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Deutschlands ältester Wallfahrtsort
Wunder geschehen

Marienborn ist Deutschlands ältester Wallfahrtsort. Den heiligen Quellen schreibt man wundersame Kräfte zu. Kranke wurden damals wie heute durch das Wasser gesund. 2016 wird das ganz große Fest gefeiert: Denn seit 825 Jahren ist die Gemeinde Ziel für Wallfahrer.

Von Peter Kaiser |
    Die Entnahmestelle für den Wassersegen an der Marienkapelle des Wallfahrtsortes Marienborn.
    Der Born ist die Heilige Quelle, an der die Jungfrau Maria einem Schäfer erschienen sein soll. (picture-alliance/ dpa/ Jens Wolf)
    "Also das sind schon so Dinge. Und ein Mann im Rollstuhl, na ja, von Hannover, er ist das erste Mal, natürlich, seine Frau hat ihm geholfen, das erste Mal ein paar Schritte gegangen. Und wenn ich das nicht gesehen hätte, ich würde das nicht glauben. Aber wirklich. Er hat hier sein Wasser getrunken, hatte hier gebetet, mit seiner Frau. Und dann ist er aufgestanden, hat sie am Arm gefasst, und sind dann bis zum Rollstuhl gegangen. Und das habe ich gesehen."
    Erika Kiwitt ist die Ehrenbürgerin Marienborns, dem kleinen 500-Seelen-Dorf wenige Kilometer vom einstigen DDR-Grenzkontrollpunkt Marienborn/Helmstedt entfernt. Viele Bundesbürger assoziieren Marienborn, das auf einem Höhenzug im Lappwald liegt, mit der damals größten Grenzkontrollanlage in Europa. Dafür steht Marienborn auch, doch der Ort ist mehr als nur der Namengeber.
    "Marienborn ist der älteste Wallfahrtsort Deutschlands. Unser Kloster ist 1191 erbaut. Die Kirche 1253, wir haben ja noch Altäre aus dem 15. Jahrhundert von Riemenschneider. Nicht von ihm selbst, aber von seinen Gesellen in Rothenburg auf der Tauber. In unseren Altarleuchtern ist noch eingraviert: Stift Marienborn, 1795, denn 1794 wurde es ein adliges Stift. Hier hat nicht nur der Adel gelebt, sondern auch der Hochadel."
    Mordthal - der Name war Programm
    Doch langsam. Die Geschichte des Wallfahrtsortes beginnt um das Jahr 1000. In den Wäldern um Marienborn herum, bei prähistorischen Hügelgräbern, Opfersteinen und Kultstätten, lauerten düstere Gesellen wie der Räuberhauptmann Rose auf Geschäftsleute, die über den "Bierweg" wollten, damals einer wichtigen Handelsstraße zwischen Braunschweig und Magdeburg. Weil Rose und andere mordeten, hieß der Ort bald Mordthal, der Name war Programm. Rund einhundert Jahre später schlief der Hirte Conrad, während er Schafe weiden ließ, unter einer Eiche hier ein.
    "Da sah er, wie Frauen mit brennenden Fackeln zu alten Eiche gingen, nahe eines Brunnens, sich verneigten und beteten. Und diese alte Eiche stand hinter der Kapelle bis 1956, war schon mit Ketten gesichert, und fiel dann doch einem Gewitter zum Opfer. Dann trieb der Schäfer seine Schafe zu diesem Brunnen, um sie zu tränken."
    Doch die Tiere schreckten vor dem Wasser zurück.
    "Also hat es diese Bedeutung, das Wasser ist nicht für das Vieh bestimmt, sondern für die Menschen."
    Und Conrad nickte wieder ein, und:
    "Sah im Traum, wie Maria ihren Sohn bat, er möchte ihr doch diesen Ort schenken, so lange die Welt besteht. Dass man seine Sorgen und Bitten hier vortragen kann."
