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"Die Infrastruktur schnell wieder in Gang bringen"

Nach dem schweren Sturm auf den Philippinen sind Hilfskräfte aus aller Welt im Einsatz, darunter auch das UN-Welternährungsprogramm WFP. Ralf Südhoff vom WFP glaubt, dass sich bald auch die Sicherheitslage verbessern wird.

Ralf Südhoff im Gespräch mit Dirk Müller | 12.11.2013
    Dirk Müller: Auf den Straßen verwesen die Leichen. Es gibt Berichte, wo ganze Familienverbände umgekommen sind durch den Tropensturm Haiyan.
    Bislang wird die Zahl der Toten offiziell auf etwa 10.000 geschätzt. Doch es wird befürchtet, dass es deutlich mehr werden könnten, wenn Rettungskräfte auch die entlegenen Küstenregionen erreichen, etwa die 40.000-Einwohner-Stadt Guyann, die weitgehend zerstört sein soll. Am Telefon ist nun Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Guten Tag.

    Ralf Südhoff: Guten Tag.

    Müller: Herr Südhoff, wie stellen Sie den Kontakt her in die Krisenregion?

    Südhoff: Wir haben zum Glück sehr viele Leute vor Ort. Wir haben ein Entwicklungsprogramm normalerweise in den Philippinen laufen. Deswegen haben wir nun auch ein Dutzend Helfer allein in Tacloban und über 100 Menschen in den Philippinen. Unser Landesdirektor war unmittelbar nach dem Taifun bereits am Samstag vor Ort und hat in der Tat Erschütterndes berichtet, unter anderem beispielsweise von einem Mann, den er getroffen hat, der von einer riesigen Sturmwelle erst ins Land getragen wurde, dann hinaus aufs Meer und irgendwann extrem viel Glück hatte und zwölf Kilometer weiter plötzlich wieder an Land gespült wurde. Das sind die erschütternden Berichte, die uns erreichen. gleichzeitig hat aber auch dieser Mann sowie mittlerweile wohl rund zehn Millionen weitere Menschen fast alles verloren.

    Müller: Das sind die Zahlen, die wir gestern zum ersten Mal gelesen haben. Die Vereinten Nationen gehen von zehn Millionen Betroffenen aus. Können Sie das bestätigen?

    Südhoff: Das können wir und müssen wir leider bestätigen. Das ist der aktuelle Stand und es ist unsicher, ob das überhaupt der letzte Stand ist, oder wir nicht in der Tat, wenn noch weitere Inseln erreicht werden, diese Zahlen weiter nach oben korrigieren müssen. Sie müssen sich vorstellen ein Gebiet von den Ausmaßen fast Ostdeutschlands, so viele Menschen, wie in Berlin und Ostdeutschland leben, ist von einem Taifun getroffen. Die Menschen leben auf Inseln, sind unerreichbar, und das, was sie zum Leben bräuchten und nicht mehr haben, ist auch das, was für die Hilfe natürlich die wichtigste Voraussetzung wäre. Die Straßen, über die man Güter transportieren kann, liegen voller Schutt und auch Leichen. Die Flughäfen sind zerstört, die Häfen. Deswegen müssen wir so schnell wie möglich vor allem diese Infrastruktur jetzt wieder in Gang kriegen.

    Müller: 10.000 Tote – das war die Zahl, die wir am Sonntagabend zum ersten Mal auch in der Redaktion in den Nachrichtenagenturen lesen konnten. Die wurde am Montag dann etwas relativiert, danach wurde sie etwas erhöht. Jetzt kursiert wieder die Zahl 10.000 Tote durch die Katastrophe auf den Philippinen. Gehen Sie inzwischen davon aus, dass das nicht reichen wird?

    Südhoff: Das ist nach wie vor die aktuelle Schätzung, aber es ist natürlich einfach nur eine Schätzung. Es gibt Gebiete, es gibt ganze Inseln, die zerstört wurden, aber noch gar nicht erreicht werden konnten. Insofern: eine seriöse Zahl kann dort niemand nennen. Aber sie wird sich sicherlich in diesen Dimensionen bewegen.

