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Dialyse
Das Leben mit der Maschine

Viele Dialysepatienten müssen ihr ganzes Leben mit ihr leben, eine große Maschine, die dreimal pro Woche das Blut "wäscht": die künstliche Niere. 1924 wurde die erste "Blutwäsche" von einem deutschen Arzt durchgeführt.

Von Andrea Westhoff | 10.02.2015
    Ein junger Patient an der Dialyse im Werner-Forßmann-Krankenhaus in Eberswalde
    Ein junger Patient an der Dialyse im Werner-Forßmann-Krankenhaus in Eberswalde (picture alliance / zb)
    Es war eine Erfahrung aus dem 1. Weltkrieg, die den Anstoß gab, erzählt der Gießener Nierenspezialist Professor Volker Wizemann:
    "Der junge Arzt Georg Haas wurde an die Ostfront kommandiert und sah dort diese 18-, 19-jährigen Soldaten, die ein akutes Nierenversagen hatten. Entweder durch Schocknieren oder irgendeine Art von Nephritis. Er wusste: Das Nierenversagen ist eine Art Vergiftung, und diese Giftstoffe kreisen in den Patienten herum und die kann man über das Blut vielleicht entfernen. Da erinnerte er sich an eine biochemische Methode, die Dialyse hieß, die eigentlich keiner kannte. Das war eine Labormethode, wo man im Reagenzglas Stoffe trennen konnte, und diesen Gedanken verfolgte Haas eben sehr konsequent."
    Georg Haas hat selbst eine "Blutwäsche"-Apparatur zusammengebaut und 1924 in Gießen zum ersten Mal bei einem Nierenkranken angewendet. Inzwischen ist die Hämodialyse für circa 80.000 Menschen in Deutschland medizinischer Alltag:
    Dialysebehandlung oft Dauertherapie
    Dreimal pro Woche müssen die Patienten an die künstliche Niere, vier bis fünf Stunden lang wird Blut aus der Arterie im Unterarm in den Dialysator gepumpt: Hauptbestandteil ist ein Zylinder mit hunderten von Kapillaren, porösen Kunststoffröhrchen, die von einer Reinigungsflüssigkeit umspült werden, um alle schädlichen Stoffe herauszufiltern. Das "gewaschene" Blut wird durch die Armvene zurück in den Körper geleitet.
    Die Dialyse hilft nicht nur Menschen mit einer chronischen Nierenerkrankung, erklärt Professor Jan Galle, Direktor der nephrologischen Klinik Lüdenscheid:
    "Wenn Patienten z.B. mit einem Blutungsschock kommen oder mit einer Sepsis, also einer Entzündung, die den ganzen Körper erfasst, oder - das betrifft insbesondere alte - Menschen, die mit einer Exikose kommen, d.h. ausgetrocknet, einfach weil sie zu wenig getrunken haben, da haben wir dann Formen von akutem Nierenversagen, die manchmal wenige Tage oder wenige Wochen auf eine Dialysebehandlung angewiesen sind, sich dann aber wieder erholen. Bei der Mehrzahl, die eine chronische Nierenerkrankung haben, bleibt es aber eine Dauertherapie."
    Aber bis die zur Verfügung stand, war es ein weiter Weg, erzählt Professor Wizemann:
    "Das größte Problem war: Wie mache ich das Blut des Patienten ungerinnbar?"
    Georg Haas nutzte zuerst Hirudin, gewonnen aus dem Speichel von Blutegeln. Aber der Stoff war giftig, zudem bestand die Gefahr, dass die Patienten verbluteten.
    "1928 entspannte sich die Situation, dann kam Heparin auf den Markt, also damit kann man Blut ungerinnbar machen, das wird heute noch genutzt. Hass schrieb dazu "So, jetzt könnte man Dialysen im großen Stil machen.", so Professor Wizemann.
    "Es hat sich schon vieles verbessert"
    Tatsächlich gelang das aber erst in den 1950er Jahren in den USA, als der Niederländer Willem Kolff die künstliche Niere technisch perfektioniert hatte. Allerdings konnte auch die anfangs nur als Nothilfe bei akutem Nierenversagen eingesetzt werden. Eine regelmäßige und längerfristige Dialyse war erst seit den 1960er Jahren möglich durch die Entwicklung des "Shunt": Ein künstliches Verbindungsstück zwischen Vene und Arterie, das operativ in den Arm des Patienten gesetzt wird, um die Gefäßzugänge größer und stabiler zu machen. Die normalen Adern halten das häufige Ab- und Zuleiten großer Blutmengen gar nicht aus.
