Der Fall Welteke

Ernst Welteke bleibt vorerst Bundesbankpräsident. Er darf sein Amt nur nicht mehr aktiv ausüben. Der Empfehlung des Bundesbankvorstandes wegen der staatsanwaltlichen Ermittlungen gegen ihn, sein Amt ruhen zu lassen, ist er gestern gefolgt. Doch dass Welteke tatsächlich noch einmal seine Amtsgeschäfte aufnehmen kann, daran hegt man große Zweifel. Zumindest kann dieser Schwebezustand nicht lange andauern, meint Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Investmentgesellschaft Invesco:

von Michael Braun, Frank Capellan und Brigitte Scholtes | 08.04.2004
    Ich meine das Wort "ruhen" suggeriert ja schon, dass man nicht ewig ruhen kann. Von daher ist es sicherlich keine dauerhafte Lösung. Entweder er kehrt zurück ins Amt oder er tritt zurück, aber auf Dauer kann man nicht ruhen. Die Bundesbank hat ja auch ein Interesse daran, dass ihre sehr hohe Reputation in der Öffentlichkeit nicht nachhaltig beschädigt wird.

    Der Rücktritt scheint also unausweichlich. Der Vorstand der Bundesbank hat seinem Präsidenten nur erst einmal geholfen das Gesicht zu wahren. Aber in den nächsten Tagen oder spätestens Wochen werde er seinen Abschied nehmen müssen, glauben die meisten. Dass Welteke gestern noch nicht zurückgetreten oder abgerufen wurde, dürfte weniger an der Beurteilung des individuellen Falls gelegen haben denn am Druck, der von der Bundesregierung auf den Vorstand aufgebaut wurde. Je größer der wurde, desto mehr hatte die Bundesbank offenbar das Gefühl, diesem Übergriff der Politik Einhalt gebieten zu müssen. Die Bundesbank ist nicht an die Weisungen der Politik gebunden. Diese Bestimmung sollte sie bei ihrer Gründung 1948 vor allem frei machen bei der Inflationsbekämpfung, damit es nicht noch einmal zu einer solchen Geldentwertung wie in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts kommen könnte. Diese Unabhängigkeit hält die Bundesbank hoch, darauf verweisen die Notenbanker immer wieder, so auch Ernst Welteke bei seiner Antrittsrede als Bundesbankpräsident am 30. August 1999, als er gerade die Ernennungsurkunde von Bundesfinanzminister Hans Eichel erhalten hatte.

    Ich werde nicht vergessen, dass man als Bundesbankpräsident die Nähe zum Bundesfinanzminister aber auch nicht übertreiben darf. Wenn ich meine Freude dennoch gerne und ohne zu zögern hier ausdrücke, dann, weil ich weiß, dass die Unabhängigkeit der Notenbank für sie den gleich hohen Stellenwert hat wie für mich, dass im finanzpolitischen Bereich sicherlich auch Übereinstimmungen bestehen, denn schließlich war ich ja etwas mehr als ein Jahr in ihrem Kabinett Finanzminister.

    Das war aus heutiger Sicht vielleicht eine Fehleinschätzung. Und weil die Bundesbank das zu erkennen glaubt, reagiert sie so empfindlich wie eh und je und wählt den Anlass der Hotelaffaire, um der Bundesregierung wieder einmal zu zeigen, dass sie unabhängig auch über den Verbleib ihres Präsidenten entscheiden kann. Die einflussnahme der Bundespolitik siehrt man in Bankenkreisen auch nicht gerne, so meint Ulrich Karter, Chefvolkswirt der Deka-Bank:

    Es ist seit langem unumstritten, dass man mit der Geldpolitik eben keine wirtschaftpolitischen Probleme, ob das Arbeitslosigkeit ist, ob das Konjunkturschwäche ist, ob das Arbeitsplatzverlagerung oder ähnliche Dinge sind, dass man mit der Geldpolitik diese Probleme nicht angehen kann, und dass sie deswegen auch aus gutem Grund herausgenommen ist aus der allgemeinen Tagespolitik. Man sollte jetzt nicht solche Gelegenheiten wahrnehmen, um wieder ein Stückchen Einfluss auf die Geldpolitik oder auf die Bundesbank zu bekommen. Das ist ganz sicherlich der falsche Weg.

