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"Der Wiederaufbau insgesamt, der geht voran"

Das Kulturleben im neuseeländischen Christchurch sei durch das Erdbeben stark beschädigt worden, sagt die Journalistin Anke Richter. Bewundernswert sei, wie die Menschen eine Kultur "auferstanden aus Ruinen" erschaffen hätten. Die Stadt selbst wolle sich mit dem Wiederaufbau als Ökostadt präsentieren.

Anke Richter im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 22.02.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Christchurch ist die zweitgrößte Stadt Neuseelands, 350.000 Einwohner, also vergleichbar mit Tel Aviv oder Toulouse. Am 22. Februar vor, einem Jahr, wurde Christchurch von einem Erdbeben erschüttert, das 185 Todesopfer forderte und große Teile des Stadtzentrums verwüstete. Wegen der Datumsgrenze ist heute in Neuseeland schon gestern, sodass der Jahrestag dort schon zu Ende ist. Ich habe heute Morgen mit der Journalistin Anke Richter in Christchurch telefoniert und sie gefragt, wie es denn um das Kulturleben in der beschädigten Stadt stehe. Wurde es gar ausradiert?

    Anke Richter: Das Kulturleben wurde nicht ausradiert, aber natürlich erst mal vorübergehend lahmgelegt. Aber was stattdessen entstanden ist – und das fasziniert mich auch sehr -, ist so eine Art Kultur, auferstanden aus Ruinen. Wir haben zum Beispiel im letzten Jahr im August, also wirklich erst kurz dann nach dem Juni-Beben, was wir auch noch hatten, das Christchurch Arts Festival hier gehabt, und in dem Theater, was in meinem kleinen Hafenvorort Lyttelton ist, das Theater "Loons", sollte eine "Macbeth"-Aufführung stattfinden. Das "Loons" wurde aber dann nach dem Juni-Beben komplett geschlossen, weil es einfach nicht mehr sicher war und strukturell zu beschädigt. Und was machten dann die erfinderischen Menschen meines Ortes? Man mietete sich ein paar ausrangierte Schiffscontainer und stellte die im Freien auf, auf einer Abrissfläche, wo vorher ein Restaurant gestanden hatte. Es wurde eine Plane dazwischen gespannt, da saßen wir Zuschauer, und die Schauspieler spielten im Freien, im Schlamm und Regen und in diesem ganzen Schutt ihr Stück, was sehr gut passte als Kulisse und eigentlich die aktuelle Situation mit der Kunst verband.

    Müller-Ullrich: Also weitermachen nur unter anderen Umständen ist natürlich eine Möglichkeit. Gibt es seitens der Künstler auch eine direkte Auseinandersetzung mit dem Geschehen?

    Richter: Ja, die Auseinandersetzung gibt es. Die gibt es natürlich auch künstlerisch. Aber es geht ja nicht nur darum, Zerstörung festzuhalten, sondern eigentlich auch, aus dieser Zerstörung heraus wieder was Neues entstehen zu lassen. Eine ganz wunderbare Initiative heißt Gap-filler. Gap-filler heißt ja nun Lückenfüller, und in diesen vielen Lücken, die wir nun haben, auf diesen abgerissenen Stellen zwischen den Ruinen und den abgerissenen Häusern, auf diesen Brachlandschaften, entstehen ganz tolle Straßenkunstprojekte. Oder zum Beispiel jetzt gerade der letzte Gap-filler – da sind immer so alle paar Wochen neue Aktionen – war ein von Pedalkraft getriebenes Freiluftkino. Also die machen hier wirklich aus der Not eine Tugend und erschaffen ganz neue Projekte, die wahrscheinlich vorher in Christchurch, in dieser alt eingesessenen Kulturlandschaft, gar nicht möglich gewesen wären.

    Müller-Ullrich: Lassen Sie uns heute, am ersten Jahrestag dieser Katastrophe, eine kurze Schadensbilanz ziehen, vor allem in kultureller Hinsicht. Man kann oder kann nicht ein Fernsehen auch zum Kulturbereich rechnen. Die größte Zerstörung, oder die meisten Toten hat es ja gegeben beim Zusammensturz des Fernsehzentrums. Welche anderen Kultureinrichtungen sind noch betroffen?

    Richter: Wir haben hier eine fantastische Kunstgalerie gehabt, die Christchurch Art Galery, die wirklich auch in Neuseeland ziemlich herausragend war. Die wird aber Mitte nächsten Jahres wieder eröffnet, das ist der letzte Stand, das macht auch vielen Hoffnung. Schade, dass es noch so lange dauert, aber zumindest werden wir sie wieder haben. Es sind gerade 500.000 Dollar von den Spenden, die eingegangen sind für Christchurch, von den sieben Millionen Dollar Spenden, wieder abgezogen für die Künste, für Veranstaltungen, für kleine Kulturunternehmen, und das ist immerhin gut, dass das auch als wichtig empfunden wird und nicht nur ein neues Rugby-Stadion, was natürlich Christchurch auch braucht.

    Müller-Ullrich: Im Sommer hat es geheißen, dass Christchurch möglicherweise teilweise verlagert werde, das heißt, dass ganze Stadtbezirke aufgegeben werden. Jetzt ist die Rede davon, der Bürgermeister sagte es, alles solle wiederaufgebaut werden. Was stimmt denn nun?

    Richter: Alles kann nicht wiederaufgebaut werden, weil es gibt in der Tat Zonen, die sind einfach nicht mehr bewohnbar, da hat so eine tolle Verschlammung stattgefunden. Es gibt ganze Wohngebiete, die abgeschrieben werden. Aber die Innenstadt soll wiederaufgebaut werden, und das war natürlich auch anfangs sehr heftig diskutiert, ob das überhaupt Sinn macht, ob man nicht daraus einfach eine Parklandschaft macht und dann den Stadtkern ganz woanders hin verlagert. Aber der Stadtkern wird wieder da entstehen, wo er einmal war. Es wird eine "eco city", also eine Öko-Stadt entstehen, diese Vision besteht nun, und es kann fünf Jahre dauern oder auch zehn Jahre, aber Christchurch soll wirklich Vorbild werden und wird sicher weltweit eine der Städte werden, auf die man schaut, wenn man sagt, so kann man sicher bauen und auch vernünftig bauen – das ist zumindest die Vision. Aber in der Praxis sieht das natürlich an vielen Ecken und Enden ganz anders aus, wo Leute wirklich von A bis Z frustriert sind, weil sie nicht vor und nicht zurück können und nicht aus ihren Häusern heraus und nicht klar ist, ob nun aufgebaut wird oder nicht. Diese ganzen individuellen Schicksale, die zehren an den Leuten. Aber der Wiederaufbau insgesamt, der geht voran.

    Müller-Ullrich: Anke Richter über das Kulturleben in der neuseeländischen Stadt Christchurch, die vor einem Jahr von einem Erdbeben verwüstet wurde.