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DGB: Nicht die Menschen wie Zitronen auspressen

Wochenendarbeit, Überstunden, befristete Verträge: Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen eine dramatische Situation, sagt Annelie Buntenbach vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Um gegenzusteuern müsse vor allem bei Leiharbeit und Bezahlung nachjustiert werden.

Fragen von Peter Kapern an Annelie Buntenbach | 20.08.2012
    Peter Kapern: Heute hat das Bundesamt für Statistik mit Daten und Fakten belegt, was viele Arbeitnehmer ohnehin vermutet haben dürften: die Deutschen arbeiten immer häufiger Nachts und am Wochenende. Auch in anderer Hinsicht wird ihnen immer mehr Flexibilität abverlangt, den Einstieg in den Beruf finden junge Menschen zunehmend über befristete Verträge.
    Mitgehört hat Annelie Buntenbach, Mitglied im Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Tag!

    Annelie Buntenbach: Ja guten Tag, Herr Kapern.

    Kapern: Frau Buntenbach, wie bewerten Sie die Zahlen des Statistischen Bundesamtes von heute?

    Buntenbach: Die zeigen wirklich eine dramatische Situation, und das, was das Statistische Bundesamt da an Zahlen vorlegt, das deckt sich ja mit den Befunden der Krankenkassen, mit dem, was wir auch als DGB in den Beschäftigtenbefragungen immer wieder herausfinden. Der Druck hat irrsinnig zugenommen. Viele sind überlastet, auch weil die Beschäftigungsverhältnisse immer unsicherer geworden sind, viele sind gestresst, die Arbeit schwappt ins Wochenende und in den Urlaub rein, die Zahl der psychischen Erkrankungen hat eklatant zugenommen.

    Kapern: Aber kann man denn tatsächlich zunehmende Wochenendarbeit, zunehmende Nachtarbeit automatisch gleichsetzen mit steigendem Druck? Es kann ja dem einen oder anderen auch ganz recht sein, mal am Wochenende zu arbeiten und dafür mal einen Montag oder Mittwoch freizuhaben.

    Buntenbach: Wenn man hier Vereinbarungen trifft, die an einer anderen Stelle wieder eine Entlastung bedeuten, dann ist das sicherlich möglich. Aber was bei den Beschäftigtenbefragungen des DGB-Index unser Ergebnis war, dass die Beschäftigten selber gesagt haben, dass der Stress am Arbeitsplatz für mehr als die Hälfte inzwischen der Alltag ist. Jeder Fünfte macht mehr als zehn Überstunden die Woche und zwei Drittel haben gesagt, dass sie immer mehr in der gleichen Zeit leisten müssen und das Gefühl haben, dass sie irrsinnig unter Druck kommen, und das ist ja noch mal was anderes, als wenn man dann Arbeitszeiten auch tauschen kann und da vielleicht flexibler herangehen kann.

    Kapern: Was steckt denn Ihrer Meinung nach hinter dieser Entwicklung?

    Buntenbach: Ich glaube, dass hier die Arbeitsverdichtung einfach irrsinnig zugenommen hat und der Druck auf die Beschäftigten, und gleichzeitig haben natürlich auch unsichere Beschäftigungsverhältnisse zugenommen, die Leiharbeit zum Beispiel oder Befristungen, und gerade Jüngere haben große Schwierigkeiten, überhaupt nach ihrer Ausbildung oder nach ihrem Studium irgendwo fest in den Beruf zu kommen. Und wer fürchtet, dann gleich wieder auf der Straße zu stehen, für den ist der Druck natürlich auch irrsinnig hoch.

    Kapern: Nun könnte man aber auch zu dem Ergebnis kommen, Frau Buntenbach, dass diese Flexibilisierung der Arbeitnehmer, über die wir da sprechen, durchaus einen Beitrag zum deutlichen Rückgang der Arbeitslosigkeit in Deutschland geleistet hat.

    Buntenbach: Ich glaube, dass wenn die Leute so massiv unter Druck stehen und deswegen so viele Überstunden leisten – und mehr als zehn Überstunden die Woche, das ist ja schon wirklich eine ganze Menge -, dass dann das nicht ein Beitrag ist zum Abbau von Arbeitslosigkeit, sondern dass der Beitrag zum Abbau von Arbeitslosigkeit wäre, wenn Leute wirklich die Arbeit in der Zeit nicht schaffen können, wie sie in ihrem Arbeitsvertrag steht oder wie es eigentlich vorgesehen ist, dass dann, wenn das für einen zu viel ist, es wirklich auch dann zwei tun müssten. Und diese Arbeitsverdichtung, die in den letzten Jahren so zugenommen hat, eben auch wieder dahin verändert werden muss, dass statt die Leute auszupressen wie Zitronen wir entsprechend dann auch mehr Stellen da schaffen müssen, wo die Leute es nicht hinbekommen können.

    Kapern: Warum haben die Gewerkschaften diese Entwicklung nicht verhindert?

    Buntenbach: Wir haben eine Menge an Arbeitsbedingungen im Betrieb auch verbessert und verbessern können, denn da, wo Betriebsräte, wo Personalräte, Personalrätinnen sind, sind das ja diejenigen, die die Interessen der Beschäftigten, auch die Klagen der Beschäftigten aufnehmen und versuchen, Betriebsvereinbarungen darüber zu treffen, wie man denn auch Arbeitsbedingungen verbessert. Aber natürlich ist es für uns als Gewerkschaften auch da schwer, wo Leiharbeit so zunimmt, wo zum Beispiel Beschäftigungsverhältnisse zweiter Klasse dann im Betrieb stattfinden. Da brauchen wir erst mal die Mitbestimmungsmöglichkeiten durch die Betriebsräte, die haben wir im Moment so nicht, und wir brauchen gleichen Lohn für gleiche Arbeit, das heißt rechtliche Regelungen, die den Rahmen, in dem die Menschen arbeiten, auf einer besseren Grundlage sicherstellen.

    Kapern: Annelie Buntenbach, Mitglied im Vorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Frau Buntenbach, vielen Dank, dass Sie heute Mittag Zeit für uns hatten.

    Buntenbach: Gerne!