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Die Gottesfrage

1705 stellte der französische Gelehrte Piere Bayle ein paar unangenehme Tatsachen fest: Der christliche Gottesbegriff ist in sich widersprüchlich. Wie kann Gott Inbegriff der vollkommenen Güte sein, wenn er den Menschen schreckliche Schicksale auferlegt? Norbert Hoerster ist der "Frage nach Gott" nachgegangen.

Von Florian Felix Weyh | 22.03.2005
    Ein großartiges Sprachspiel entspinnt sich vor unserem Auge. Denn womit operiert der rationale Skeptiker, der sich auf metaphysisches Gebiet verirrt, mit Fakten etwa? Nein, die kennt er ebenso wenig wie die Gläubigen. Mit Regeln? Ja - doch besitzen sie Theologen nicht minder. Nur sind es andere, weiche, analoge, non-kausale, und da beginnt sich der geschulte Intellekt Hoersters prächtig zu entfalten. Man nehme ein paar geeignete Prämissen (nennen wir sie ruhig "steile Thesen") und dekliniere sie nach allen Regeln der Widerspruchsfreiheit durch.

    Diese "steilen Thesen" muss sich Hoerster gar nicht ausdenken, sie werden ihm - wie all seinen Vorgängern - von der christlichen Theologie frei Haus geliefert. Auf Widerspruchsfreiheit hat Religion, gleich welcher Couleur, noch nie Wert gelegt. Zum Beispiel bei der erwähnten Sache mit der Güte und dem Übel, wie auch bei der Omnipräsenz Gottes, die sich aus allenfalls punktuellen Gotteserfahrungen Einzelner keineswegs ableiten lässt. Wo ein Gebäude nur auf Aussagen gebaut wird, kann die Demontage im Sprachspiel gar nicht schief gehen, und Hoersters Beweisführung wird nur an jenen Stellen fadenscheinig, wo er seinerseits an den Prämissenschräubchen dreht, um zu gewünschten Deduktionen zu kommen. Die Logik erlaubt das allemal, sie ist ja ein Spiel und kein Ernst, und weil das so ist, lehnt sich auch der Gläubige unaufgeregt zurück. Denn er ist mit weitaus stärkeren Argumenten gewappnet. Erstens könnte er mit Wilhelm Busch sagen: "Nur was wir glauben, wissen wir gewiss." Aber der Humorist besitzt naturgemäß kein hohes intellektuelles Prestige, also bedarf es respektablerer Unterstützung. Zum Beispiel vom Biologen Lyall Watson, der schon vor dreißig Jahren Grundsätzliches über die Grenzen unseres Erkenntnisvermögens formuliert hat: "Wenn das Gehirn so einfach wäre, dass wir es verstehen könnten, dann wären wir so einfach konstruiert, dass wir es nicht verstehen könnten."

    Das ist eine paradoxe rationale Schleife, und in genauso eine Schleife gerät auch jeder vernunftgesteuerte Kritiker des Glaubens hinein: Wenn Gott als das existiert, als das wir ihn definieren (nämlich als übermenschliches Wesen), muss er zwingend so kompliziert sein, dass er sich mit Hilfe simpler menschlicher Logik nicht erfassen lässt. Umgekehrt: Ließe er sich erfassen, wäre er kein Gott mehr, sondern ein Phänomen auf Augenhöhe, mithin für uns entbehrlich. In diese Richtung zielt auch der berühmte Satz von Pierre Simon Laplace, Gott sei eine Hypothese, derer er nicht bedürfte. Stattgegeben! Wer wie Laplace als Mathematiker - oder wie Hoerster als Rechtsphilosoph - mit der rationalen Welt auskommt, braucht sich nicht um Glaubensfragen zu kümmern. Die anderen entdecken sich in einem Satz von Ludwig Marcuse wieder: "Denken ist eine Anstrengung, Glauben ein Komfort."

    Norbert Hoerster: Die Frage nach Gott
    C.H. Beck
    128 Seiten, 9,90 €