Freitag, 17. Mai 2024

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Der langjährige Verlagsleiter des Verlagshauses Beltz & Gelberg
Schatzsucher, Revolutionär, Sammler alter Wörter

Hans-Joachim Gelberg entdeckte Christine Nöstlinger, Peter Härtling, Nikolaus Heidelbach und Axel Scheffler als Autoren und Künstler für das Kinderbuch, ließ die Märchen von Grimm und Andersen neu bebildern und gab eine Vielzahl von Anthologien mit Gedichten heraus.Im August feiert er seinen 89. Geburtstag.

Hans-Joachim Gelberg im Gespräch mit Ute Wegmann | 10.08.2019
3 Buchcover von Hans-Joachim Gelberg
Eine kleine Auswahl an Titeln (Beltz & Gelberg Verlag)
Ute Wegmann: Mit Ute Wegmann.Man nannte ihn Schatzsucher, Revolutionär, Geburtshelfer, Innovator der schönen Kinderliteratur, Schrittmacher einer sanften poetischen Revolution und Sammler alter Wörter - viele Namen hat man ihm im Laufe der letzten Jahre, Jahrzehnte gegeben: Gemeint ist immer nur der eine: der Herausgeber, Autor und Verleger Hans-Joachim Gelberg – bis 1996 Programmleiter des Kinderprogramms im Beltz & Gelberg Verlag in Weinheim. Herr Gelberg, mit welcher Bezeichnung identifizieren Sie sich am meisten?
Hans-Joachim Gelberg: Also, ich bin ein Sucher. Ich hab Autoren, Künstler, Illustratoren gesucht und auch gefunden. Und zwar gefunden zu einer Zeit, als sie noch nicht berühmt waren. Später dann doch berühmt wurden. Da bin ich ganz glücklich, dass das gelungen ist.Kriegskindheit im Ruhrgebiet
Wegmann: In der Tat, so viele der heutigen Kinder- und Jugendbuchautoren und auch der Illustratoren haben die ersten Schritte im Beltz & Gelberg Verlag gemacht.Zu Ihrer Biografie: Geboren 1930 in Dortmund, lebten Sie kurze Zeit mit ihren Eltern in Wien und flohen von dort während des Krieges nach Lüdenscheid. Wie erinnern Sie Ihre Kindheit im Ruhrgebiet?
Gelberg: Also meine Kindheit ist vom Krieg geprägt und von der Nazizeit. Ich hab also in Dortmund Bombeneinschläge erlebt, aus dem Keller des Nachbarhauses wurden die Leichen herausgetragen. Das war für ein Kind ganz furchtbar eigentlich. Ich hab am Radio die brüllende Stimme eines Hitler gehört, der den Krieg erklärte. Mein Vater war als Postbeamter im Großdeutschenreich nach Wien versetzt. Er hat das gemacht, damit wir aus der Bombardierung herauskamen, denn Dortmund wurde bombardiert, aber in Wien kam das erst später. Nebenbei Wien haben wir in der Wohllebengasse im 4. Bezirk gewohnt, und wie ich 50 Jahre später erfuhr, im gleichen Haus wohnte Ernst Jandl, der Dichter. Das war schon eine gute Einführung für mich, dass ich im Haus des Dichters Jandl ein- und ausging.
Wegmann: Haben Sie sich an ihn erinnert, rückblickend?
Gelberg: Nein, nein, ich hab ihn erst persönlich kennengelernt, als ich ein Bilderbuch mit ihm vereinbarte. Da fiel das auf, dass er da wohnt.
Wegmann: Sie machten eine Buchhändlerlehre, waren Lektor beim Arena-Verlag für eine neue Taschenbuch-Reihe und später beim Georg-Bitter-Verlag und leiteten dann von 1971 bis 1996 ungeheuer erfolgreich das Kinderprogramm des Verlags Beltz & Gelberg. Mit acht Titeln begonnen, zählte das Kinderbuchprogramm bei Ihrem Weggang 900. Sie waren damals 41 Jahre alt. Was interessierte Sie am Kinderbuch?
