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Deutsch-türkische Wirtschaftsbeziehungen
"Die Exporte in die Türkei werden zurückgehen"

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag rechnet in Folge des Zerwürfnisses zwischen Deutschland und der Türkei mit deutlichen Exporteinbußen. Man erwarte unter Einbeziehung der jetzigen Vorkommnisse einen Rückgang der Exporte in die Türkei von zehn Prozent, sagte der Außenwirtschaftschef des DIHK Volker Treier im Dlf.

Volker Treier im Gespräch mit Sina Fröhndrich | 20.07.2017
    Der stellvertretende DIHK- Hauptgeschäftsführer Volker Treier.
    Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. (pa/dpa/Jensen)
    Sina Fröhndrich: Hermes-Bürgschaften, Investitionskredite. Viele Möglichkeiten also für deutsche Unternehmen, sich bei Geschäften im Ausland abzusichern. Außenminister Sigmar Gabriel stellt diese Instrumente für die Türkei auf den Prüfstand. Was heißt das jetzt? Das habe ich Volker Treier gefragt, er ist Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. Frage an ihn: Welche Konsequenzen zieht die deutsche Wirtschaft jetzt aus Gabriels Ankündigung?
    Volker Treier: Wir haben ohnehin seit dem Putschversuch eine wirklich wachsende Verunsicherung bei deutschen Unternehmen in der Türkei, und die Türkei ist zweifelsohne ein wichtiger Handels- und Investitionspartner. Umso bedauerlicher ist diese Situation. Aber mit den aktuellen Spannungen und dieser Zuspitzung des Konfliktes wird die Verunsicherung zunehmen und es ist ja kaum vorstellbar, dass Unternehmen sich jetzt aufmachen und neue Investitionen im Land vornehmen.
    Fröhndrich: Ganz konkret: Wie sehr belastet das deutsche Unternehmen?
    Weniger Investitionen
    Treier: Kreditversicherungen (und man muss dazu nehmen die Bundesgarantien für Investitionen) sind ein wichtiges Scharnier für internationale Geschäfte, für grenzüberschreitende Investitionen deutscher Unternehmen. Das heißt, wenn diese Mittel wegfallen, dann werden deutlich weniger Investitionen vorgenommen von deutschen Unternehmen in die Türkei. Der größere Schaden, der liegt in der Türkei, dass das Land sich dann nicht modernisiert, dass gute Arbeitsplätze dort nicht entstehen. Aber auch, und das ist auch klar: Die Unternehmen, die diese Garantien benötigen, die machen dann weniger und werden auch einen geschäftlichen Schaden nehmen.
    Fröhndrich: Was glauben Sie? Zuletzt hieß es immer, fünf Prozent weniger Exporte von Deutschland in die Türkei. Das war immer so die Prognose für dieses Jahr. Werden wir uns von der Zahl noch verabschieden müssen und die Exporte werden noch deutlicher einbrechen?
    Treier: Wir erwarten unter Einbeziehung der jetzigen Vorkommnisse, die einen weiteren Schaden verursachen werden, einen Rückgang der Exporte in die Türkei von zehn Prozent. Das ist angesichts der eigentlich dynamischen Entwicklung beider Länder wirklich ein Schlag ins Kontor. Und von Neuinvestitionen brauchen wir auch gar nicht mehr zu sprechen.
    Fröhndrich: Sie sagen jetzt, dass Investitionen dann wahrscheinlich auf den Prüfstand gestellt werden, auch weil der politische Rahmen ja das Ganze auch vorgibt. Ist es denn nicht im nächsten Schritt auch denkbar zu sagen, wir brechen unsere Zelte ab, dass sich Unternehmen ganz aus der Türkei zurückziehen?
    Nicht jede Tür zuschlagen
    Treier: Beibehaltung, zumindest das möglich lassen von auch wirtschaftlichen Beziehungen, was ja am Ende auch immer Beziehungen zwischen Menschen sind, ist, glaube ich, gerade jetzt in so einer schwierigen Konstellation ganz wichtig. Wir halten es für vernünftig, wenn wir einen zweigeteilten Ansatz fahren. Das eine ist, ein Signal zu senden an die türkischen Autoritäten, dass wir die jetzige Vorgehensweise von politischer Seite so nicht dulden, dass aber andererseits auch nicht jede Tür zugeschlagen wird, die wir in den letzten Jahren mühsam aufgemacht haben.
    Fröhndrich: Aber gibt es nicht irgendwann einen Punkt, der erreicht ist, bei dem man sagt, die Türkei, die verabschiedet sich sukzessive von der Demokratie, wir beobachten das von hier aus, bei dem man sagt, jetzt ist der Punkt erreicht, in dem Land kann man eigentlich keinen Standort mehr aufrecht erhalten?
    Treier: Im Moment ist der Punkt erreicht, dass wir da nicht tatenlos zusehen, sondern wichtige Signale senden, und der Bundesaußenminister hat hierzu heute den wichtigen Schritt und den notwendigen Schritt getan.