    Wenn die Notenbank gestern auch mit ihrer Entscheidung, Welteke vorerst im Amt zu belassen, Kritik hervorgerufen hatte, so hat sie heute doch noch eine Entscheidung hinterher geschoben, die ihren Ruf wieder festigen dürfte. Der Vorstand hat nämlich beschlossen, den Verhaltenskodex für die Mitglieder des EZB-Rates zu übernehmen. Das soll mit sofortiger Wirkung und ausdrücklich analog geschehen. Außerdem wird ein Beraeter in ethischen Angelegenheiten ernannt. Bisher war der Ehrenkodex für die Bundesbank eine Art ungeschriebenes Gesetz. Das dürfte das Ansehen in der Bevölkerung wieder etwas heben. Das Ansehen im Ausland aber hat durch die jüngsten Ereignisse gelitten, meint Claudia Windt, Volkswirtin des Helaba-Trust:

    Man kann sagen, kurze Frist, vielleicht auch langfristig als Hüterin auf einem Sockel stehen, das hat man wohl so ein bisschen eingebüßt schlichtweg.

    Die Bundesbank ist unabhängig. Sie hat keinen Aufsichtsrat, nur einen Vorstand. Und auch die Bundesregierung erkennt diese Unabhängigkeit an, das macht sie in diesen Stunden immer wieder deutlich.

    Aber: ausgesprochen unüblich ist der Druck aus Berlin, mit dem sie darauf drängt, den Fall Welteke schnell zu beenden. Warum?
    Frank Cappelan geht dieser Frage nach.

    Am 11. Mai 1999 ist die Welt noch in Ordnung: Hans Eichel, gerade mal zwei Monate Bundesfinanzminister, ernennt Ernst Welteke zum Nachfolger von Bundesbankchef Tietmeyer. Welteke gilt damals als Vertrauter Eichels: "Die Zukunft der Bundesbank und die Stabilität des Euro ist bei ihm in guten Händen," erklärt er über seinen früheren hessischen Finanzminister – ein exzellenter Fachmann, ein Sozialdemokrat obendrein. Doch fünf Jahre später will Eichel von all dem nichts mehr wissen. Ohne Umschweife knallt er dem Weggefährten von einst am letzten Montag seine Abscheu über die Adlon-Affaire um die Ohren.

    Im Rahmen der Bundesregierung mit ihren Verhaltensregeln wäre ein solcher Vorgang nicht möglich.

    Will sagen: Einer von uns wäre schon längst gegangen. So wie niemals zuvor übt die Bundesregierung Druck auf die Bundesbank aus. Gestern Abend die schroffe Presseerklärung aus dem Finanzministerium: "Das Ruhen des Amtes reicht nicht aus, Welteke muss zurücktreten!" Wörtlich: "Der Beschluss des Bundesbankvorstandes trägt dem Ziel, das hohe Ansehen der Bundesbank in der öffentlichen Meinung zu bewahren, nicht angemessen Rechnung!" Welteke selbst versucht einigermaßen hilflos, die Solidarität des Finanzministers einzufordern:

    Ich habe keinen Anlass, an der Unterstützung der Bundesregierung und des Bundesfinanzministers zu zweifeln.

    Doch von Rückendeckung kann keine Rede mehr sein: "So kann das nicht weitergehen!" – Schnell sind sich Hans Eichel und Gerhard Schröder einig: Welteke muss weg. Der Kanzler lässt seinen Sprecher aus dem Toskana-Urlaub indirekte Rücktrittsforderungen verkünden. Am liebsten hätte er Welteke sofort abberufen – doch Finanzminister Eichel sind die Hände gebunden: Laut Bundesbankgesetz kann er zwar einen Kandidaten für die Spitze nominieren, nicht aber den Präsidenten entlassen – was ihm bleibt, sind Appelle an den Vorstand der Bundesbank:

    Ich betone, dass alle Konsequenzen im Bereich der Bundesbank selber zu ziehen sind. Die Bundesbank ist wie keine andere Organisation in Deutschland im Staate unabhängig...

    Doch eben diese Unabhängigkeit ist dem Minister zunehmend ein Dorn im Auge, und so liegt der Verdacht nahe, dass die Bundesregierung auch aus finanzpolitischen Gründen ein wachsendes Interesse an der Ablösung Weltekes hat. Immer wieder legt sich der Bundesbankchef mit der Bundesregierung an. Im März 2003 mischt sich Welteke mit einer ungewöhnlichen Aktion in die Debatte über die ökonomische Lage Deutschlands ein. In einem 21seitigen Papier fordert der Notenbank-Chef seinen Parteifreund Eichel auf, den EU-Stabilitätspakt einzuhalten und keine neuen Schulden zu machen:

    Die öffentliche Verschuldung hat jetzt schon ein Ausmaß an Belastungen mit sich gebracht, dass kaum noch getragen werden kann.

