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Der Traum der Kleopatra

Eine weihrauchverhangene, schwarze Barke gleitet den Nil hinunter zur Hauptstadt Alexandria, an Bord die göttliche Kleopatra. Ihre königliche Gestalt ist in dunkle Gewänder gehüllt, mit eingefallenen Wangen und blutunterlaufenen Augen stößt sie wilde Schreie aus. "Tod meiner undankbaren Liebe! In Trauer hülle sich meine Galeere, so wie sie sich mit Gold schmückte, als ich ihm entgegenfuhr. Die Schätze Ägyptens blendeten seine Habgier. Möge die Trauer Ägyptens auf immer sein Andenken unter sich begraben. Trauer trage mein Schiff, Minister. Trauer der Himmel. Und selbst der Nil soll Trauer tragen."

Cecilia Dreymüller | 14.06.2002
    Der Auftakt des historischen Romans von Terenci Moix, Spaniens populärstem Schriftsteller, könnte effektvoller und dramatischer nicht ausfallen. Der pompöse Bestseller über die Liebe von Antonio und Kleopatra und den Untergang Ägyptens, von dem allein in Spanien 1,6 Millionen Exemplare verkauft wurden, verquickt Opernprunk mit Historienmalerei, die plastische Widergabe von märchenhafte Szenarien mit Einblicken in die Triebkräfte der Geschichte. Terenci Moix gelingt es dabei, trotz gewisser Abrutscher ins Schwülstige, die menschliche Dimension seiner Hauptfiguren greifbar zu machen und dem Buch einen psychologischen Tiefgang zu verleihen, den die gewöhnlichen Exemplare dieses Genres nicht besitzen.

    Die Handlung setzt in dem Augenblick ein, als Kleopatra das Ende ihrer Liebe zu Marcus Antonius beweint, dem Triumvir und Prokonsul von Kleinasien. Nach dreijähriger Idylle, die wie ein einziges rauschendes Fest vergangen war, ist ihr Liebhaber auf Befehl Octvians, nach Rom zurückgekehrt. Dem Nachfolger Cäsars war der Aufenthalt des ehrgeizigen römischen Feldherren bei der Pharaonin zu gefährlich geworden, weswegen er ihn kurzerhand mit seiner Schwester; der ebenso klugen wie schönen Octavia vermählte. Der Traum der Kleopatra handelt nicht nur von Liebe und Leidenschaft, die das Paar mit orientalischer Sinnlichkeit in allen Phasen zelebriert, sondern auch von politischem Kalkül und Staatsraison:

    Was mich hauptsächlich an dieser Geschichte interessiert, ist, dass eine ganze Kultur und Zivilisation wie die ägyptische zu Ende geht. In einer Epoche, in der sich die Ägypter bereits mit den Griechen vermischt haben ? die Dynastie der Kleopatra ist eine griechiche Dynastie ? beginnt eine Art Synkretismus, eine Vermischung von Kulturen. Genau an diesem Punkt kommen die Römer, die Ägypten seine Unabhängigkeit nehmen und dann den Gnadenstoss versetzen. Das war das Ende einer ganzen Welt und mich zieht der Untergang dieses Reiches an, der mit dem Untergang des römischen Imperiums zu vergleichen ist.

    Antonio und Kleopatras stürmische Liaison entwickelt sich auf dem Hintergrund eines historisch entscheidenden Moments. Um Ägypten vor der völligen Unterwerfung unter Rom zu bewahren, unterstützt Kleopatra die Träume des ruhmsüchtigen Antonius von einem autonomen Großreich, mit Alexandria als Hauptstadt und Cäsars Sohn Cäsarion als Regenten. Doch in der Schlacht bei Action wird die ägyptische Flotte geschlagen und Alexandria von Octavian erobert. Marcus Antonius stürzt sich in sein Schwert, Kleopatra begibt sich in ihr schon zu Lebzeiten errichtetes Mausuleum, wo sie den Giftbecher nimmt. "Als es Octavian und seinen Legionären gelungen war, in das Mausoleum einzudringen, fanden sie ein prächtige Bild vor. Doch Rom hatte sie nicht befähigt, seine Bedeutung zu verstehen. Eine tote Königin, die auf einem alten Thron sass, zu ihren Füssen zwei schöne Frauen, die den ewigen Schlaf empfangen hatten, wie die süsse und warme Umarmung des Geliebten an einem Sommertag in Memphis." Der Autor stellt die römischen Eroberer, an erster Stelle Marcus Antonius, als Barbaren dar, die der mehrtausendjährigen Kultur Ägyptens verständnislos gegenüberstehen. Auch das Bild, das von der Ptolemäer?herrscherin Kleopatra entsteht, ist durchaus ungewöhnlich und weicht von den gängigen Klischees über die in Eselinnenmilch badende Männerverführerin ab. Als luxussüchtige, dekadente Abenteuererin wurde sie schon von dem lateinischen Geschichtsschreiber Plutarch beschrieben, als "Schlange vom Nil" ist sie in die Historie eingegangen. Terenci Moix unternimmt hier den ausdrücklichen Versuch, eine der faszinierendsten Gestalten der Geschichte in ein anderes Licht zu setzen. Ihn stört, dass Kleopatra, angefangen bei der Weltliteratur über Hollywoods Historienschinken bis hin zu der Comicversion von Asterix, immer wieder auf ihr Äußere Erscheinung reduziert wurde. Ihre berühmte Nase, von der noch der französische Philosoph Blaise Pascal sagte, dass die Geschichte ohne sie einen anderen Verlauf genommen hätte, bleibt deswegen unerwähnt. Hervor tritt dagegen die Politikerin, die Mutter von vier Kindern und die mit allen Listen kämpfende Frau in einer von Männern dominierten Welt:

