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Der Lichtmaler

In der Ausstellung "Natur und Traum" in Karlsruhe werden die "unglaublich geordneten" Landschaftsbilder von Jean-Baptiste Camille Corot gezeigt, der von den aktuellen politischen Umbrüchen seiner Zeit unberührt geblieben schien.

Christian Gampert im Gespräch mit Michael Köhler | 30.09.2012
    Michael Köhler: Als er sich für eine Laufbahn als Künstler entscheidet, da ist Camille Corot 26 Jahre alt und Goethe schreibt seine Altersgedichte. Es sind die 1830er-Jahre und Corot wird Landschaftsmaler. Aber das hat nichts mit der Klassizität eines Philipp Hackert oder der metaphysischen Spätromantik eines Caspar David Friedrich zu tun, sondern entsteht zu einer Zeit, als die Fotografie schon begonnen hat, ihren Siegeszug anzutreten.

    - Mit Christian Gampert habe ich darüber gesprochen, über diesen zugegeben sehr großen, sehr wichtigen Maler Camille Corot in der staatlichen Karlsruher Kunsthalle. Wo kommt dieser Maler eigentlich her, was sind seine Sujets?

    Christian Gampert: Na ja, das Wichtigste ist vielleicht, dass Corot Autodidakt ist. Seine Eltern, Tuchhändler, hatten eine bürgerliche Karriere für ihn vorgesehen. Und er entscheidet sich von Anfang an für die Außenseiterposition und er wählt ein Fach, das in Frankreich überhaupt nicht groß angesehen ist, weil wir müssen uns vorstellen: Die Akademie, da ist die biblische, die mythologische Darstellung das Größte, die Landschaftsmalerei die rangiert mit dem Stillleben ganz am Ende der Skala. Und er entscheidet sich trotzdem, als Autodidakt Landschaftsmaler zu werden. Und das heißt, er geht nach Italien und er malt da nicht etwa Barockkirchen, den Petersdom und die spektakulären Dinge, sondern er malt die kleinen Winkel, die Rückseiten der Kirchen, die Dächer von Rom, irgendwelche völlig nebensächlichen Dinge. Und was ihn interessiert ist: Wie strukturiere ich den Raum, wie strukturiere ich eine Fassade, die Häuser, den Wald, den Raum eines Flusses. Das Verhältnis der Dinge zueinander, das ist das, was ihn bewegt. Und wenn man diese italienischen Bilder der Frühphase anschaut, dann merkt man, das ist unglaublich gestaffelt, das ist unglaublich geordnet, das ist teilweise fast präkubistisch. Wenn man ein bisschen übertreiben will, könnte man das so nennen. Und das ist, glaube ich, auch das, was viele spätere Maler am Ende des 19. Jahrhunderts an ihm interessiert hat. Ich greife jetzt ein bisschen vor, aber Pizarro, Manet, Monet, Cézanne, die haben sich alle auf ihn berufen. Und das liegt daran, dass ein geordneter Raum, ein geordneter Landschaftsraum es ist, den er bietet.

    Köhler: Ich höre da zwei Dinge heraus. Erstens: Unser Vorurteil vom frühimpressionistischen Maler stimmt gar nicht. Wenn überhaupt, ist er vielleicht ein spät spätromantischer. Ja was ist er, ein Seelenlandschafts-, ein Erinnerungslandschaftsmaler, ein Gefühlslandschaftsmaler?

    Gampert: Ja, das stimmt alles. Gefühlsmaler schon, aber auch anders als Caspar David Friedrich. Bei Friedrich sind die Landschaften leer. Bei ihm sind die Landschaften spätestens dann, als er nach Frankreich zurückkehrt - also um 1840 beginnt er für den Salon zu malen und dort auch Erfolg zu haben -, spätestens dann sind die Landschaften arkadisch, pastoral, ganz in der Tradition von Lorrain. Es gibt ja die zwei großen Vorbilder für die Landschaftsmalerei. Einerseits Poussain, der die gedanklich geordnete Landschaft biblischer Darstellungen malt. Und Lorrain, der das dann mehr ins Pastorale zieht. Er ist mehr auf der Lorrain-Seite, ganz klar, und bevölkert das dann mit theatralischen Szenen aus Mythos und Bibel und hat damit unglaublichen Erfolg. Allerdings, wenn ich das noch sagen darf: Wir müssen uns immer vorstellen, 1830 malt Delacroix die Freiheit auf den Barrikaden, er ist völlig unberührt von all diesen Bewegungen.

    Köhler: Darauf wollte ich hinaus, denn das wundert einen doch, bei aller Perfektion. Und man versenkt sich da heute ja sehr gern in diese idyllischen Gegenwelten hinein, bin ich versucht zu sagen. Das ist eine Zeit, müssen wir uns denken, 1859: Darwin hat seine Evolutionsbiologie entfaltet, die Marxschen Frühschriften übers Kommunistische Manifest sind da, die Eisenbahnen rollen, die Industrie ist da, der Begriff der Entwicklung in allen Lebensbereichen ist da. Da malt der so idyllische Gegenlandschaften. Ist das ein Zivilisationsflüchtling?

    Gampert: Man könnte sagen ja, der flüchtet sich in die Landschaft, er ist ein Bourgeois, der es sich leisten kann, aus Paris rauszugehen und in diesen Teichlandschaften zu sein und dort Feuchte und Kühle in die Bilder zu holen. Das interessiert ihn, wie kriege ich das hin mit meinen fahlen Farben einen Wald zu konstruieren, der uns tatsächlich gefühlsmäßig anspringt. Die Ausstellung heißt "Natur und Traum". Traum ist fast ein bisschen zu hochgegriffen, weil das Unheimliche des Traums kommt bei ihm nicht vor. Seine Mondbilder, die Seenlandschaften unter dem Mond und auch unter der untergehenden Sonne, das sind Sehnsuchtslandschaften. Da ist er sehr stark von Narval oder Musset oder von der französischen Romantik, aber auch von der Décadence beeinflusst. Das sind Sehnsuchtsbilder und die sind großartig, die sind unglaublich konstruiert, das sind die Höhepunkte der Ausstellung. Aber modern in unserem Sinne ist das eigentlich nicht. Er hat eine Ahnung davon, was da kommt, aber er ist von den politischen Bewegungen eigentlich völlig unberührt.

    Köhler: Und da kommt noch viel – Camille Corot in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe ist zu sehen und zu bewundern – Christian Gampert war das.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.