    Angesichts solcher Äußerungen sieht sich auch der Bundeskanzler immer wieder veranlasst, sich gegen allzu forsche Querschüsse der Währungshüter zu wehren:

    Rechtlich ist klar geregelt, wo die Entscheidungen liegen, nämlich bei der unabhängigen Bundesbank. Dies stellt keiner in Frage, aber eine wirtschaftspolitische Diskussion zu führen, ohne auf die Funktion der Geldpolitik einzugehen in dieser Debatte ist so gut wie unmöglich.

    Auch über den Verkauf des Bundesbank-Goldes kommt es immer wieder zu Reibereien. Zwar lobt der Bundeskanzler noch in seiner Regierungserklärung vom 25. März dieses Jahres den obersten Währungshüter...

    Ich begrüße ausdrücklich den Vorschlag des Bundesbankpräsidenten Welteke, einen Teil der Goldreserven der Bundesbank zu verkaufen und für Bildung und Forschung einzusetzen.

    Schröder unterschlägt dabei aber, dass Finanzminister Eichel die erwarteten Milliardenerlöse nicht für die Innovation und Bildung, sondern für den Schuldenabbau einsetzen wollte. Dagegen aber setzte sich Welteke erfolgreich zur Wehr. Für die Opposition steht damit fest: Der Bundesregierung geht es eigentlich nicht um die Adlon-Affaire, es geht ihr darum, die Bundesbank zu einem willfährigen Instrument ihrer Geldpolitik zu machen – als Beleg dafür wird angeführt, dass inzwischen laut darüber nachgedacht wird, das Bundesbank-Gesetz so zu ändern, dass künftig auch eine Entlassung des Bundesbankpräsidenten möglich würde.

    Doch ganz ist der Bundesregierung nicht abzusprechen, dass sie auch aus politisch-moralischen Gründen den Rücktritt Weltekes wünscht: Just zum Tag der Massendemonstrationen gegen den Sozialabbau wurde seine Adlon-Sause bekannt. "Es kann ja nicht sein, dass im Maschinenraum immer härter gearbeitet wird und oben auf der Brücke fließt der Schampus in Strömen", schimpft SPD-Arbeitnehmervertreter Ottmar Schreiner. Und auch Gerhard Schröder sprach unlängst erst die Abkassierermentalität in den Führungsetagen an – damit könnte er Ernst Welteke gemeint haben, der mit 350.000 Euro jährlich deutlich mehr verdient als der Kanzler, vielleicht aber auch Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann – der hat im vergangenen Jahr schlappe 11 Millionen verdient.

    Es wäre ja so leicht und auch so schön für eine Regierung, wenn sie mehr Einfluss auf die Geldpolitik in ihrem Lande nehmen könnte. Allzu oft - und das mag nicht nur der SPD-Finanzminister Eichel beklagen - allzu oft hat die unabhängige Institution da in Frankfurt nicht das gemacht, was sich die hohe Politik von ihr wünschte. Michael Braun fasst zusammen.
    Schon Konrad Adenauer fand es 1951 und 1958 angebracht, die Bundesbank zu drängen, die Zinsen trotz steigender Inflationsraten nur ja nicht zu erhöhen. Die Zinsen sollten niedrig bleiben. Lieber ein bisschen Inflation als weniger Wachstum, das war damals schon die Devise, der sich die Bundesbank unter ihrem Präsidenten Wilhelm Vocke widersetzte. Karl Otto Pöhl war bisher der einzige Bundesbankpräsident, der vorzeitig aus dem Amt schied. Er hatte keine Lust mehr mit einem Kanzler Kohl zusammenzuarbeiten, der keine Zusammenarbeit wollte. Pöhl bekannte kürzlich, er habe mit Kohl nicht ein einziges gewichtiges Gespräch über die deutsch-deutsche Währungsunion führen können. Da sei er lieber gegangen.

    Den bislang eindrucksvollsten Konflikt war 1997 Hans Tietmeyer mit der Bundesregierung eingegangen, als Finanzminister Theo Waigel die Bundesbank zwingen wollte, den damals knapp 3.000 Tonnen umfassenden Goldschatz der Bundesbank nicht zu den niedrigen Einkaufspreisen, sondern zu den deutlich höheren Marktpreisen zu bewerten und den so entstehenden Buchgewinn zugunsten des Bundeshaushalts auszuschütten.