    Kleopatra war eine überaus mächtige und bestens vorbereitete Frau. Ich wollte ihre Facette als Politikerin und Intelektuelle hervorheben. Als Politikerin war sie eine ungeheuer energische und aktive Person. Man muss bedenken, dass Kleopatra Opfer der damnatio memoriae wurde. Da sie die Verliererin war, wurde sie von den römischen Chronisten mit Schmähungen überhäuft und von ihnen mehr oder weniger als Hure dargestellt, als zerstörerisches, sexbesessenes Weib. Während das Kino aus ihr eine Art Versucherin, eine Temptress, wie die Amerikaner sagen, machte, eine Person ohne Hirn. Dazu wird sie, damit sie jugendlicher und Vampmässiger wirkt, immer ohne Kinder gezeigt, obwohl sie doch vier hatte. Mein Interesse war, gegen diesen Strom anzuschwimmen, weil es ein Bild ist, dass die Sieger, die Kolonisten, könnte man sagen, erfunden haben.

    Terenci Moix nähert sich seinem Sujet von verschiedenen Seiten. Während der erste Teil des Romans am ägyptischen Hof spielt, erhält der Leser im zweiten und vierten Teil Einblick in das Leben einer römischen Patrizierin. Octavia nämlich, die Gegenspielerin Kleopatras um die Gunst von Antonius, ist die zweite grosse Charakterfigur des Romans, in dem nicht nur die Hauptrolle, sondern auch der menschlich überzeugenste Part den Frauen vorbehalten ist:

    Die beiden weiblichen Hauptfiguren, also Kleopatra und Octavia, sind zwei ganz bemerkenswerte Figuren. Starke Frauenfiguren verführen mich sowieso immer und diese beiden sind Antonius eindeutig überlegen. Denn wenn der auch ein fähiger Krieger und Mann mit den besten Absichten war, reichte er doch nicht an das Niveau von Frauen wie Kleopatra oder Octavia heran. Man muss beachten, dass Octavia die ganze Größe der römischen Matrone repräsentierte und ein Symbol ihrer Gesellschaft und ihrer Zeit war. Kleopatra ihrerseits, eine außergewöhnlich intelligente Person und eine große Strategin, war sich dessen bewusst, dass sie nicht nur Ägypten verteidigte, sondern die Rolle des Ostens. Was sie zu bewahren suchte, war die Identität des Ostens dem römischen Reich gegenüber.

    Seit Umberto Ecos Der Name der Rose ist der historische Roman wieder salonfähig geworden und auch Der Traum der Kleopatra kann zu dieser anspruchsvolleren Variante der Unterhaltungsliteratur gezählt werden. Sowohl was die sprachliche Sicherheit, den melodischen Satzbau und die sinnliche Intensität seiner Beschreibungen angeht, als auch was die Vielschichtigkeit und psychologische Glaubwürdigkeit in der Ausführung der Figuren betrifft, ragt er über die Dutzendware und selbst über Klassiker wie Sinuhe der Ägypter oder Quo Vadis heraus. Nach einem Vorbild für sein Schreiben befragt, spricht der Autor von seiner Vorstellung von einer Grande opera, von einem großen Spektakel. Dem kommt der vorliegende Roman ziemlich nahe. Wie beim Triumphmarsch von Verdis Aida dröhnen aus seinen Seiten Zimbeln und Trompeten, wehen die Düfte des Orients und lassen sich die prächtigen Gewänder der Hofdamen sozusagen mit den Fingern erfühlen.

    Der Katalane Terenci Moix, der 1988 eine Fortsetzung von Der Traum der Kleopatra veröffentlichte, und augenblicklich an einem TutAnch Amon-Roman arbeitet, begeisterte sich schon in seiner Jugend für das Ägypten der Pharaonenzeit, vielleicht um etwas Farbe in den grauen, bleiernen Alltag des Frankismus zu bringen. Der Sohn eines Bäckers, der die sechziger Jahre zwischen den Künstlerkolonien von London und Paris verbrachte und die siebziger teilweise in Rom verlebte, betrachtet seine Liebe zu exotischen Themen heute als Ausdruck von Schizophrenie, keinesfalls jedoch von Weltflucht.