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Die Freiheit in Bildern

Wie ist es um die Freiheit in Europa bestellt? Sind die Verheißungen der Aufklärung wirklich eingelöst worden? Mit diesen Fragen beschäftigt sich die Ausstellung "Verführung Freiheit" im Deutschen Historischen Museum Berlin, in der 113 Künstler aus 28 europäischen Ländern den Freiheitsdiskurs der Nachkriegsmoderne rerpäsentieren.

Carsten Probst im Gespräch mit Burkhard Müller-Ulrich |
    Burkhard Müller-Ullrich: Falls Sie die vergangenen 29 Europarats-Ausstellungen verpasst haben: hier ist die 30., und zwar mitten in Berlin – im Deutschen Historischen Museum. Sie trägt einen wahnsinnig anspruchsvollen Titel, nämlich "Verführung Freiheit – Kunst in Europa seit 1945", und das zeigt schon, welche essayistische Anstrengung dahinter steckt. Denn der Freiheitsbegriff ist bekanntlich kompliziert und mannigfaltig: Geht es um innere oder äußere Freiheit, individuelle oder kollektive Freiheit, geht es um Freiheit von etwas oder zu etwas, um politische, zivile oder wirtschaftliche Freiheit? - Carsten Probst, welche Freiheit ist gemeint?

    Carsten Probst: Eigentlich – Sie sprachen den Titel an – müsste der Titel dieser Ausstellung "Kritik und Krise" lauten, denn das ist auch der Titel einer Dissertation von Reinhart Koselleck gewesen, 1954 ...

    Müller-Ullrich: Eines inzwischen gestorbenen Historikers.

    Probst: Richtig, der 1954 Thesen aufgestellt hat, die für diese Ausstellung maßgeblich waren. Ich selber war dann doch sehr eingenommen, wie diese These von Reinhart Koselleck in dieser Ausstellung umgesetzt wurde, die da lautet, dass in der Aufklärung Utopien versprochen wurden von den bürgerlichen Revolutionären, die in den Gesellschaften, die der europäischen Aufklärung nachfolgten, nie eingelöst werden konnten und deshalb immer mit hehren geschichtsphilosophischen Begriffen beispielsweise der Freiheit oder der Demokratie legitimiert wurden.

    Aber nach wie vor, meint Koselleck, seien diese Gesellschaften auch bis auf weiteres überhaupt nicht in der Lage, diese gigantischen Utopien einzulösen, und die Folge dessen seien entweder terroristische Staaten, oder aber Demokratien, die sozusagen in viel subtilerer Form versuchen, Individuen, jeden einzelnen Bürger dazu zu bringen, doch mitzuwirken bei der großen staatlichen Gesamtaufgabe.

    Müller-Ullrich: Ja aber, lieber Carsten Probst, die Bilder, die man da sieht, die wurden ja wohl nicht gemalt oder geschaffen, um sich mit einem Buch aus den 50er-Jahren auseinanderzusetzen, sondern was sieht man da?

    Probst: Das Prinzip dieser Ausstellung folgt einem kuratorischen Prinzip, das in den letzten Jahren immer stärker Anklang gefunden hat. Das ist das Prinzip Bilderatlas. Das heißt, es werden Bilder erst einmal gesammelt, um nicht Geschichte zu illustrieren, sondern aus sich heraus eine individuelle Position eines Künstlers zu einer historischen Entwicklung darzustellen. Gerade in der Kunst nach 1945 ist das absolut sinnfällig.

    Wenn Sie im ersten Raum beispielsweise einen René Magritte sehen mit einem Gemälde, das eigentlich noch so einen Traum der Demokratie verkörpert, eine Erinnerung an das Paradies, man sieht einen antiken Kopf vor blauem Himmel, der leicht verwundet erscheint, aber dennoch irgendwie genesen aus dieser Fantasie wieder hervorgeht - René Magritte glaubte sozusagen noch an die Werte dieser Aufklärung -, während man dann doch auch beispielsweise Bilder vorfindet vom Wettbewerb für das Auschwitzdenkmal, oder andere wie Jannis Kounellis, die doch sehr harsch mit dem Gedanken der Aufklärung nach Ende des Zweiten Weltkrieges abrechnen, und so setzt sich das Kapitel für Kapitel auch historisch immer weiter fort.

    Mit wachsender Entfernung vom Zweiten Weltkrieg hinterfragen Künstler immer stärker, wie kann eigentlich heute ein Staat noch Demokratie gewährleisten mit dieser Art von Geschichte. Das betrifft das gesamte Europa und eben nicht nur Deutschland. Aber es ist sicherlich ein deutscher Künstler, nämlich Joseph Beuys, der versucht, diese Verantwortung radikal an die einzelnen Individuen zurückzugeben mit seiner Parole "Die Revolution sind wir".

    Müller-Ullrich: Wenn Sie sagen, die Künstler hinterfragen, wie ein Staat Demokratie gewährleisten kann, dann möchte ich doch einfach mal wissen: Was sieht man von Fernand Léger, Damien Hirst, Niki de Saint Phalle, Gerhard Richter, Christo, Maria Lasnig? All diese sind ja vertreten und wie erscheint Freiheit in ihren Werken?

    Probst: Von beispielsweise Fernand Léger sieht man eine Studie zu den Konstrukteuren. Das ist ein relativ frühes Gemälde von Fernand Léger, der Konstrukteure wie Puppen verstrickt in eine riesige Stahlkonstruktion abbildet und dadurch eigentlich das Schauspiel der Arbeit und gleichzeitig die Kritik an der Arbeitswelt formuliert, dass die Menschen sozusagen durch die Arbeit eigentlich nur noch instrumentalisiert sind auch in einer Demokratie.

    Tatsache ist, dass Sie unter den 113 Künstlern, die sich hier aus ganz Europa versammelt haben, eine sehr vielsprachige, eigentlich auch immer in verschiedenen Medien sehr sinnliche, ein immer erneutes Aufwerfen, ein sich Quälen, ein sich Herausfordern zu dieser Frage finden, was ist eigentlich die Freiheit, was ist eigentlich diese Moderne, diese Nachkriegsmoderne, in der wir leben, dass sie diese Frage bebildern und versuchen, ihnen in Bildern nachzugehen.

    Müller-Ullrich: Okay, vielen Dank, Carsten Probst, für diese Auskünfte zu einer künstlerischen Großhinterfragung der Freiheit in Europa; die Schau läuft im Deutschen Historischen Museum zu Berlin. Und wenn Sie, liebe Hörer, da durchgehen, wundern Sie sich nicht, wenn Sie noch selbst zum Objekt wissenschaftlicher Erforschung werden, denn das Leibnitz-Institut für Wissensmedien macht zugleich eine Studie über die Resonanz der Ausstellung beim Publikum.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Service:
    Sie können die Ausstellung "Verführung Freiheit - Kunst in Europa seit 1945" bis zum 10. Februar 2013 im Deutschen Historischen Museum Berlin sehen.