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Die heimliche Atommacht Israel

Wenn die israelische Regierung über das heimliche Atomprogramm des Iran spricht, dann tut sie das im Angesicht einer durchaus realen Bedrohung. Aber sie tut das auch in dem Wissen, selbst Nuklearmacht zu sein - ohne das offen zuzugeben.

Von Sebastian Engelbrecht | 12.11.2011
    Im Dezember 2006, vor fünf Jahren, sprach der damalige israelische Ministerpräsident Olmert aus, was bis dahin kein Regierungspolitiker in Israel zugegeben hatte. In einem Interview mit dem deutschen Fernsehsender N24 kam ihm versehentlich ein Satz über die nukleare Macht seines Landes über die Lippen.

    "Iran droht offen, explizit und öffentlich, Israel von der Landkarte zu tilgen. Kann man da behaupten, das sei dieselbe Ebene, wenn sie den Besitz von Atomwaffen anstreben wie Amerika, Frankreich, Israel, Rußland?"

    Olmert reihte mit diesem Satz Israel wie selbstverständlich in die Riege der Atommächte ein. Offiziell aber hat Israel keine Atomwaffen – und doch weiß alle Welt, dass Israel eine Nuklearmacht ist. Dimona in der Negev-Wüste, so viel ist inoffiziell bekannt, ist der Sitz der israelischen Atomforschung und -produktion. Und an der Autobahn zwischen Tel Aviv und Aschdod, nahe der Mittelmeerküste, weist ein Schild auf die Ausfahrt "Nuklearzentrum Soreq" hin. Fragt man in israelischen Ministerien nach, ob Israel Atomwaffen besitze, heißt es üblicherweise: "Israel wird nicht als erstes Land Atomwaffen in der Region einführen."

    Aber dieser eigentümliche und unklare Satz ist längst überholt, spätestens seit dem 5. Oktober 1986. Damals enthüllte die britische "Sunday Times" auf ihrer Titelseite "Die Geheimnisse des nuklearen Arsenals Israels", samt Fotos und Zeichnungen. Informant der Zeitung war ein Atomtechniker aus Dimona.

    "Ich bin Mordechai Vanunu, der Mann hinter dem "Sunday-Times"-Artikel vom 5. Oktober 1986, der Artikel über Israels nukleare Waffen."

    18 Jahre lang saß Vanunu anschließend in israelischen Gefängnissen, lange Jahre in Isolationshaft. Heute ist er immer noch kein freier Mann. Ausländischen Journalisten darf er keine Interviews geben, und er darf Israel nicht verlassen.

    Aufgrund von Vanunus Informationen schätzen Experten, dass Israel über bis zu 300 atomare Sprengköpfe verfügt. Immer wieder halfen verbündete Staaten beim Aufbau der Nuklearmacht. Die USA lieferten schon in den 50er-Jahren einen Forschungsreaktor, Frankreich baute einen weiteren Reaktor und eine Wiederaufarbeitungsanlage.

    Der israelische Friedensnobelpreisträger und heutige Staatspräsident, Schimon Peres, spielt in den Anfängen des israelischen Atomprogramms eine entscheidende Rolle. Peres wurde schon 1952 von Ministerpräsident David Ben-Gurion damit beauftragt, das israelische "Atomenergiekomitee" zu gründen. Es war Peres, der mit Frankreich die Lieferung eines Reaktors zur Plutoniumproduktion vereinbart hatte. Er wurde in Dimona, in der Negev-Wüste, errichtet werden. Der Chemiker Uzi Even war im Wissenschaftlerteam von Dimona dabei.

    "Damals war der Holocaust noch sehr in unserem Gedächtnis, und uns war klar, dass wir etwas tun mussten, das verhindern würde, dass so etwas noch einmal passiert. Wir waren ein junges Team. Die meisten von uns waren sehr jung, wir waren voller Enthusiasmus und arbeiteten an etwas, das wir für absolut notwendig für unsere Existenz hier hielten, wie die endgültige Versicherung, dass wir nicht angegriffen oder vernichtet werden würden."

    Mittlerweile unterstützen nicht nur die USA und Frankreich die Atommacht Israel, sondern indirekt auch Deutschland. 1999 begann die Bundesrepublik Deutschland mit der Lieferung von U-Booten des Typs "Dolphin". Fachleute nehmen an, dass sie mit Atomraketen ausgerüstet werden können. Im Juli 2009 schickte Israel eines der Boote auf die Reise durch den Suezkanal ins Rote Meer – mit Genehmigung Ägyptens. Die Regierung in Jerusalem demonstrierte, dass sie auch im Falle eines Atomangriffs des Iran flexibel mit einem atomaren Gegenschlag reagieren könnte. Israel soll auch Cruise Missiles besitzen, also Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können. Nach Informationen eines israelischen Solidaritätskomitees für Mordechai Vanunu sind die israelischen Raketen bei Jerusalem und in Galiläa, im Norden des Landes, stationiert.

    Vor acht Jahren rechtfertigte der Mitgründer des israelischen Atomprogramms und heutige Staatspräsident, Schimon Peres, die Nuklearpolitik seines Landes. Im Jahr 2003 sagte Peres in einem Interview mit der britischen BBC im Blick auf die Geheimhaltung des Programms:

    "Jemand will Sie töten, und Sie täuschen ihn, um Ihr Leben zu retten. Das ist nicht unmoralisch. Wenn wir keine Feinde hätten, bräuchten wir keine Täuschung, keine Abschreckung."

    Aus israelischer Sicht hat sich diese Politik bewährt. Die Abschreckung funktioniert. Reuven Pedatzur, Dozent für strategische Studien an der Universität Tel Aviv, führt als Beispiel den Golfkrieg von 1991 an:

    "Saddam Hussein feuerte Raketen auf Israel ab, aber obwohl er auch chemische Waffen hatte, setzte er sie nicht ein. Als sein Schwiegersohn nach Jordanien überlief, fragte man ihn: Wieso habt ihr nicht die Chemiewaffen eingesetzt? Er antwortete ganz klar: Wir hatten Angst vor nuklearer Vergeltung durch Israel. Das war also ein Erfolg."

    Neben der militärischen Nutzung der Atomkraft strebt Israel heute auch den Bau eines eigenen Atomkraftwerks an. Bei einer Konferenz in Paris im vergangenen Jahr sagte der israelische Minister für Infrastruktur, Uzi Landau, sein Land wolle zusammen mit Jordanien ein Atomkraftwerk bauen. Frankreich soll die Technologie dazu liefern. Das Kraftwerk soll im Süden des Landes, in der Negev-Wüste, gebaut werden.