Vom Buchhändler zum Verlagsleiter
Gelberg: Ich wollte mit Literatur zu tun haben. Hab mich als Buchhändler mit Literatur natürlich ausgiebig befasst, aber es war dann eben so, dass ich nicht auf die Dauer Buchhändler bleiben wollte. Ich wollte in einen Verlag, ins Lektorat. Aber bei meiner Schulausbildung, ich hab ja Realschule, kein Abitur, normalerweise kriegt man dann so leicht keine Lektoratsstelle. Ich hatte immer Glück und kam in den Arena-Verlag. Der machte Kinder- und Jugendbücher, also kam ich auf diese Weise in die Kinderliteratur. Nicht, dass ich unbedingt dahin wollte, ich hatte mich vorher bei Suhrkamp beworben, aber Suhrkamp bot mir eine Stelle im Vertrieb an und das Gehalt wäre geringer gewesen als das, was ich als Buchhändler verdiente, also hab ich das nicht gemacht. Und so bin ich in die Kinderliteratur gekommen.
Wegmann: Ja, beim Arena-Verlag, die haben damals eine neue Taschenbuchreihe ins Leben gerufen. Die haben Sie betreut.
Gelberg: Ja, das darf man nicht vergessen, Taschenbücher gab es da noch kaum. Arena und dtv waren die ersten Reihen für Jugendliche und Kinder. Und ich war als Buchhändler natürlich ausgebildet. Ich hatte Überblick über den Markt.
Literatur für Kinder
Wegmann: Anfang der 1970er Jahre war eine Umbruchzeit in der Gesellschaft, somit auch in der KJL. Die kindliche Lebenswelt wurde aus neuen Perspektiven betrachtet. Die Wirklichkeit oder auch ein kritischer Blick auf dieselbe rückte in den Mittelpunkt. Tabus wie Sexualität oder Fehler von Erwachsenen und Eltern wurden thematisiert. Kinder sollten Literatur in einer Sprache lesen können, die ihre Gefühle, ihre Wünsche, ihre Fragen ausdrückte. Sie haben viele Vorträge zur Kinderliteratur gehalten, und einmal haben Sie gesagt: "Wir haben es mit dem Anspruch zu tun, der Kinderliteratur die Vorsilbe Kinder zu ersparen. Literatur eben und nichts anderes." Eine entscheidende Haltung!
Gelberg: Das prägt mein ganzes Programm. Ich komme eben aus der Erwachsenenliteratur. Und ich halte es für schlimm, wenn man Bücher für die Kinder macht, aber begrenzt im Alter. Selber möchte man das nicht lesen, man macht es den Kindern zu liebe, man macht Spaß. Okay, das ist auch kein Fehler. Es ist eine Notwendigkeit, dass das, was der Erwachsene an Texten formt, für Kinder auch eine Literatur ist, die der Erwachsene lesen können soll. So gut muss es sein. Vielleicht noch besser. Man muss versuchen, dem Kind auch Perspektiven zu geben, das Kind muss sich ein bisschen strecken.
Immer mit Anfängern anfangen
Wegmann: Zu den ersten Autoren gehörten Peter Härtling, Janosch, Josef Guggenmoos und Christine Nöstlinger. Was war das Besondere an diesen Schriftstellern?
Gelberg: Das sind alles lange Geschichten. Ich hab ja nicht etablierte Autoren versucht aus anderen Verlagen abzuwerben. Ich hab ja immer mit Anfängern angefangen. Auch Härtling schrieb damals keine Kinderbücher. Ich hab dafür gesorgt, dass er die Laudatio für den Jugendliteraturpreis für Jan Prochazka hielt, für "Es lebe die Republik". Und in dieser Laudatio sprach er vom Tageslauf seiner eigenen Kinder und das war für mich ein Signal. Ich hab ihn angesprochen. So fing das an. Er hat sofort angebissen, daraus ein Buch zu machen. Es war kein Erfolg, aber alles Weitere waren Erfolge. Der hat es gerne gemacht. Aber auch alle anderen. Auch Christine Nöstlinger. Ich hab Sie auf einer Tagung kennengelernt, da hatte sie noch nichts veröffentlicht, und ich merkte sehr rasch, dass sie eine ungeheure Begabung hat, zu schreiben, zu erzählen und sich in der Phantasie auch sozial zu bewegen. Sie hat ja großartig geschrieben. Später für mehrere Verlage gleichzeitig, sie ist förmlich übergesprudelt vor Einfällen. Und wir haben eine lange, lange Geschichte gehabt.