    Waigels Nachfolger Oskar Lafontaine verlor Ende der neunziger Jahre eine Menge Reputation, als er Zinssenkungen zur "ultima ratio" der Beschäftigungspolitik ausrief – und scheiterte. Und doch versuchen es die Finanzminister immer wieder, die Bundesbank in ihrer Unabhängigkeit zu beeinträchtigen und an die Reserven dieser Institution heranzukommen. Auch Ernst Welteke spürte den Druck, das Gold der Bundesbank dem laufenden Bundeshaushalt zunutze zu machen. Doch er wehrte sich. Ende März dieses Jahres machte Welteke deutlich, dass er den in den Jahren erfolgreichen deutschen Wirtschaftens angehäuften Goldschatz nie verkaufen würde, um die laufenden Ausgaben der heutigen Staatshaushalte zu decken:

    Wenn Sie sich mit älteren Teilen der deutschen Bevölkerung darüber unterhalten, ob das, was während der 50er und 60er Jahre erschaffen worden ist an Goldvermögen, heute verwendet werden soll, um gegenwärtige Ausgaben zu finanzieren, dann werden Sie eine klare Antwort bekommen.

    Welteke sagte klar: wenn die Bundesbank voriges Jahr 100 Tonnen Gold verkauft hätte, dann wäre der Gewinn in den normalen Haushalt geflossen. Und das, so war zu spüren, macht Welteke nicht mit. Nun gebe es zwar ein neues Goldabkommen, wonach die Bundesbank von 2005 an binnen fünf Jahren 600 Tonnen verkaufen dürfe. Aber ob wirklich verkauft wird, das sei noch nicht beschlossen.

    Weil wir bisher nur entschieden haben, dass wir eine Option zu Goldverkäufen uns einräumen lassen wollen im Zusammenhang mit dem Goldabkommen. Mehr haben wir noch nicht entschieden.

    Eine solche Haltung stand ganz in einer Bundesbanktradition, die im Ausland oft belächelt wurde. Dem früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors wird das Bonmot zugeschrieben, die Franzosen glaubten an Gott, die Deutschen an die Bundesbank. Das mag man belächeln, doch ein Land, das in einem Jahrhundert zwei totale Inflationen erlebt hat, ist eine Nationalbank als Hüterin des Geldwertes eben viel wert.

    Ernst Welteke galt früher als geldpolitisches Leichtgewicht. Wenn er, so erzählen Banker, als Präsident der Landeszentralbank Hessen sich zu Zinsen und Wechselkursen äußerte und dann aufgeregte Londoner Geldhändler bei ihren Frankfurter Kollegen anriefen, was denn da los sei, dann hätten die ihre Londoner Kollegen beruhigen können: "Don’t worry, it’s only Welteke", habe es geheißen. Das änderte sich mit der Zeit. Welteke gewann an Statur. Das war auch nötig, denn, so Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Fondsgesellschaft Invesco, die Bundesbank habe trotz ihres Bedeutungsverlustes noch Gewicht:

    Die Märkte hören immer noch sehr genau hin, wenn ein Bundesbanker etwas zur Konjunktur, zur Inflation, zu möglichen Zinsentwicklungen sagt. Also die Bundesbank ist nach wie vor wichtig und hat sich in ihrer neuen Rolle eingefunden.

    Dennoch wünscht sich der Finanzplatz nun einen Nachfolger für Welteke, der sich weniger der Politik und um so mehr der Geldpolitik verbunden fühlt. Claudia Windt von Helaba Trust:

    Ich denke, man sollte auf jeden Fall überlegen, ob man jetzt wieder mal versucht, die fachliche Lücke zu schließen. Und man sollte versuchen, diesen Prozess so kurz wie möglich zu halten. Je länger eine Stelle vakant ist, umso mehr verliert Deutschland auch innerhalb des Gewebes der Europäischen Union. Und hier gilt es ja vor allem, gerade wenn jetzt die Beitrittskandidaten hinzukommen, es gilt ja hier auch einfach Position zu sichern, deswegen können wir uns auch keine lange Vakanz erlauben.

    Wunschkandidat wäre der nun als Präsident amtierende Vizepräsident Jürgen Stark. Sein geldpolitisches Credo lautet so:

    Letztlich gehört Haushaltsdisziplin auch zu dem Stabilitätskonsens, den man mit dem Maastricht-Vertrag erreicht hatte, und der mit der Verabschiedung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes 1997 noch einmal bestätigt wurde. Auf höchster politischer Ebene wurde gesagt, gesunde Staatsfinanzen sind ein Mittel zur Verbesserung der Voraussetzungen für Preisstabilität und für ein starkes, nachhaltiges und der Schaffung von Arbeitsplätzen förderliches Wachstum.

