Archiv


Detektivroman mit futuristischen Zügen

Ein Detektiv alten Schlages soll in der futuristischen Welt von Kalino einen Mord aufklären. In seinen satirischen Krimi hat Radek Knapp scharfe Gesellschaftskritik gepackt: Es geht um Schönheitswahn und Konsum, um die Macht der Konzerne und der Unterhaltungsindustrie.

Von Marta Kijowska |
    Radek Knapp liebt abenteuerliche Reisen – das konnte man schon an seinem ersten Roman erkennen: In "Herrn Kukas Empfehlungen" schickte er einen jungen Polen auf seine erste Reise nach Wien und konfrontierte ihn dabei mit lauter absurden Situationen und skurrilen Gestalten. Dass der Neuling diesen Härtetest recht gut überstand, war nur den Ratschlägen des gewieften Herrn Kuka zu verdanken. Diesmal geht Radek Knapp noch einen Schritt weiter: Er führt seinen Helden, einen Detektiv namens Julius Werkazy, an einen völlig fremden Ort und stellt ihn vor ein schwieriges kriminalistisches Rätsel. Die Form des Detektivromans ist zwar für ihn ein Novum, doch er geht ans Werk mit viel Fantasie und dem ihm eigenen satirischen Talent.

    Radek Knapp: "Als Leser habe ich gern Geschichten, die den Leser von A nach B mit möglichst großer Spannung transportieren. Das muss jetzt kein Krimi sein, kann auch was anderes sein. Aber ich dachte, jetzt werde ich als Autor das tun, was ich auch als Leser gern hätte. Und so ist es zu diesem krimiartigen Buch gekommen. Und außerdem, denke ich, haben wir hier eine Frage, die sehr wichtig ist, und wichtigen Fragen sollte man sich schon mit leichter Hand nähern."

    Die Verbindung von Krimi und Satire war Radek Knapp offenbar nicht leicht genug, denn er gibt seinem Handlungsort auch noch futuristische Züge. Kalino – die Stadt, in die Werkazy reist, um einen Mordfall zu lösen – erinnert auf den ersten Blick an eine Festung: Sie liegt auf einem Berg und ist von einem hohen, mit unzähligen Sensoren durchsetzten Zaun umgeben.

    Noch ungewöhnlicher wirkt es aber von innen: ein Bahnhof ohne Wartezimmer, Kassen und Fahrplan; fensterlose Häuser, die aus einem seltsam funkelnden Baumaterial gemacht sind; Eingangstüren, die sich nicht öffnen lassen. Am meisten jedoch staunt der Detektiv, als er die Kalinianer zu Gesicht bekommt:

    "Er konnte sich nicht erinnern, jemals so viele gut aussehende Frauen und Männer auf einem Fleck gesehen zu haben. Sie wirkten alle sehr sportlich und gesund. Und sie alle steckten in einer offenbar nach Kalinomode gemachten Kleidung, die, knapp geschnitten und körperbetont, ihre überdurchschnittliche Physis hervorhob. Es herrschte eine ausgelassene Atmosphäre, die dem Beobachter zu sagen schien, dass hier etwas Besonderes und Magisches vor sich ging."

    Diese Heiterkeit hat allerdings etwas Künstliches an sich, und Werkazy braucht nicht lange, um festzustellen, dass dies für den gesamten Alltag der Kalinianer gilt. Sie bewegen sich mit Hilfe von "K-Mobilen", benutzen "Translokationsschirme", auf denen sie jede Situation "vorsimulieren" können, verständigen sich mit einem "Gerlan", einer lokalen Variante des Handys, und für ihre Sicherheit sorgen gut geschulte "Perfektionsdiener". Es ist eine in sich geschlossene, hoch technisierte Welt, in der jemand wie Werkazy völlig deplatziert wirkt. Er ist nicht mehr ganz jung, sein Outfit lässt einiges zu wünschen übrig, und dass er einen Prozessor nicht für eine aussterbende Fischart hält, verdankt er nur seinem technisch begabten Partner.

    Er ist auch nur ein kleiner, unbedeutender Detektiv. Warum also soll ausgerechnet er den ersten Mord in der Geschichte von Kalino aufklären? Und wieso kam der Auftrag direkt von F. Osmos, dem Gründer und absoluten Herrscher der Stadt? Wirklich nur, weil es sich bei dem Ermordeten um Buschart, einen seiner engsten Mitarbeiter, handelt? Werkazy macht sich an die Arbeit, doch schon bald stellt sich heraus, dass hinter Buscharts Tod ein teuflischer Plan steckt: Osmos will aus allen Menschen Kalinianer machen und nur aus diesem Grund hat er Werkazy in sein Reich gelockt.

    "Wenn ich Kalino nicht nach außen bringe, wird es sich von selbst dorthin ausbreiten. Unsere Mitmenschen da draußen wollen kein Gold mehr, sondern ein hübsches Gesicht und das Gefühl, das sie so bis in alle Ewigkeit weitermachen können. Kalino ist das neue Gold."

    Julius Werkazy billigt aber diesen Plan keineswegs, und bald hat er auch einen wichtigen Verbündeten: den tot geglaubten Buschart, der sein Verschwinden selbst inszeniert hat.