"Kinderliteratur gäbe es ohne Bilder nicht"
Wegmann: Sie hat mal, als es um die Kinderliteratur ging, von der "Literatur zum Sich-Besser-Auskennen-Im-Leben" gesprochen. 1971 erschien auch gleich Ihr erstes Jahrbuch – eins von zehn, die Sie im Laufe der Jahre herausgegeben haben - mit dem Titel "Geh und spiel mit den Riesen", eine vielfältige Text- und Bildsammlung. Vertreten dort: Ingrid Bachér, Michael Ende, Hans Georg Lenzen, Schnurre, Spohn, Pludra, Kunze, Nöstlinger uva. Es werden eine Vielzahl Anthologien und Jahrbücher folgen. An die 20 Werke. In den 26 Jahren Verlagstätigkeit haben Sie allein 600 Autorinnen und Autoren zu Wort kommen lassen. 600 – haben Sie einen Überblick über die, die Sie jemals herausgegeben haben?
Gelberg: In irgendeinem Jahrbuch hab ich sie mal alle zusammengefasst. Die Illustratoren und Illustratorinnen, meistens sind es ja Frauen, sind dazugekommen. Ich vertrete auch heute noch die These: Kinderliteratur gäbe es ohne Bilder nicht. Bilder sind ein Phänomen, das gibt es in keiner anderen Literatur, dass eine Kunst entsteht, die an der Basis angesiedelt ist, beim Leser. Das geht nicht ins Museum, aber es ist eine ganz große Kunst, die wir da haben. Und ich habe immer versucht, in den Anthologien, die Bilder mit den Texten in Zusammenhang zu bringen. Also ich hab nicht jemanden beauftragt, illustrier das mal, sondern ich hab abgewartet, was da war - an Text, an Bild und hab das zusammengeführt. Assoziativ sozusagen. Davon lebten diese Jahrbücher. Es waren auch Experimente dabei, und Bücher dieser Art gab es damals noch nicht. Also "Geh und spiel mit den Riesen" ist eigentlich eine Neuerfindung einer Anthologie. Ich hab das dann verfeinert so, dass ich in den späteren Bänden, als die antiautoritäre Kinderliteratur sich immer mehr ausbreitete, ich hab das ja mitgefördert, das war dann so stark in den Jahrbüchern, dass ich dann auch Probleme kriegte. Ich kriegte einen beschwörenden, langen Brief von Michael Ende: Lieber Gelberg, tun Sie das nicht. Sie sind auf dem falschen Weg! usw. Und wir haben damals heftig diskutiert, auf Tagungen und so, und die Presse hat sich beteiligt. Es gab große Artikel in den Zeitungen über Kinderbücher. Das macht man ja heute nicht mehr. Aber damals war das ein Bedürfnis. Und das hing natürlich auch mit dem Wechsel der Gesellschaft zusammen. Wir hatten nach 1945 ein riesiges Loch eigentlich bei der Literatur, das musste erst wieder aufgefüllt werden. Das hat Jahrzehnte gedauert.
"Sie haben mich alle überrascht"
Wegmann: Was man spürt, wenn man Ihre Jahrbücher sieht, die Autoren – und man kann sicher ergänzen - die Künstler, stehen immer im Mittelpunkt für Sie. Wer, mit dem Sie all die Jahre gearbeitet haben, konnte Sie am meisten überraschen?
Gelberg: Sie haben mich alle überrascht, die Autoren wie auch die Illustratoren. Dadurch, dass ich ihnen immer Bälle zuschmiss, ihnen Themen gab, für die Jahrbücher oder später für die Zeitschrift "Der bunte Hund", das waren Anregungen und da kam dann auch was. Und ich erkannte die Qualität. Eng zusammengearbeitet hab ich mit Janosch, ich hab ihn ja quasi entdeckt, vor mir noch der Verleger Lenz, der die ersten Sachen mit ihm gemacht hat. Das war eine sehr, sehr enge Zusammenarbeit, nicht ohne Komplikationen. Janosch ist ein Mensch, er lebt ja noch, ist ein Jahr jünger als ich, der große Ansprüche stellte an den Verlag oder an den Verleger. Und gleichzeitig viele Freundschaftsdienste erwartete. So wie ein Lektor immer ein Freund der Autoren sein muss, eine gewisse Enge entsteht da, über Literatur geht es dann oft ins Persönliche. Man lernt einen Menschen kennen und weiß, was er braucht. Und umgekehrt natürlich auch. Und ein Erlebnis für mich auch, Sabine Friedrichson, die eine ganz großartige Zeichnerin ist. Wir kamen dann in eine sehr enge Zusammenarbeit bei den Märchen von Andersen, da hat sie wunderbare Illustrationen geschaffen. Wir haben beide Andersen förmlich studiert, und dabei ist eine ganz enge Bindung entstanden. Und das eben zu vielen anderen auch.
