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Deutsch-russischer Kulturaustausch
Dialog statt Boykott

Der Ukraine-Konflikt belastet die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. Dessen ungeachtet wurde jetzt das Jahr der deutschen Sprache und Literatur in Russland eröffnet. Eine solche "Veranstaltung ist notwendiger denn je", sagte der Leiter des Moskauer Goethe-Instituts, Rüdiger Bolz, im Deutschlandfunk.

Rüdiger Bolz im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich |
    Wohn- und Geschäftshäuser zu beiden Seiten des Gribojedow-Kanals in St. Petersburg (Russland), 2012
    In St.Petersburg wurde Jahr der deutschen Sprache und Literatur eröffnet. (picture alliance / dpa / ZB / Jens Büttner)
    Burkhard Müller-Ullrich: Das Jahr der deutschen Sprache und Literatur hat heute begonnen. Wo? In Russland! Es ist die Parallelveranstaltung zum bereits im Juni in Berlin eröffneten Jahr der russischen Sprache und Literatur. Dazu gibt es heute und morgen ein Festival im Moskauer Eremitage-Garten, mit Tanzperformances, Theateraufführungen und Lesungen, und mittendrin habe ich kurz vor der Sendung den Leiter des Moskauer Goethe-Instituts, Rüdiger Bolz, auf dem Handy erreicht, weshalb die technische Qualität der folgenden Aufnahme leider etwas mangelhaft ist. Aber angesichts der Umstände wollten wir doch wissen, ob ein solches Festival nicht eigentlich obsolet erscheint.
    Rüdiger Bolz: Nein. Sie haben völlig recht: Vor zirka einem Jahr hat man begonnen, die Veranstaltung durchzuplanen. Die Veranstaltung ist eigentlich notwendiger denn je. Wäre die Geburt nicht schon eher, dann hätte man sie trotzdem neu erfinden müssen.
    Müller-Ullrich: Das ist natürlich klar, dass Sie als ein Vertreter des Goethe-Instituts so sprechen, denn eines der Grundprinzipien Ihrer Institution lautet "Aufeinander zugehen, Brücken bauen", und dafür dient die Kultur. Aber die Frage ist natürlich: Dient die Kultur wirklich dafür? Merkel und Putin können nicht so miteinander, aber Mann und Puschkin ersetzen sie dann?
    Menschen miteinander in Beziehung bringen
    Bolz: Ich würde so nicht argumentieren wollen. Ich spüre einfach - wir haben sie ja heute Mittag eröffnet, ich bin konkret bei der Veranstaltung -, wir haben mindestens 3.000 Leute, die begeistert sind über das, was ihnen angeboten wird, nämlich möglichst alles ist partizipativ angelegt. Jeder findet etwas, wo er sich einbringen kann, und insofern erfüllt diese Veranstaltung und erfüllt auch das Jahr der deutschen Sprache und Literatur den Anspruch, dass man Menschen miteinander in Beziehung bringt. Und wenn man das nicht tut, riskiert man im Grunde ein Fundament, das viel schwieriger wieder aufzubauen wäre, als zum Beispiel neue Geschäftskontakte zu knüpfen.
    Müller-Ullrich: Aber wo ist denn Ihres Erachtens die Grenze? Es ist ja denkbar, dass man irgendwann sagt, da können wir jetzt nicht mitmachen. Eine ähnliche Situation gab es schon im Hinblick auf die Manifesta in Sankt Petersburg. Auch da haben viele Künstler, also Vertreter des Bereichs, den Sie vertreten, selbst zum Boykott geraten.
    Bolz: Die Grenze - es gibt natürlich immer Überlegungen, feiert man in schwierigen Zeiten, oder lässt man das dann besser sein, macht man Party oder nicht. Da sind wir absolut dabei zu sagen, Nein, wir veranstalten keine Open Air Partys, sondern wir konzentrieren uns auf Veranstaltungen und Lesungen und Bildungsangebote. Da gibt es für mich eine Grenze. Und sicherlich gäbe es eine Grenze, wenn man uns in irgendeiner Weise versuchen würde, inhaltlich zu steuern oder so etwas.
    Müller-Ullrich: Das ist niemals erfolgt?
