Mittwoch, 15. Mai 2024

Archiv


Der Mensch im Tier

Biologie.- Versuchstiere, in deren Körper menschliches Material verbaut worden ist, werden als "Mischwesen" bezeichnet - ein Forschungsfeld, das irgendwie gruselig anmutet, aber sich stets weiter ausbaut. Doch wie sollen wir mit diesen Mischwesen in der Forschung umgehen? Welche Versuche sind erlaubt, welche müssten aus ethischen Gründen verboten werden?

Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen im Gespräch mit Monika Seynsche | 27.09.2011
    Monika Seynsche: Die Sagenwelt ist voll von Zentauren, Sphinxen, Meerjungfrauen, also allesamt Mischwesen aus Mensch und Tier. Was viele aber nicht wissen, ist: Auch in der Forschung sind Mischwesen längst Alltag - nämlich in Form von Versuchstieren, in deren Körper menschliches Material eingebaut wurde. Nur, wie geht man mit diesen Mischwesen um? Welche Versuche sind erlaubt und welche sind ethisch bedenklich oder sollten verboten werden? Der Deutsche Ethikrat hat zu diesen Fragen Stellung bezogen und sie heute in Berlin vorgestellt. Marieke Degen war für uns dort. Frau Degen, wie muss ich mir solche Mischwesen vorstellen?

    Marieke Degen: Im Prinzip sind das ganz normale Versuchstiere. Also zum Beispiel Mäuse sehen auch aus wie normale Mäuse, nur dass sie von Forschern eben menschliches Material eingeschläust bekommen haben. Das können menschliche Gene sein oder Chromosomen, das können auch menschliche Zellen sein oder ganze Organe. Also da gibt es ganz viele verschiedene Möglichkeiten.

    Seynsche: Und wieso macht man das überhaupt?

    Degen: Meistens geht es darum, ein Tiermodell für eine menschliche Krankheit zu entwickeln. Also damit man die Krankheit besser erforschen kann, damit man sie besser versteht und neue Therapien finden kann. Ein Beispiel: Forscher aus London haben einer Maus ein ganzes menschliches Chromosom ins Erbgut eingeschleust - das Chromosom 21. Und sie haben damit eine Maus geschaffen, die praktisch am menschlichen Down-Syndrom leidet. Oder manche Forscher setzen menschliche neuronale Vorläuferzellen in das Gehirn von Ratten, um zu schauen, ob sich damit ein Schlaganfall behandeln lässt. Aber es gibt auch noch ein extremeres Beispiel: Man kann auch den gesamten Zellkern von einer menschlichen Zelle in die Eizelle von einem Tier einsetzten - das nennt man dann einen cytoplasmatischen Hybrid oder Cybrid. Und der Sinn des Ganzen soll sein, menschliche embryonale Stammzellen auf diese Weise zu gewinnen. Da hat es auch schon Versuche gegeben mit Rindereizellen, in Großbritannien und in China. Aber bislang hat das noch nicht so richtig geklappt.

    Seynsche: Aber eine tierische Eizelle mit einem menschlichen Zellkern ist dann doch so eine Art Misch-Embryo. Heißt das, ich bekomme dann auch eine richtige Mischung aus Mensch und Kuh, oder was auch immer, am Ende?

    Degen: Nein, also so ein Cybrid aus Mensch und Rind ist nicht entwicklungsfähig, zumindest nachdem, was man bislang weiß. Der stirbt relativ früh ab. Aber wenn ich jetzt eine Eizelle von einem Primaten nehmen würde, dann würde das vielleicht schon ganz anders aussehen. Und die Frage, die sich einfach generell bei diesen Mischwesen stellt, und die sich auch der Ethikrat gestellt hat, ist: Wo ist die Grenze? Also gibt es vielleicht Versuche, die man aus ethischen Gesichtspunkten nicht machen sollte, weil die Grenze zwischen Mensch und Tier zu sehr verschwimmt?

    Seynsche: Finden denn solche ethisch ja durchaus fragwürdigen Versuche auch in Deutschland statt im Moment?

    Degen: Der Ethikrat sagt ganz klar: nein. Aber vor ein paar Jahren haben Forscher aus Göttingen schon einmal Stammzellen in die Gehirne von Affen verpflanzt. Und solche Versuche mit Primaten sind ethisch ganz besonders heikel, weil Primaten so eng mit uns verwandt sind. Die Gehirne von Affen und die Gehirne von Menschen sind sich ja sehr ähnlich und keiner weiß genau, ob sich da vielleicht irgendwelche menschlichen Merkmale oder Strukturen bei den Affen herausbilden könnten. Und in Göttingen hat man die Versuche auch ganz schnell abgebrochen. Aber in den USA werden solche Versuche weiterhin gemacht, auch mit Affen.