"Der bunte Hund"
Wegmann: Sie haben die Zeitschrift schon vorhin erwähnt. Zehn Jahre später 1981 haben Sie ein großartiges Magazin ins Leben gerufen: "Der bunte Hund". Auch hier eine Vielfalt an Illustrationskunst, die Sie ausgewählt haben, des weiteren kleine Texte, Rätsel, Gedichte, später Erzählbilder. Dabei haben Sie unterstützt, dass Text und Bild aus einer Hand kommen. (Beispiel: "Das Fest" von Nikolaus Heidelbach – Anfang: "Es ist anzunehmen, dass sich die Eltern nicht ganz über die Folgen im Klaren waren, als sie ihrem Franz erlaubten, seinen sechsten Geburtstag allein nach seinen Vorstellungen zu gestalten.") Was den "Bunten Hund" auszeichnete, war der hohe Anspruch an Text und Bild. Harmlosigkeit in der Bildwelt, aber auch in der Wortwelt, die Kindern zugemutet wurde und wird, das war Ihnen ein Graus?
Gelberg: Es ist sicher wichtig, dass man mit Kindern blödelt und Spaß macht auf einem ganz lockeren Niveau, aber es muss parallel eine Literatur und eine Kunst geben, die mehr verlangt von Kindern, die auch den Erwachsenen nicht beschämt. "Der bunte Hund" war für mich deshalb für mich so wichtig, weil ich die Künstler entdecken wollte. Und da konnte ich mit Einzelbildern arbeiten, probieren, wie die Bilder ankommen. Ich hab auf diese Weise viele Künstler kennengelernt. Ein wichtiges Beispiel ist Axel Scheffler, der heute so berühmt ist mit seinem Grüffelo, den hab ich kennenlernt: Ich war damals in Hamburg, er wollte mich treffen, ich sagte, ich kann nicht, mein Zug fährt. Er meinte, er kommt ins Hotel. Dann kam er ins Hotel, breitete sein Notizbuch aus, wo er ganz viel ausprobiert hatte. Ich sah das, lehnte mich zurück, ließ meinen Zug sausen, hab in aller Ruhe geblättert und ihn gleich für den "Bunten Hund" angeworben, hab ihm Aufträge gegeben. Er war damals von einer - wie soll ich das sagen – von einer etwas naiven Art zu zeichnen. Der Anfang war großartig, bis er dann später immer berühmter wurde, durch den Grüffelo, da ist er jetzt mittlerweile einen ähnlichen Weg wie Janosch gegangen, vermute ich, durch seinen Erfolg, auch durch die Vermarktung, die dann ja gnadenlos sein kann.
Ein gutes Kinderbuch liebt man sofort
Wegmann: Sie sprachen mal vom "Gefälligkeitswahn" der Künstler, dem Wahn, es allen recht machen zu wollen: dem Zielpublikum, den Erziehern und Pädagogen, dem Anspruch der Kinderliteratur selbst, eine Literatur mit poetischen Anspruch zu sein. Was macht ein Kinderbuch zu einem guten Kinderbuch?
Gelberg: Ein gutes Kinderbuch, ist das, was man in die Hand nimmt, anfasst und man anfängt es zu lieben. Das fängt an mit dem Titelbild und dem Titel, also wie es heißt. Man blättert es auf, liest rein, liest den ersten Satz und den zweiten oder dritten und dann liest man weiter. Oder man liest nicht weiter. Es kommt immer darauf an, wie eine Geschichte beginnt, wie die Tonlage ist. Das trifft auch auf Bilder zu: Wenn da zu viele Anpassungen an Marktgewohnheiten sind, da entsteht sehr viel Schrott. Was man Kindern immer schon aus erzieherischen Gründen zugemutet hat, sie werden zum Wohlverhalten erzogen, das ist alles Schrott. Das kann man lassen.
