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Deutsch in Migrantenfamilien
"Lieber kein Deutsch als ein falsches Deutsch zuhause"

Eine Pflicht für Migrantenfamilien, zuhause Deutsch zu sprechen, sei auch im Sinne kultureller Wertschätzung unangebracht, sagte Wolfgang Tietze, Experte für frühkindliche Pädagogik, im DLF. Dass Kinder richtiges Deutsch lernen, sei Aufgabe von Kitas und Schulen.

Wolfgang Tietze im Gespräch mit Benedikt Schulz |
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    Es sei im Wesentlichen eine Aufgabe der Bildungsinstitutionen, die Sprachentwicklung der Kinder zu fördern, sagte Tietze. (Waltraud Grubitzsch/lsn (c)
    Benedikt Schulz: Also, die Debatte läuft, und - erst mal ganz unabhängig davon, wie sie denn nun ausgeht -, vielen bleibt die Frage: Welche Bedeutung hat es denn, wenn Kinder aus Migrantenfamilien zu Hause Deutsch sprechen oder das eben nicht tun? Professor Wolfgang Tietze ist Experte für frühkindliche Pädagogik und er ist wissenschaftlicher Berater von "Bildung braucht Sprache", ein Modellprojekt, das die Sprachförderung in Kitas und Grundschulen verbessern will. Hallo, Herr Tietze!
    Wolfgang Tietze: Hallo, Herr Schulz!
    Schulz: Steckt denn hinter der CSU-Forderung ein wahrer Kern, lernen Kinder besser Deutsch, wenn zu Hause konsequent Deutsch gesprochen wird?
    Tietze: Also, Kinder lernen Deutsch in einer Deutsch sprechenden Umgebung, die die deutsche Sprache, die Verständigung in der deutschen Sprache herausfordert. Das sehe ich in den Einrichtungen von der Kita bis zur Schule, aber ich vermag das nicht zu erkennen für Familien, die gar nicht zu Hause Deutsch sprechen können. Das wäre eine absolut künstliche Situation, die auch im Sinne von kultureller Wertschätzung, glaube ich, unangebracht wäre. Also, wir können nicht erwarten, dass durch eine Verordnung - zu Hause wird Deutsch gesprochen - nun die Sprachentwicklung der Kinder gefördert wird. Das ist im Wesentlichen eine Aufgabe unserer Bildungsinstitutionen. Und natürlich wird Deutsch auch in vielen anderen Kontexten gesprochen, von den Kindern verlangt, etwa in Sportvereinen, etwa bei Freizeitaktivitäten, etwa wenn sie mit anderen, deutschstämmigen Kindern spielen. Also, es ist das verkehrte Setting, von der Familie, die einen Migrationshintergrund hat und wo die Erwachsenen keine kompetenten Deutschsprecher sind, dort also erwarten zu wollen, dass hier die Kinder ein anregendes Umfeld für die Erlernung der deutschen Sprache erfahren können.
    "Wie sollen sie gute Sprachvorbilder für die Kinder sein?"
    Schulz: Aber es besteht oft die Befürchtung, dass die Kinder die Sprachkompetenzen, die sie nun in der Schule erworben haben, nicht zur Anwendung bringen, wenn ihr Alltag halt vor allem in den häuslichen vier Wänden durch die Muttersprache der Eltern bestimmt ist.
    Tietze: Das ist richtig, die Kinder werden dann zweisprachig erzogen. Wir müssen für hinreichende Kontexte sorgen, herausfordernde Kontexte für die Kinder, dass sie also Gelegenheit zum Deutschsprechen haben, auch in anderen Aktivitäten, Spielaktivitäten nachmittags. Kinder sind ja im Schulalter in jedem Fall häufig auch im Hort oder in der Ganztagsschule, dort sind also wichtige Felder, wo die Kinder in einer informellen Weise Deutsch sprechen. Im Übrigen ist es wichtig, dass die Kinder wenigstens, auch wenn jetzt ihre Muttersprache eine andere Sprache ist als das Deutsche, dass sie in diesem Zusammenhang auch kompetente Sprecher erleben. Stellen Sie sich mal vor, erwachsene Eltern, die selber keine guten Deutschsprecher sind, wie sollen die erstens die Motivation aufbringen, und zweitens wie sollen sie gute Sprachvorbilder für die Kinder sein? Das ist mir unbegreiflich.
