In den "Doppelgängern" ist diese Kollision zwischen Alt und Neu inkarniert in zwei Brüdern, Zwillinge, wie sie verschiedener nicht sein können. Der eine, Alexander Latschinow, ist ein erfolgreicher Schauspieler, der für eine Weile die Bühne verläßt, um an einer Expedition in die Arktis teilzunehmen. Sein Bruder Nikolaj, ein Naturwissenschaftler und Prototyp des eindimensionalen Menschen, befindet sich mit einem Forschungsauftrag ebenfalls auf dem Expeditionsdampfer. Da Alexander ein eher kontemplativer Mensch ist, der sich gern in mystische Regressionen verliert, schreit die Begegnung der Zwillingsbrüder förmlich nach Konfrontation. Doch der Autor begnügt sich mit einigen wenigen Zusammenstößen, statt dessen schildert er - ungeheuer impressiv - die Eiswüsten der Arktis und die gewaltigen Beben des Meeres; er kannte sie übrigens aus eigener Anschauung. Man liest es mit wahrem Entzücken: "Einige Wochen vergingen. Es gab einen Schneesturm, so stark, daß er Eismassen und Steine bersten ließ und sie mit dem Schnee davontrug; der Schneehimmel senkte sich auf die Erde hinab."
Bei seiner Rückkehr nach Moskau verliert Alexander gänzlich die Orientierung. Sein Bruder aber geht in den Ural, um dort ein Radiumwerk zu errichten. Alexander folgt ihm zu einem kurzen Besuch und kommt bald darauf bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Eine symbolträchtige Todesursache: die neue Welt des technischen Fortschritts stößt den Nostalgiker aus.
Eingestreut in diesen immer wieder unterbrochenen Erzählfluß werden Briefe von einer Frau aus Tadschikistan, die Alexander im Verlauf von anderthalb Jahrzehnten zugeschickt werden. Die Absenderin bleibt anonym, und auch der Inhalt der Briefe bedeutet ihm nichts. Sie "handelten von (... ) Dingen und Ereignissen, die ihm fremd waren, von jenem Neuen und Schönen im Sowjetland, was an Latschinow vorüberging."
Erst spät kommt heraus, daß diese Briefe gar nicht an ihn, sondern an den Bruder gerichtet waren. Sie sind im Duktus ebenso hinreissend wie die Beschreibungen der Arktis. Allein, man fragt sich: Was haben sie in diesem Kontext zu suchen? Die Verfasserin bleibt als Person vage, der gemeinte Adressat konnte sie nicht zur Kenntnis nehmen, und also sind sie, trotz ihrer immensen Sprachkraft, nur ein Mundstück, das lose an den Lippen des Autors hängt. Die Briefe sind übrigens - laut Nachwort - zum Teil bereits früher in einem separaten Skizzentext publiziert worden. Doch diese Form des Recycling leuchtet nicht ein.
Insgesamt kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß wir es bei den "Doppelgängern" mit einem Flickenteppich zu tun haben, dessen Grundmuster unscharf bleibt. Gewiß, fast alle, zumal die größeren Flicken sind wunderbar gewoben und leuchten in allen Regenbogenfarben, aber vernäht sind sie nicht. Das erklärt sich auch daraus, daß die Figuren, vornehmlich die Protagonisten, sehr spärlich konturiert sind. Sie bleiben, entgegen dem Vorsatz des Autors, allzu schematisiert, und die wenigen Momente ihrer Interaktion wirken wie Verlegenheitsklammern. Ein Jammer, hätte dies doch, nach Aussage eines Pilnjak-Forschers, sein "persönlichstes Werk" werden sollen. Doch die Tragik eines in den dreißiger Jahren verfemten russischen Schriftstellers, der zerrissen wurde zwischen internalisierter Selbstzensur und dem Versuch, hinter einer listigen Mimikry seinem ureigensten Credo von der Verlorenheit "des Menschen" Ausdruck zu verleihen, sie offenbart sich in aller Schärfe in dieser großartig-gescheiterten Montage.