Ein guter Verleger muss Erfolg haben
Wegmann: Was macht denn einen guten Verleger aus?
Gelberg: Ein guter Verleger – zuerst muss er Erfolg haben, das ist eine Voraussetzung. Ich hätte all die schwierigen Bücher mit Weihrauch, Schnurre und den anderen nicht machen können, wenn ich nicht die Riesenerfolge mit Janosch und Erwin Moser gehabt hätte. Die erste Auflage mit Janosch fing ursprünglich mit 6.000 an, später waren es 50.000. Das waren Sicherheiten, die ich gewann und die mich auch für das Verlagshaus Beltz wertvoll machten. Wenn ich keinen Erfolg gehabt hätte, hätte ich da nicht bleiben können. Also ein Lektor, ich bin ja kein echter Verleger, sondern ein angestellter Verlagsleiter, die Leute meinen immer, ich wäre ein reicher Verleger, das ist aber nicht der Fall, zumal Buchverleger selten reich werden.
Kinderliteratur aus der DDR
Wegmann: Sie haben nie aus dem Blick verloren, dass eine zweite deutsche Kinder- und Jugendliteratur parallel existierte. In der DDR!
Gelberg: Das war besonders in der Zeit, als ich beim Georg Bitter Verlag war, da konnte ich Koproduktionen machen. Das war das einzige, was ich bei Beltz nicht erreichen konnte. Der ursprüngliche Verleger Beltz war aus der DDR emigriert in den Westen und verbot Zusammenarbeit mit DDR-Autoren. Da musste ich Umwege gehen, hab ich ja trotzdem gemacht.
Wegmann: Genau, Sie haben ja trotzdem Kunze und so weiter verlegt.
Gelberg: Aber in der Bitter-Zeit war ich viel in Ostberlin zu Gesprächen und hab Koproduktionen angezettelt mit Büchern von Fühmann, Pludra, hervorragende Autoren, später auch Christoph Hein, das war ein Erlebnis. Oder auch mit Illustratoren, ich denke an Ensikat, Klaus Ensikat, der einer der größten, besten Zeichner überhaupt ist, den wir haben. Nicht nur im Kinderbuchbereich, sondern generell. Ensikat, der eigentlich im Westen nicht illustrieren durfte, da hab ich den "Hobbit" mit Bildern von Ensikat gebracht. Damals war "Der Hobbit", Tolkien, noch nicht bekannt auf dem Markt. Das kam danach erst. In der Richtung hab ich viel gemacht.
Wegmann: Heute zu Gast im Büchermarkt ist der Verleger und Autor Hans-Joachim Gelberg. Alle Angaben zu den Büchern finden Sie auf unserer Webseite deutschlandfunk.de. Wir müssen über die Märchen sprechen. "Neues vom Rumpelstilzchen" mit Bildern von Willi Glasauer. "Janosch erzählt Grimms Märchen". Die beiden Bildbände zu Grimmschen Märchen und den Andersen von Nikolaus Heidelbach. "Fundevogel und andere Lieblingsmärchen" mit Bildern von Sabine Friedrichson. Alles großartige Bildbände. Was bedeuten Ihnen die Märchen und wie wichtig sind?
Gelberg: Als Kind hab ich Märchen kaum kennengelernt, meine Eltern wollten das nicht oder haben keinen Wert darauf gelegt. Ich hab Märchen eigentlich erst in dieser antiautoritären Zeit kennengelernt, mit dem Rotstift. Ich hab die Märchen gelesen, um nachzuweisen, was man damit den Kindern antut. Aber dann hab ich mich doch verliebt in diese Märchen, vor allem in die Urmärchen, die erste Urausgabe der Grimms, die Helga Gebert für mich illustriert hat. Innerhalb eines Vierteljahres haben wir das auf den Markt gebracht. Und das hat so gezündet, im Nu waren 30.000 verkauft, und Helga Geberts Bilder waren ja auch großartig. Und so hab ich dann immer mehr Spaß an Märchen bekommen. Auch die Autoren haben sich im Märchenerzählen ein bisschen geändert. Sie kamen auf alte Tonlagen. Für mich waren natürlich die Illustrationen der erste Anlass, dass ich Grimm, Andersen und weitere Märchenbücher machte, weil ich die Illustrationen, die es damals gab, albern fand, nur lustig und nett. Ich wollte aber mehr Tiefe haben. Und so kam es, dass Heidelbach und all die anderen diese Märchen illustriert haben. Großartige Bände sind entstanden, die jetzt noch alle auf dem Markt sind.