    Schulz: Würden Sie denn so weit gehen und sagen, dass, wenn in einem häuslichen Kontext, in dem die Eltern keine deutschsprachigen Muttersprachler sind, dass es eher schadet, wenn dort konsequent schlechtes Deutsch gesprochen wird?
    Tietze: Ja, mit Sicherheit. Denn die Kinder sollen ja gute Vorbilder haben. Und gerade das häusliche Milieu, das informelle Milieu ist natürlich eine wichtige Sprachumgebung. Und wenn die also mit schlechten Sprechern verbunden ist, übrigens auch in der Heimatsprache, ist das keine gute Situation für das Erlernen der Sprache. Also lieber kein Deutsch als ein falsches Deutsch zu Hause.
    "Die Kita hat eine ganz zentrale Rolle"
    Schulz: Sie haben vorhin über Bildungskontexte gesprochen. Welche Rolle hat in diesem Zusammenhang die Kita?
    Tietze: Die Kita hat eine ganz zentrale Rolle, weil die Kita für die Kinder eine lustvoll spielende, spielerisch orientierte Umgebung ist, wo sie zur Interaktion herausgefordert werden. Und zwar ohne das Damoklesschwert, bestimmte Leistungen zu erbringen. Das unterscheidet die Kita von der Schule. Und von daher ist eine frühe sprachliche Förderung, die Gelegenheit zum frühen Spracherwerb ein ganz wichtiger Punkt. Wir haben das übrigens in der NUBBEK-Studie untersucht, sie zeigt, dass der frühe Kita-Besuch mit einer besseren Sprachentwicklung bei Kindern mit Migrationshintergrund verbunden ist, als wenn die Kinder erst viel später diese Gelegenheit haben.
    Schulz: Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund eine Maßnahme wie das Betreuungsgeld?
    Tietze: Ja, ich meine, da gibt es eigentlich hinreichend viele Belege, dass das, was die Förderung anbelangt, es kontraproduktiv ist, weil es Kinder aus bestimmten sozialen Milieus eher an ein wenig anregendes Milieu bindet, anstatt die Möglichkeit zu haben, dass diese Kinder jetzt andere sprachanregende Kontexte erleben und damit also ein Stück früher Förderung erfahren.
    Schulz: Ich habe bereits das Modellprojekt "Bildung braucht Sprache" angesprochen, das Sie wissenschaftlich begleiten. Mit welchen Instrumenten wollen Sie die Sprachkompetenz von Kindern mit Migrationshintergrund verbessern?
    Tietze: Wichtig ist, dass hier einmal das Bewusstsein der Pädagogen in der Frühpädagogik geschärft wird, dass Formen der Zusammenarbeit entwickelt werden auch zwischen Kindergarten und Grundschule, dass also der sonst häufige Bruch einer spielerisch orientierten Lernumwelt im Kindergarten und dann der eher schulisch orientierten Lernumwelt mit Leistungsanforderung in der Schule, dass dieser Bruch minimiert wird, dass Pädagogen von beiden Richtungen über ihre jeweilige Arbeit voneinander wissen und gewissermaßen kontinuierliche Lernumwelten für die Kinder bereitstellen. Gerade im Übergang vom Kindergarten zur Schule ist das wichtig. Deswegen konzentriert sich dieses Projekt auch genau auf den Übergang, also auf die Phase irgendwo zwischen fünf und sieben Jahren versucht, die beiden Bildungsinstitutionen zusammenzubringen.
    Schulz: Sagt Wolfgang Tietze, Experte für frühkindliche Pädagogik. Ich danke Ihnen!
    Tietze: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.