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Die amerikanische Weltordnungspolitik in der Krise

Das künftige Vorgehen im Irak ist nach Ansicht des Politologe Professor Jürgen Wilzewski für die USA die größte internationale Herausforderung seit Jahrzehnten. Die Fähigkeit der Vereinigten Staaten, auf andere internationale Krisen zu reagieren, sei grundsätzlich in Frage gestellt.

Moderation: Klaus Remme | 29.12.2006
    Klaus Remme: Die Vereinigten Staaten haben immer eine wichtige Rolle gespielt, wenn es um den Nahen Osten ging. Das war in diesem Jahr anders. Ursache ist die geschwächte Rolle der USA durch die Ereignisse im Irak. Auf den Irak haben wir bereits in der vergangenen Stunde geschaut mit Auswirkungen auf die Innenpolitik in Washington - Anfang November kam es zu Kongresswahlen und die Irakpolitik, sie war möglicherweise entscheidend. Ich habe gesprochen mit Professor Jürgen Wilzewski, Politologe an der TU Kaiserslautern, zur Zeit an der Universität Harvard in Cambridge, und ihn gefragt, was in den USA von diesem Jahr 2006 in Erinnerung bleiben wird?

    Jürgen Wilzewski: Es wird sicher in Erinnerung als jenes Jahr, in dem eindeutig klar wurde, dass die Bush-Doktrin im Grunde gescheitert ist. Es wird als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem der Irak an den Rand des Chaos gerückt ist. Es wird als das Jahr in Erinnerung bleiben, in dem die USA sich eingestehen müssen, dass sie sich der größten internationalen Herausforderung seit Jahrzehnten gegenübersehen. Es wird auch ein Jahr sein, und ich glaube, darüber ist sich die amerikanische Bevölkerung auch mittlerweile bewusst, in dem deutlich wird, dass die amerikanische Weltordnungspolitik nach dem 11. September 2001 mit Blick auf die Bush-Doktrin mit vielen, vielen Fragezeichen zu versehen ist und in dieser Perspektive sich die Frage natürlich stellt nach der Fähigkeit zur Reaktion der Vereinigten Staaten auf andere internationale Krisen. Diese Reaktionsmöglichkeit oder -fähigkeit scheint, wenn man der Irakstudiengruppe oder, wenn Sie so wollen, der Baker-Kommission folgen will, empfindlich eingeschränkt, und das bedeutet, dass in mancher Hinsicht natürlich etwas wiederherzustellen ist, was so nicht mehr existiert, nämlich ein nationaler Konsensus um die Frage, wie denn amerikanische Weltordnungspolitik organisiert sein soll und welches ihre zentralen Ziele sein sollen.

    Remme: Innenpolitischer Höhepunkt waren die Kongresswahlen Anfang November. Im Wahlkampf in den Wochen und Monaten davor spielte natürlich auch das Thema Irak eine Rolle. War es das allein entscheidende?

    Wilzewski: Es war nicht das allein entscheidende Thema. Wenn man den Umfragen folgt und wenn man sich die so genannten Exit Polls noch einmal anschaut, und Pure Research und andere haben es ja getan, stellt man fest, dass das Thema Irak für 36 Prozent der Befragten das zentrale Thema gewesen ist. Andere Themen wir Korruption und die Wirtschaftsprobleme waren Themen gewesen, die genau so wichtig sind, aber - und das ist wirklich festzuhalten - erstmal seit langem, das heißt erstmal seit fünf Jahren im Grunde, das heißt, seit den Terrorangriffen des 11. September hat ein außenpolitisches und der Dissens um ein außenpolitisches Thema ganz wesentlich Wahlentscheidungen der amerikanischen Wählerinnen und Wähler beeinflusst, und das ist in dieser Perspektive zentral. Zentral deshalb, weil allen mittlerweile klar ist, dass dieser Krieg so nicht zu gewinnen ist, dass der Frieden nicht zu gewinnen ist und dass die Kosten, die entstanden sind, zu groß sind. Wenn man den neuesten Berechnungen folgen mag des US-amerikanischen Kongresses, dann sind bis jetzt 380 Milliarden US-Dollar ausgegeben worden, wenn man das umrechnet, etwa 6,4 Milliarden US-Dollar pro Monat, oder, wenn Sie so wollen, mehr als 200 Millionen US-Dollar pro Tag. Das sind Summen, die die Wählerinnen und Wähler natürlich danach fragen lassen, was dann am Ende stehen bleiben wird, zumal sich abzeichnet, dass mit diesen Mitteln, die eingesetzt worden sind, nicht jenes Ziel erreicht worden ist, das man erreichen wollte. Und in der Perspektive bedeutet das, dass die amerikanischen Wählerinnen und Wähler, also nun mittlerweile zu 60 Prozent der Auffassung sind, dass die Bush-Doktrin und dieser Präventivkrieg, der ja der erste Anwendungsfall sein sollte im Irak, dass diese Doktrin in schwere Wasser gekommen ist.

    Remme: Sie haben den nationalen Dissens angesprochen und ihn geschildert. Ist insofern die Parallele zu Vietnam zulässig?

    Wilzewski: Die Parallele ist vielleicht insofern zulässig, als man feststellen kann, dass die so genannte Kostensensibilität der amerikanischen Öffentlichkeit offensichtlich über Vietnam hinaus noch einmal deutlich zugenommen hat. Während es während des Vietnamkrieges etwas 20.000 Kriegstote auf amerikanischer Seite bedurfte, um die amerikanische Gesellschaft zum offenen Dissens zu bewegen, bedurfte es dieses Mal offensichtlich wenige als 2000 Kriegstote. Also man sieht, dass diese Kostensensibilität deutlich zugenommen hat. Wobei sich natürlich die Frage stellt für die Demokraten genau wie für die Republikaner, wie das Ganze denn jetzt weitergehen soll. Denn es herrscht nach wie vor keine Einigkeit darüber, wie denn ein neuer Kurs aussehen könnte, und es gibt auch offensichtlich keine schnellen Lösungen. Was sich vielleicht auch abzeichnet, ist, dass in der Perspektive es natürlich darum gehen muss, nicht nur einen gesellschaftlichen Konsens herzustellen, sondern vielleicht auch wiederum einen internationalen Konsens herzustellen, und die Irakstudiengruppe oder Baker-Kommission hat dazu ja erste Schritte gemacht, indem sie empfohlen hat, dass man doch die diplomatischen Bemühungen verstärken müsse und natürlich auch etwas tun müsse, was lange Zeit als, ja, unmöglich erschien, nämlich eine International Support Group, das heißt eine internationale Unterstützungsgruppe einrichten, der nicht nur die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats beziehungsweise die EU, sondern möglicherweise auch Deutschland, Frankreich und andere Staaten angehören.

    Remme: Noch kurz: Die Situation im Irak und das Ergebnis der Kongresswahlen - sind das Vorentscheidungen für die eigentlich wirklich entscheidende Wahl, die, die 2008 ansteht, wenn der Kampf ums Weiße Haus entschieden wird?

    Wilzewski: Es wird so sein, dass keiner der Präsidentschaftskandidaten, weder der demokratische noch der republikanische, wahrscheinlich die Wahlen wird gewinnen können, wenn er nicht probate Lösungen anbietet für dieses Problem, das Problem Irak, Irakpolitik.