    Seynsche: Jetzt hat sich ja der Deutsche Ethikrat geäußert. Wie genau sehen denn die Empfehlungen des Ethikrates aus?

    Degen: Es gibt in Deutschland ja das Embryonen-Schutzgesetz, das schon eine ganze Menge regelt. Man darf zum Beispiel eine menschliche Eizelle nicht mit einer tierischen Samenzelle verschmelzen oder andersrum. Und man darf zum Beispiel auch keinen menschlichen Embryo in ein Tier einpflanzen. Was aber noch nicht wirklich gesetzlich geklärt ist, ist der Umgang mit diesen Mensch-Tier-Cybriden, von denen ich vorhin gesprochen habe. Es ist im Moment in Deutschland nicht strafbar, Cybride herzustellen. Und da ist der Ethikrat gespalten. Also die Hälfte der Mitglieder findet das gut so und will, dass das so bleibt, weil Cybride für die Forschung wichtig sind und weil so ein künstlicher Cybrid ohnehin kein Embryo sei, sagen diese Mitglieder. Der andere Teil sagt, man sollte Cybride gesetzlich verbieten, weil sie eben schon die Grundzüge eines menschlichen Embryos haben und weil man damit nicht forschen darf. Wo sich aber beide Parteien einig sind, ist, dass Cybride auf keinen Fall in die Gebärmutter eines Menschen oder eines Tieres eingepflanzt werden dürfen - und das müsste auf jeden Fall im Embryonenschutzgesetz jetzt ergänzt werden.

    Seynsche: Und was ist mit transgenen Tieren oder Tieren, die menschliches Gewebe implantiert bekommen haben?

    Degen: Da sagt der Ethikrat, grundsätzlich ist die Forschung mit solchen Mischwesen ethisch vertretbar und auch wichtig. Aber er zieht eine ganz klare Grenze, und zwar bei den Primaten. Es ist in Ordnung, menschliche Gene in Mäuse oder in Fische einzuschleusen oder Nervenzellen in das Gehirn von Nagetieren. Aber bei Affen sollte man das wirklich nur in absoluten Ausnahmefällen machen. Wie es so schön heißt, nur bei hochrangigen Forschungszielen, weil man heute einfach noch nicht genau abschätzen kann, welche Auswirkungen das auf die Affen hat. Und beim Menschenaffen, also unserem nächstem Verwandten, sollten solche Versuche generell verboten werden.

    Seynsche: Jetzt findet diese Forschung - Sie hatten es eben angesprochen - ja auch auf internationaler Ebene statt. Wie gehen denn andere Länder mit diesem Thema Mischwesen um?

    Degen: Es gibt schon eine Stellungnahme aus Großbritannien dazu, von der britischen Academy of Medical Sciences, die ist im Juli veröffentlich worden. Und das ist besonders interessant, weil die angloamerikanischen Länder ja traditionelle eher pragmatisch sind, wenn es um Forschungsfragen geht. Die Briten hatten entsprechend auch eine ganz andere herangehensweise als der Ethikrat. Der Ethikrat hat eine umfassende ethische Bewertung zu dem Thema ausgearbeitet. Die Briten haben eher geschaut: Ist die Forschung mit Mischwesen gesellschaftlich akzeptiert, beziehungsweise gibt es etwas, was der Bevölkerung besonders Angst macht? Das war der Ansatz. Aber interessanter Weise ist das Ergebnis der beiden Stellungnahmen praktisch das gleiche. Beide sagen, dass der Großteil der Mischwesen ethisch nicht problematisch ist, aber dass Forschung mit Primaten eben nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen stattfinden darf, beziehungsweise ganz verboten werden sollte. Die einzige Ausnahme ist die Forschung mit Cybriden in Großbritannien. Die ist in Großbritannien seit ein paar Jahren ausdrücklich erlaubt und stand deshalb überhaupt nicht zur Debatte. Aber insgesamt ist das ein ganz gutes Zeichen, weil man sieht, dass es vielleicht irgendwann einmal so etwas wie eine internationale Richtlinie geben könnte im Umgang mit den Mischwesen - zumindest für Europa. Aber das wird auch noch eine ganze Weile dauern.