    Müller: Reden wir über die Logistik, Ralf Südhoff vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Wie schwierig ist das jetzt?

    Südhoff: Das ist die große riesige Herausforderung. Sie haben einen komplett zerstörten Flughafen in Tacloban. Unsere Aufgabe ist es, zum einen die Ernährungshilfe bereitzustellen für Millionen Menschen vor Ort. Zugleich haben wir aber auch den Auftrag, für alle Helfer die Logistik bereitzustellen. Deswegen haben wir auf der Nachbarinsel in Cebu ein Drehkreuz errichtet. Wir haben eine Luftbrücke aufgebaut nach Tacloban. Aber vor allem gilt es jetzt, vor Ort auch die Häfen wieder anlaufbar zu machen, damit unsere Schiffe, die bereits bereit liegen, dort hinfahren können. Gemeinsam mit der Regierung vor Ort räumen wir die Straßen zwischen Flughafen und Tacloban Stadt. Das ist die Grundvoraussetzung und dann kommen die nächsten Fragen wie: Sie haben keinen Strom für Monate im Krisengebiet. Wir müssen also aus unserem Depot in Malaysia Generatoren einfliegen, Sendemasten, damit man überhaupt wieder telefonieren kann. All das läuft jetzt an, aber es ist natürlich eine riesige Herausforderung.

    Müller: Bekommen Sie Unterstützung der philippinischen Militärs?

    Südhoff: Wir bekommen Unterstützung von der philippinischen Regierung. Zwei Transportflugzeuge sind bereits vor Ort, weitere Militärmaschinen der USA sind in der Tat auf dem Weg. Das wird sehr, sehr helfen, die Transportkapazitäten vor Ort auszuweiten.

    Müller: Wir haben jetzt schon mehrfach gehört in den vergangenen drei Tagen, dass grundsätzlich die Kontakte, die Verbindungen mit der philippinischen Regierung ganz gut funktionieren. Ist das wirklich so?

    Südhoff: Das ist eine enge Kooperation. Es ist jetzt ja auch der Notstand ausgerufen worden. Wir sind auf diese enge Kooperation auch angewiesen, denn die Sicherheitslage muss natürlich auch so sein, dass Helfer helfen können. Die Plünderungen, die ja auf der Hand liegen, weil die Menschen haben nichts zu essen und sie wissen, dass in Läden noch Essen liegt, gehen vonstatten, während wir gleichzeitig natürlich unsere Hilfstransporte schützen müssen. Es gibt jetzt eine Ausgangssperre ab 17 Uhr Abends vor Ort und der Notstand ist ausgerufen worden. Wir glauben, die Sicherheitslage kann sich gemeinsam mit der Regierung sehr schnell jetzt verbessern.

    Müller: Wird es auch Ihre Aufgabe sein, die großen Fäden in der Hand zu halten, das heißt, wirklich zu koordinieren all diejenigen, die da vor Ort sind und anpacken wollen?

    Südhoff: Das ist in der Tat eine unserer entscheidenden Aufgaben, vor allem was den Transport und die Logistik anbelangt. Wenn Sie so eine Luftbrücke haben, werden Sie immer ganz schwierige Entscheidungen treffen müssen, welche Hilfsgüter werden jetzt am dringendsten wo benötigt, wo fliegen Sie als erstes Zelte hin, wo Trinkwasser, wo sind Nahrungsmittel das allererste, was die Menschen brauchen, die zu Millionen buchstäblich nur noch das haben, was sie im Moment, als der Sturm kam, am Leib getragen haben. Das ist unsere Aufgabe, zu koordinieren, und da sind wir zum Glück auf einem guten Weg. Das Entscheidende ist jetzt tatsächlich, die Straßen, die Flughäfen und so weiter wieder frei zu bekommen.

    Müller: Danke an Ralf Südhoff vom UN-Welternährungsprogramm.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.