    Bolz: Nein, nein.
    Wir können die Partner nicht einfach im Stich lassen
    Müller-Ullrich: Haben Sie den Eindruck, wenn das niemals erfolgt ist, dass Sie dem Regime in irgendeiner Weise nützlich sind?
    Bolz: Das verstehe ich nicht ganz. Ich glaube, uns geht es auch nicht darum, jemandem nützlich zu sein, sondern uns geht es darum, den Dialog und die Kommunikation aufrecht zu erhalten und möglichst weiter zu intensivieren. Immerhin arbeiten wir ja seit Jahrzehnten hier und arbeiten mit verlässlichen Partnern und die kann man auch nicht einfach im Stich lassen, indem man sagt, Nein, machen wir jetzt nicht mehr, sondern ich bin überzeugt davon, dass wir weiterhin gegenseitig unsere Sprachen lernen, und zwar intensiv, dass wir gegenseitig unsere Bücher lesen und übersetzen und die Autoren miteinander ins Gespräch bringen, also das, was wir hier ein Jahr lang auch intensiv tun wollen.
    Müller-Ullrich: Ich verstehe, dass Sie diplomatisch sprechen. Allerdings hat sich ja nun doch etwas getan in diesem Jahr. Haben Sie davon nichts gemerkt? Sie haben gesagt, Sie sind nicht unter Druck gesetzt worden. Aber irgendetwas hat sich doch atmosphärisch sicherlich verändert?
    Bolz: Sie meinen kulturpolitisch in Russland?
    Müller-Ullrich: Ja, natürlich!
    Bolz: Ja! Natürlich registrieren wir sehr, sehr genau und fast seismographisch, was passiert. Wir merken natürlich auch atmosphärische Veränderungen, weniger in Moskau als in den russischen Regionen, wo man dann doch gegenüber avantgardistischen Dingen etwas vorsichtiger ist, oder wo man ganz einfach sagt, ja wieso, die Tradition und das Schöne, Wahre und Gute ist doch viel interessanter. Solche Dinge merkt man. Man merkt sicherlich, dass im Bereich Film es bestimmte Filmproduktionen es schwerer haben, Verleiher zu finden, insbesondere russische Filme, internationale trifft das ja noch nicht. Aber ich muss gleichzeitig sagen, bisher könnte ich jetzt kein Beispiel benennen, wo in irgendeiner Weise versucht würde, unsere Arbeit zu behindern. Ich muss fast sagen im Gegenteil, weil alle unsere Partner sind ja deutlich europa- und westorientiert und nach wie vor interessiert an der Zusammenarbeit.
    Kritische Stimmen nicht zu den Kulturangeboten
    Müller-Ullrich: Ist das sozusagen ein Treffen von Regimegegnern?
    Bolz: Das kann man im Einzelnen gar nicht so ganz genau sagen. Ich qualifiziere im Grunde auch die Menschen, mit denen ich spreche und denen ich begegne, nicht danach. Aber wichtig für uns und für mich ist im Kontakt die Offenheit, und wenn jemand offen ist, auch offen Probleme ansprechen kann, auch offen Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen im Nachbarland, auch wenn man darüber sich unterhalten kann, dann ist das gut, selbst wenn man unterschiedliche Standpunkte hat.
    Müller-Ullrich: Sind Sie als Deutscher, also als Vertreter mittlerweile eines im Kriegszustand schon fast gesehenen, von russischer Seite aus, Auslands auch angefeindet worden?
    Bolz: Nein! Nein, nein, wir werden nicht angefeindet und wir werden als das gesehen, was wir seit weit über 20 Jahren sind: das deutsche Kulturinstitut mit nach wie vor über 6.000 Kursteilnehmern im Jahr, mit Hunderten von Veranstaltungen, mit Kooperationen. Das kann ich überhaupt nicht sehen. Natürlich registrieren wir auch kritische Stimmen in der Presse, aber die betreffen nicht uns und die betreffen auch in gar keiner Weise jetzt Theatergastspiele oder sonstige Kulturangebote.
    Müller-Ullrich: Der Leiter des Moskauer Goethe-Instituts, Rüdiger Bolz, zur Eröffnung des Jahres der deutschen Sprache und Literatur heute in Russland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.