    Es hat sich schon vieles verbessert, sagt Maya Hügle, die seit fast 40 Jahren nierenkrank und auf Dialyse angewiesen ist:
    "Früher hat man ja Riesenapparate gehabt, die man zusammenbauen musste, die gespült werden mussten, wo man Angst hatte, dass man vielleicht noch Infekte bekommen hätte oder irgendwelche andere Erkrankungen."
    Die Medizintechnik arbeitet weiter daran, die Dialysebehandlung verträglicher und die Geräte kleiner zu machen, um so den Patienten mehr Mobilität zu ermöglichen. Ein wichtiger Schritt dazu war die Entwicklung der Bauchfelldialyse. Dabei wird über einen dauerhaften Katheter eine spezielle Spüllösung in den Körper geleitet, wo das besonders gut durchblutete Bauchfell wie eine Filtermembran funktioniert, erklärt die Nierenspezialistin Professor Christiane Erley vom St. Joseph-Krankenhaus in Berlin.
    "Als Bauchfellpatient müssen Sie drei bis viermal am Tag die Flüssigkeit, die sich in ihrem Bauch befindet und die dann mit der Zeit mit Giften angereichert wird, wechseln; die weitere Möglichkeit ist, dass man eine Maschine diesen Wechsel vornehmen lässt, man macht das dann einfach nachts."
    Diese Methode kommt aber eher für jüngere, ansonsten gesundheitlich stabile Patienten infrage. Und trotz aller Fortschritte: Die Nierenersatztherapie ist immer noch eine ziemliche Plackerei. Bei der Bauchfelldialyse kommt es doch häufiger zu Entzündungen, und die klassische Hämodialyse verlangt viel Selbstdisziplin. Vor allem darf man nur wenig trinken, was sehr quälend sein kann. Aber Betroffene wie Wolfgang Krapp wissen auch, dass sie ohne die künstliche Niere gar nicht überleben könnten:
    "Man ja sieht dann auch wieder, wenn man ein paar Stunden an der Dialyse war, oder mehrere Wochen, dass es dann auch wieder aufwärtsgeht, man hat wieder Lebensmut und wieder Freude am Leben, man ist wieder mittendrin in der Gesellschaft."
    Nur wenige Dialysepatienten bekommen Spenderorgan
    Die Dialyse hat dem Nierenversagen den tödlichen Schrecken genommen, und dank vieler medizintechnischer Entwicklungen ist "das Leben mit der Maschine" heute erheblich besser geworden. Deutschland hat ein exzellentes Netz an Dialysezentren, wo chronisch Nierenkranke umfassend medizinisch, aber auch psychologisch und sozial betreut werden. Das ist wichtig, denn die Dialyse ist - anders als viele meinen - nicht nur eine Übergangstechnik für die Zeit bis zur Transplantation. Zwar wünschen sich die meisten Patienten eine neue Niere, oft aber vergebens. Und das hat nicht nur mit den fehlenden Spenderorganen zu tun, sagt Professor Jan Galle:
    "Das Durchschnittsalter eines heute mit der Dialyse beginnenden Patienten liegt bei 67 bis 68 Jahren. Und in dieser Altersgruppe ist es mit der Transplantation schon sehr viel schwieriger. Man muss dann ja Medikamente einnehmen, damit das Organ nicht abgestoßen wird, diese Medikamente haben auch erhebliche Nebenwirkungen. Und das kann ein älterer Mensch oft nicht mehr verkraften."
    Nur jede fünfte Dialyse-Patient kommt für eine Transplantation überhaupt in Frage. Das heißt umgekehrt: Zehntausende Menschen müssen oft Jahrzehnte mit der künstlichen Niere leben, und aufgrund der demografischen Entwicklung werden es langfristig noch mehr sein. Japan zum Beispiel, die älteste Gesellschaft der Welt, hat jetzt schon doppelt so viele Dialysepatienten wie Deutschland.
    Deshalb ist Prävention nötig. Insbesondere, so die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie, muss das Bewusstsein dafür geschärft werden, dass die meisten Nierenschädigungen durch andere Erkrankungen verursacht werden, vor allem durch Diabetes, Bluthochdruck und Autoimmunerkrankungen wie Rheuma, außerdem durch einige Medikamente, vor allem Schmerzmittel. Gerade die Hausärzte sollten daher immer auch ein Auge auf die Nieren haben, sagt Professor Jan Galle:
    "Diese Patienten, die spüren ihre Symptome nicht. Wenn der Patient eine geringe Menge Eiweiß verliert, das spürt er nicht. Der Arzt kann's messen. Und wenn da Fragen auftauchen, dann wird der Nephrologe als Spezialist herangezogen."