    Jürgen Stark: als ehemaliger Finanzsstaatsekretär einer unionsgeführten Bundesregierung - er könnte jetzt vielleicht noch energischer als Ernst Welteke den Bitten und Appellen aus Berlin entgegentreten. Wen wundert`s da, dass in der Hauptstadt eigene Kandidaten gehandelt werden.
    Frank Cappelan über die Berliner Wünsche.

    Schon gestern werden die Sprecher der Bundesregierung gelöchert, ob der Nachfolger von Bundesbankpräsident Welteke denn schon feststehe. Offiziell hält man sich äußerst bedeckt. "Darüber nachzudenken, ist noch verfrüht", heißt es – doch tatsächlich lassen die Äußerungen von Eichels Sprecher Jörg Müller ganz andere Schlüsse zu:

    Wir müssen davon ausgehen, dass die Bundesregierung jederzeit in der Lage ist, wenn sich diese Situation stellt, zu handeln und entsprechende Vorschläge zu unterbreiten.

    Im Klartext: der Nachfolger steht so gut wie fest, nur nennen will ihn niemand. Ein Name wird in Berlin ganz oben gehandelt: Caio Koch-Weser. Angeblich gilt der Staatssekretär im Finanzministerium als Favorit von Gerhard Schröder und Hans Eichel. Der 59jährige bringt viel internationale Erfahrung mit. In Brasilien aufgewachsen und sechs verschiedener Sprachen mächtig, arbeitete er 20 Jahre lang als Berater der Weltbank. Als Kandidat für den Vorsitz des Internationalen Währungsfonds scheiterte er allein am Nein der Amerikaner.
    Bis heute wird Koch-Weser gefragt, ob er für diese Schlappe eine Anerkennung erwarte:

    Erstens brauche ich keine Entschädigung oder Wiedergutmachung. Mir geht es sehr gut, und zweitens, was meine konkrete mögliche künftige Rolle angeht, müssen Sie den Bundeskanzler fragen.

    Denn Koch-Weser gilt als absolut loyaler Schröder-Mann. Wohl ein Grund dafür, warum er ganz gern an der Spitze der Bundesbank gesehen würde. Dort allerdings werden solche Spekulationen mit Unwillen zur Kenntnis genommen. Zu groß ist offenbar die Sorge, dass die Bundesbank, deren Existenzberechtigung ohnehin immer wieder in Frage gestellt wird, mit einem vom Kanzleramt gesteuerten Caio Koch-Weser an der Spitze zu einer Unterabteilung des Finanzministeriums degradiert werden könnte.

    Chancen könnte deshalb auch Alfred Tacke haben, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Der 52jährige ist ebenfalls ein enger Vertrauter des Bundeskanzlers, seit drei Jahren bereitet er die Weltwirtschaftsgipfel für die Bundesregierung vor. Tacke gilt als Mann, der Kompromisse sucht – am Zustandekommen der Einigung mit der Union über ein Vorziehen der Steuerreform war er maßgeblich beteiligt:

    Ich glaube, das wichtigste Signal ist, dass wir uns verständigt haben über Steuern, über Arbeitsmarkt, über eine Reform der Arbeitsmarktpolitik, und dieses Verständigungssignal ist erstens positiv für die Konjunktur, ist positiv für das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland international und gibt den Unternehmen und damit den Beschäftigten eine bessere Perspektive.

    Schließlich stand auch Ingrid Mathäus-Maier auf der Liste möglicher Welteke-Erben, Vorstandsmitglied der ehemaligen Kreditanstalt für Wiederaufbau und heutigen KfW-Bankengruppe. Die langjährige SPD-Finanzexperitn scheint allerdings inzwischen nicht mehr in der engeren Auswahl – immer wieder wurde sie in den vergangenen Monaten als potentielle Nachfolgerin von Bundesfinanzminister Hans Eichel gehandelt. Denkbar, dass Schröder sie für alle Fälle im Rücken haben möchte.

    Etwas verwundert ist man in Berlin darüber, dass bisher nur Kandidaten aus der Politik für die Welteke-Nachfolge ins Gespräch gebracht werden, und tatsächlich stellt sich die Frage, ob es diesmal so sehr wie nie zuvor darum geht, einen genehmen obersten Währungshüter zu finden. Noch hat es nämlich Tradition: Starke Politiker kommen auch mit einem starken Bundesbankpräsidenten klar. Diesmal allerdings scheint die Eigenständigkeit der Bundesbank ernsthaft auf dem Spiel zu stehen.