    Man muss keine weiteren Details der Handlung kennen, um zu ahnen, worauf Radek Knapps Roman abzielt. Es geht um Schönheitswahn und Konsumdenken. Um die Macht der Konzerne, die Aggressivität der Unterhaltungsindustrie und die Überpräsenz der elektronischen Medien, die uns Menschen zu einer gedankenlosen, leicht manipulierbaren Masse machen. Hinter der futuristischen Fassade verbergen sich scharfe gesellschaftskritische Töne.

    Radek Knapp: "Ich wäre nicht imstande, eine Gesellschaftskritik 1:1 zu schreiben, dafür fehlt mir das Wissen oder das wissenschaftliche Potential. Außerdem fehlt mir auch der Appetit darauf. Viel schöner ist es, eine solche Geschichte zu erfinden, die woanders stattfindet, aber je mehr wir von ihr lesen und erfahren, desto mehr wissen wir, hey, das kenne ich doch, das ist doch die Welt, in der lebe."

    Was also tun, um diese Welt zu ändern, um die "Kalinisierung" der Gesellschaft zu stoppen? Die Antwort scheint in dem Namen zu stecken, den die Kalinianer den Außenstehenden verpasst haben: die "Papiergesichter". Damit meinen sie die Falten in menschlichen Gesichtern – sie selbst altern ja nicht und halten sich für unsterblich. Denkt man dabei aber nicht auch an etwas anderes? Etwa an Worte, die man zu Papier bringt' Und an Gedanken, die dahinter stecken?

    Um sich den Mächtigen der heutigen Welt zu widersetzten, soll der Mensch endlich wieder anfangen, selbstständig und kritisch zu denken. Die Lösungen, die er dann findet, sind oft einfacher, als er glaubt. Das scheint Radek Knapps wichtigste Botschaft zu sein. Und die Lösung, die er für Kalino parat hält, ist wirklich einfach – sie hat die ganze Zeit in der Tasche von Julius Werkazy gesteckt: Es ist ein Sender, den er mitgebracht hat, um mit seinem Partner in Kontakt zu bleiben – ohne zu wissen, dass dessen Bauanleitung von Buschart stammt.

    "Buschart griff den Sender und nahm blitzschnell den Boden ab. Er entfernte ein Teil und steckte den grünen Würfel an seinen Platz. Der Sender erwachte zum Leben. 'Wenn der Würfel richtig funktioniert', sagte er, 'werden wir mit einem einzigen Anruf die biologischen Uhren der Kalinianer wieder zum Laufen bringen. Sie werden sich wieder in Papiergesichter verwandeln. Damit ist Kalino Geschichte.'"

    Und wie sieht es mit Lösungen für die reale Welt aus? Ist Radek Knapp auch da ein Optimist? Es ist wohl kein Zufall, dass er seine utopische Welt Kalino genannt hat. Damit deutet er ja das ihm vertraute Osteuropa an, das nach der Wende zu einem besonders heiß umkämpften Zielgebiet der Konzerne geworden ist. Kann man denn überhaupt noch Hoffnung haben?

    Radek Knapp: "Ich würde niemals ein Buch schreiben, zwei Jahre Zeit dafür opfern, wenn ich kein Optimist wäre. Ich finde, dass wir als Masse eine enorme Macht haben gegenüber den Konzernen, die uns manipulieren. Es reicht schon, wenn wir nur einen Fernseher im Jahr kaufen oder nur ein Handy, und mit dem Auto alle zwei Tage eine Pause machen. Das würde eine enorme Veränderung auslösen. Aber ich in ein Optimist, und ich denke, die ganzen Burn-outs, diese ganzen Depressionen, die wir haben, das sind alles nur Signale, dass wirklich etwas nicht stimmt und wo unser Selbsterhaltungsinstinkt sagt, jetzt mache ich aber langsam Schluss, das mache ich nicht mehr mit."

    Radek Knapps Buch ist also trotz allem optimistisch – und vor allem sehr unterhaltsam. Es gibt viel Spannung, sympathische Figuren, amüsante Dialoge und eine faszinierend fremde und doch irgendwie vertraute Welt. Dem Science-Fiction-Meister Stanislaw Lem, mit dem Radek Knapp befreundet war, würde das Buch jedenfalls bestimmt gefallen.

    Radek Knapp: "Es ist kein wirkliches Science-Fiction. Ich bin auch kein großer Fan von Science-Fiction-Romanen, obwohl ich Stanislaw Lem wirklich sehr gut kannte. Aber auch damals habe ich mir gesagt, ich würde lieber Franz Kafka kennen lernen als Stanislaw Lem, obwohl ich mich nicht beschweren will. Aber auf jeden Fall ist es so, dass ich sehr gern eine spannende Geschichte schreiben wollte. Und das die Zukunftselemente hier so als Science-Fiction rüberkommen, ist nur Interpretationssache. Ich finde, das ist eigentlich ein Gegenwartsroman."

    Radek Knapp: Reise nach Kalino.
    Roman
    Piper Verlag, München 2012, 254 Seiten, 19,99 Euro