    Wegen der heiligen Quelle - deren Wasser Kranke gesunden ließ - wurde aus Mordthal Marienborn. Man errichtete im Jahr 1190 über der Quelle eine Kapelle, ein Jahr später gründete Erzbischof Wichmann hier ein Hospital. Daraus wurde ein Augustinernonnenkloster. Sechshundert Jahre danach wurde aus dem Kloster - dessen Ruine noch steht - ein adliger Frauenstift. Im 18. Jahrhundert entstand neben dem Kloster auch ein repräsentatives Haus für die Äbtissinnen, Schloss genannt, erst zwei-, dann dreigeschossig, heute wird noch ein Teil davon bewohnt. 1822 kaufte der Bankier Gustav Löbekke das Gut Marienborn, und ließ neben Parks, Teichen und Springbrunnen eine Orangerie im dorischen Tempelstil errichten. Eine Klosterbrauerei gab es noch, hinter der Orangerie, heute hat da die Freiwillige Feuerwehr Marienborn ihre Gerätschaften drin.
    Jubiläum: 825 Jahre Marienborn
    Die Feuerwehr hat im Juni 2016, zum 825-jährigen Ortsjubiläum, alle Hände voll zu tun, sagt Feuerwehrmann Peter Simon. Zwar müssen Brände nicht mehr häufig gelöscht werden, aber:
    "Die technische Hilfeleistung, also wenn eine Person in Notlage ist, die werden mehr."
    Peter Müller, der Bürgermeister Marienborns, ist in keiner echten Notlage. Ruhig bereitet er sich auf seine Jubiläumsansprache vor. Marienborn, sagt er, hatte stets eine wechselvolle Geschichte.
    Marienborn war Nadelöhr, war Grenzübergang, Autobahn-Eisenbahn, hier hat sich sehr viel abgespielt. Hier war die Welt zu Ende, wie man so schön sagt."
    Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt und Niedersachsen nehmen in der Gedenkstätte "Deutsche Teilung" in Marienborn an einem Projekttag teil.
    Marienborn war einst auch Grenzort. Daran erinnert die Gedenkstätte "Deutsche Teilung". (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Könnte man meinen. Wer das Ende der Welt sehen will, der sollte sich die Mühe machen, und den Abstecher zur Gedenkstätte Marienborn wenige Kilometer entfernt von hier wagen. Man betritt eine andere Welt aus Kontrollhäusern, Wachtürmen, Untersuchungsräumen und Sicherheitsschleusen. Durch diese Welt der Überwachung führt Marianne Dolle etwa 200.000 Besucher jährlich.
    "Sie erleben die Geschichte 45 bis 89, was hier an dem Grenzübergang passiert ist. Man besucht die einzelnen Stätten, die die Reisenden auch passiert haben. Bei der Führung geht man zum Turm hoch, der hier hinter unserem Gebäude steht, das ist ein Aussichtsturm, wo die ganzen Knöpfe waren für die Anlagen, die hier benutzt wurden. Dann geht man in die Passkontrolleinheiten, wo man die Pässe abgeben musste. Dann geht man in die Zollausstellung, da sieht man wie eben Waren kontrolliert wurden. Ein Fluchtversuch ist dargestellt, die ganze Arbeit der Zöllner ist dargestellt. "
    Und dann sieht man das Ende der Welt, das etwa zehn Meter über der Welt ist. Oben, in einem der Ex-Grenzer-Wachtürme.
    "Ganz nach oben?"
    "Noch weiter?"
    Oben angekommen beschreibt eine Besucherin die Szenerie:
    "Wir stehen jetzt über der Autobahn, circa zehn Meter hoch, und sehen also den Verkehr vorbeifließen. Und man sieht alte Computer, Telefonanlagen, ein rotes Telefon, und orangene Gardinen, und einen großen Pult, von dem man nicht weiß, wofür er gut ist. Ein Schaltpult für Schranken und Bedienungselemente vielleicht. Es ist einfach nur bedrückend."
    Doch nicht nur im Wachturm ist es bedrückend. Manchmal, sagt Marianne Dolle, kommt es auch in anderen Bereichen der Gedenkstätte zu ergreifenden Szenen.