    Fröhndrich: Wenn Sie das Signal jetzt ansprechen, wie groß oder stark kann denn dieses Signal sein? Wir sprechen ja am Ende über 6.000 deutsche Unternehmen in der Türkei. Juckt das einen Erdogan überhaupt, wenn diese jetzt beispielsweise sagen, wir investieren weniger in der Türkei?
    Deutsche Wirtschaft spielt wichtige Rolle bei der Modernisierung der Türkei
    Treier: Die deutsche Wirtschaft spielt für die Modernisierung des Landes eine enorm wichtige Rolle. Wenn wir mehr als 6000 deutsche Unternehmen vor Ort haben, die Produktionsanlagen dort besitzen im Wert von über neun Milliarden Euro, mehrere hunderttausend Menschen dort vor Ort beschäftigen, dann zeigt das schon, wie gut die Beziehungen eigentlich bis letztes Jahr waren. Bislang stand Erdogan für eine Öffnung des Landes und die Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohlstand, was ihm ja so viel auch Rückhalt gegeben hat. Aus meiner Sicht setzt er das im Moment aufs Spiel.
    Fröhndrich: Würden Sie sagen, diese Drohkulisse, die Berlin jetzt aufbaut, die wird am Ende schon Wirkung zeigen in der Türkei?
    Treier: Im Moment sehen wir vor allem eine Drohkulisse von der türkischen Seite, indem unter dem Vorwand, dass Unternehmen Terrorismus aus Blickwinkel der Türkei finanzieren, diese Beschuldigungen sind schon eine Androhung an die westliche Welt, oder ich glaube es so zu interpretieren.
    Fröhndrich: Da meinen Sie jetzt Daimler und BASF, wobei die türkische Regierung da jetzt heute noch mal klargestellt hat oder gesagt hat, diese Berichte seien falsch, dass es diese Liste gibt, auf der Daimler und BASF stehen.
    Treier: Zunächst gibt es sehr ernst zu nehmende Hinweise hier in Berlin von den politischen Verantwortlichen, dass es eine Liste gibt, auf der auch deutlich mehr stehen als nur zwei deutsche Unternehmen, möglicherweise auch noch andere internationale Unternehmen, und diese Hinweise nehmen wir als Vertreter der verfassten Wirtschaft sehr ernst. Diese ungleichgewichtige Informationslage ist noch mal mehr ein Grund, dass im Moment ein rückgehendes Vertrauen sich fast ändert in ein Misstrauen, was zwischen jetzt deutschen Partnern und der Türkei im Moment entsteht. Die Unternehmen werden sich es jetzt genau überlegen, ob nicht an der Grenze dann gewisse Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des Unternehmens von türkischen Behörden aufgefasst werden. Die Verunsicherung ist da und das ist ein wirklicher Schlag ins Kontor für die deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen.
    Fröhndrich: Wenn wir jetzt auf die Mitarbeiter zu sprechen kommen, Sie haben es angedeutet. Wie können denn deutsche Unternehmen überhaupt sicherstellen, dass ihre Mitarbeiter in der Türkei geschützt sind und nicht Gefahr laufen, ebenfalls plötzlich in Untersuchungshaft zu landen?
    Gegenseitiges Misstrauen
    Treier: Natürlich sind deutsche Unternehmen wie die türkischen Unternehmen in der Türkei auch den dortigen Maßnahmen unterworfen, die von dem türkischen Staat unternommen werden, und es ist Misstrauen eingekehrt. Auf der anderen Seite haben die deutschen Unternehmen mit ihren vielen Beschäftigten in der Türkei auch eine hohe Verantwortung, jetzt nicht mir nichts dir nichts die Zelte abzubrechen und diese Menschen nachhause zu schicken. Insofern werden sie versuchen, weiter zu überwintern.
    Fröhndrich: Ist es vielleicht auch wichtig, diese Tür zum Standort Türkei offen zu halten, weil die Türkei auch geographisch wichtig ist, auch für den Handel Richtung Nahost? Spielt das auch eine Rolle?
    Treier: Es ist keine Frage, dass die Türkei in verschiedener Hinsicht eine wichtige Funktion hat für Deutschland, für die deutsche Wirtschaft, aber auch für die Europäische Union, und das ist neben dem Land als solchem natürlich mit einer wachsenden Bevölkerung, die auch das Recht haben wollen, an dem Wohlstand, der in vielen Teilen der Welt entsteht, auch partizipieren zu wollen. Ich glaube, da ist nichts Schlechtes dran, wenn wir versuchen, auch mit deutschen Unternehmen das Land auszustatten, und das Land steht geographisch gesehen wirklich zum Tor auch zur asiatischen Welt, zur arabischen Welt. All das zusammen führt mich zu dem Schluss, dass es wichtig ist, trotz allen Angriffen einen Weg zu finden, wie wir trotzdem in Kontakt sein können und eine gute Partnerschaft pflegen können, andererseits natürlich klar zu machen, dass wir nicht alles tolerieren können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.