Gedichte für alle
Wegmann: Kommen wir zu einem Literaturgenre, das Ihnen mehr als alles andere am Herzen liegt: Das Gedicht. Für die selbstverständliche Verankerung der Lyrik in der Kinder- und Jugendliteratur und in der Gesellschaft kämpfen Sie nach wie vor. Neben Josef Guggenmoos, der ein herausragender Dichter ist, haben Sie viele andere verlegt, entdeckt, gefördert, wie Frantz Wittkamp, den ich den Kaiser der Vierzeiler nenne, oder Jürg Schubiger mit seinen philosophischen, tiefhumanistischen Gedanken. Der Untertitel der Anthologie "Großer Ozean" lautet "Gedichte für alle" – aus dem Jahr 2000. Ist das der Schlüsselsatz? Keinen Unterschied mehr zwischen Kinder- und Erwachsenengedicht?
Gelberg: Ich bin im Laufe der Zeit in der Lyrik darauf gekommen, dass es im Erwachsenenbereich sehr viele Gedichte gibt, die zwar nie für Kinder geschrieben wurden, aber die man Kindern anbieten kann. Musterbeispiel ist für mich Bertolt Brechts großes Gedicht über Laotse, das ja noch heute ein wichtiges Gedicht ist, weil es erklärt, dass das Harte dem Weichen unterliegt auf die Dauer. Das Gedicht ist nicht für Kinder gedacht. Ich hab es aber 10jährigen in der Schule vorgelesen, hab ihnen aber vorher den Zusammenhang erklärt, wie es entstanden ist, wer Laotse war. Für mich war es ein Erlebnis: Eine fast atemlose Hingabe der Kinder hab ich erlebt. Und das ist für mich auch ein Beweis, dass man große Lyrik auch Kindern anbieten kann.
Wegmann: Es gibt in dem Gedicht "Laotse" von Bertolt Brecht einen wichtigen Satz, den Schlüsselsatz, den ich zitieren möchte - ".... dass das weiche Wasser in Bewegung mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt". Entspricht der Satz Ihrem Berufsmotto, dem Glauben an die Kraft der Literatur, die vielleicht doch nicht die Welt im Ganzen aber ein klein wenig verbessern kann?
Gelberg: Früher als ich anfing, Kinderbücher zu machen, hab ich wirklich geglaubt, dass man mit Kinderliteratur die Welt verändern könnte. Den Glauben hab ich nicht mehr. Ich glaube, dass Literatur begleiten kann oder hier und da auch mal trösten kann, aber die Welt verändert sich nicht durch Literatur.
Wegmann: Der irische Literaturprofessor C.S. Lewis, Autor der "Chroniken von Narnia", hat über Kinderbücher gesagt: "Kein Buch ist es wert, mit zehn gelesen zu werden, wenn es nicht gleichermaßen wert ist, mit fünfzig gelesen zu werden." Ich denke, dem würden Sie unbedingt zustimmen.
Hans-Joachim Gelberg, vielen Dank, dass Sie heute Gast im Deutschlandfunk waren. Alle erwähnten Bücher finden Sie auf der DLF Webseite deutschlandfunk.de und dort unter dem Literaturportal. Hier folgt nun Forschung aktuell. Und an dieser Stelle verabschiedet sich mit den besten Wünschen für ein schönes Wochenende Ute Wegmann.
Über (Auswahl):
Hans-Joachim Gelberg (Hrsg.):
"Großer Ozean. Gedichte für alle"
Verlag Beltz & Gelberg (Weinheim), 265 Seiten
"Wo kommen die Worte her? Neue Gedichte für Kinder und Erwachsene"
Verlag Beltz & Gelberg (Weinheim), 264 Seiten
"Glücksvogel. Geschichten, Gedichte und Bilder"
Verlag Beltz & Gelberg (Weinheim), 240 Seiten
"Oder die Entdeckung der Welt. Geschichten, Bilder, Märchen, Gedichte"
Verlag Beltz & Gelberg (Weinheim), 352 Seiten
"die Worte, die Bilder, das Kind. Über Kinderliteratur"
Verlag Beltz & Gelberg (Weinheim), 160 Seiten