    "Also ich habe Besucher, die gehen dann aufgelöst, also weinend hier raus. Es gibt auch welche, die dann ein Gespräch suchen, wo ich dann unsere Gedenkstättenpädagogen dann hole, und den Chef. Das haben wir auch schon erlebt. Viele sagen, es ist sehr gut gemacht, es muss erhalten werden, und viele sagen, man will nicht mehr erinnert werden daran."
    Aufblühendes Dorfleben
    Und wieder in Marienborn zurück, hat Bürgermeister Peter Müller den Blick nach vorn gerichtet.
    "Seit 1990 ist das dörfliche, und das Vereinsleben mehr aufgeblüht, viele Dinge, die es damals schon gab, die nicht ausgeübt werden konnten, wie der Schützenverein, die waren wieder da. Es hat sich vieles gewandelt. Die Landwirtschaft ist in begrenztem Maße geblieben. Wir haben sehr, sehr viele Auspendler, Marienborn ist eigentlich am Tage, wenn man so will, ein Schlafdorf, weil alle irgendwo auspendeln: nach Helmstedt, Braunschweig, Hannover, Magdeburg.
    Kommt man aber abends nach Marienborn, ist da viel los. Übers Jahr verteilt, meint Bettina Schuster, die Erste Vorsitzende der Schützengesellschaft zu Marienborn, ist man oft in Sachen "Kimme und Korn" zusammen.
    "Wir tragen sportliche Wettkämpfe aus, wir laden auch zu Veranstaltungen ein, wir laden zum Beispiel zum Osterpreisschießen ein, zum Weihnachtspreisschießen."
    Es gibt aber nicht nur den Schützenverein, sondern auch die Spätlese, eine Gruppierung älterer, ungemein lustiger Damen. Dann die Freiwillige Feuerwehr, Heimatvereine, Wandergruppen, Wallfahrtsort Fördervereine, und, und, und. Und noch etwas: Anders als viele kleinen Orte konnte Marienborn nicht nur seine Einwohnerzahl halten, sondern sogar noch ein wenig vergrößern. Beispiel die heute 30-jährige Elisabeth Blume, die in Wolfsburg arbeitet, und vor gut zwei Jahren nach Marienborn zog.
    "Ich bin aus Ummendorf, ursprünglich, mir gefällt es hier sehr gut durch den Wald, und auch die zentrale Lage zur Autobahn sprechen für den Ort. Und das hat mich damals bewogen, hier ein eigenes Haus und ein Grundstück zu kaufen."
    Und dann gehen die Festlichkeiten zum 825-jährigen Jubiläum los. Und was zu sehen ist, bestätigt alles vom regen Vereinsleben in Marienborn. Wenn etwa die Damen der Spätlese sich in Nonnenkleider gesteckt haben.
    "Sie tragen Klostertracht?"
    "Ja, das gehört zu Marienborn, hier war ein Kloster."
    Oder die weiß gekleideten Bäckerinnen:
    "Wir vertreten die Bäckerinnen, die in den Dörfern früher reich vertreten waren, wir kommen aus Sommerschenburg, also ein Ort weiter, und da waren zu damaligen Zeiten drei bis vier Bäcker, und nun ist keiner mehr. Und hier waren auch drei Bäcker, und nun ist keiner mehr. Und um das klarzustellen, sind wir hier, und wir haben auch frischen Zuckerkuchen mit."
    Und während unten die Marienborner ihr Jubiläum begehen, und es so aussieht, als wenn alle ein Herz und eine Seele sind, sitzt in der alten Kirche die Ehrenbürgerin Erika Kiwitt, fast 90 Jahre alt. Gefragt, was sie sich für Marienborn wünscht in Zukunft, antwortet sie nachdenklich.
    "Das wir wieder ein bisschen mehr zusammenrücken. Denn heute erfährst du gar nicht, wenn jemand erkrankt ist, oder so, was früher nicht der Fall war."