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"Die Iren kommen aus der Nummer nicht raus"

Der parlamentarische Geschäftsführer der Liberalen im EU-Parlament, Jorgo Chatzimarkakis, geht davon aus, dass Irland sich nicht mehr lange mit seiner Finanzkrise gegen einen Rettungsschirm weigern kann. Die Idee von Kanzlerin Merkel, Investoren an Finanzkrisen zu beteiligen, betrachtet er skeptisch.

Jorgo Chatzimarkakis im Gespräch mit Dirk Müller | 17.11.2010
    Dirk Müller: Reden wir im Deutschlandfunk jetzt über Irland, mit Jorgo Chatzimarkakis, parlamentarischer Geschäftsführer der Liberalen im Europäischen Parlament. Guten Tag!

    Jorgo Chatzimarkakis: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Chatzimarkakis, hat van Rompuy übertrieben?

    Chatzimarkakis: Ich glaube, die Tonlage war etwas zu hoch. Gleichwohl ist es immer besser, das Frühwarnsystem anzuschmeißen und zu sagen, Freunde, liebe europäische Freunde, hier ist was in Gefahr, hier müssen wir was tun. Wir haben renitente Iren erlebt die letzte Nacht, aber so langsam scheint es sich hier doch abzuzeichnen, dass die Iren dieses Warnsignal auch annehmen. Ich fand die Tonlage ein bisschen hoch, aber es ist immer besser, früh vorgewarnt zu sein.

    Müller: Das erinnert so ein bisschen - Sie sagen "renitente Iren" – daran, dass einer einen blauen Brief bekommt und den aber verschwinden lässt und nicht seinen Eltern zeigt.

    Chatzimarkakis: Hier sieht es ein bisschen anders aus. Ich glaube, die Iren wären froh, wenn es jetzt nur ein blauer Brief wäre. Die Iren wollen nicht, dass ihnen dasselbe widerfährt wie den Griechen. Wenn man unter diesen Rettungsschirm gerät, verliert man natürlich auch die Autonomie über seine Finanzpolitik. Der griechische Finanzminister hat alle paar Wochen Besuch der Troika, also Europäische Zentralbank, Europäische Kommission und der IWF, der Internationale Währungsfonds schauen ihm in die Bücher, schauen in alles, was er tut. Das wollen die Iren verhindern und deswegen weigern sie sich noch. Ich bin aber nicht sicher, ob sie das schaffen, denn jeder Tag, jede Stunde, die sie sich mehr weigern, wetten die Märkte natürlich darauf, was passieren könnte, wenn die Iren eben nicht in den Rettungsschirm gehen, und diese Wetten kosten Geld, treiben die Spreads, also die Zinsen auf die Anleihen hoch, insbesondere auch bei den Ländern, die auch Wackelkandidaten sind. Also Portugal, Spanien sind betroffen, auch die Griechen sind betroffen, weil deren Spreads offenbar auch steigen aufgrund der Irland-Krise.

    Müller: Wenn Bankenmanager, Herr Chatzimarkakis, die Politik und die Regierung und den Staat in die Pleite treiben, hat die Politik dann nicht längst ihre Autonomie verloren?

    Chatzimarkakis: Ich glaube, die Politik hat viele, viele Jahre sich von Bankern etwas erzählen lassen, was sie nicht verifiziert hat. Es sind ja sehr viele Produkte, sogenannte Finanzprodukte an den Märkten entstanden, wo, glaube ich, Politiker das hingenommen haben, haben sogar ihre Landesbanken mitspekulieren lassen, die staatlich unterstützt waren, um Gewinne zu machen, und jetzt stehen wir vor dem Scherbenhaufen. Wir stellen fest, dass dort kein Markt im Grunde war, sondern ein anarchisches System, was völlig entkoppelt war von der Realwirtschaft.

    Entsprechend haben wir ja im Europäischen Parlament und in der Europäischen Union jetzt auch Bankenaufsichten, eine europäische Bankenaufsicht in drei Teilen etabliert, aber das reicht eben nicht. Wir müssen schauen, wie wir langfristig solche Mechanismen in den Griff kriegen, und auch die Griechenland-Krise war ja nur eine Etappe. Wir haben immer noch kein langfristiges Instrument, wie zum Beispiel einen Europäischen Währungsfonds, das in solchen Fällen langfristig eingreift. Die Märkte reagieren auch deswegen spekulativ und wetten, weil sie nicht wissen, wie geht es denn nach 2013 weiter. Dieser große Rettungsschirm, 750 Milliarden Euro, den wir ja im Grunde gerade erst vor der Sommerpause auf den Weg gebracht haben, der läuft 2013 aus und natürlich wollen die Märkte wissen, wie geht es dann weiter.

    Müller: Sind Sie denn auch dafür, Herr Chatzimarkakis, wie die Kanzlerin, die Investoren möglicherweise mit zu beteiligen am Scherbenhaufen?

    Chatzimarkakis: Das wird in vielen Staaten, die jetzt unter den hohen Spreads, also den hohen Zinsaufschlägen leiden, als Grund dafür gesehen, dass die Märkte so ein bisschen anfangen zu wetten, nämlich genau diese Aussage der Kanzlerin.

    Müller: Die Iren werfen das ja auch Angela Merkel vor.

    Chatzimarkakis: Die Iren werfen das auch Angela Merkel vor und in der Tat hat die Kanzlerin hier eine Position, die hört sich auf den ersten Blick gut an: Wir wollen nicht nur den Steuerzahler belasten, also nicht nur Staaten sollen einlegen und sollen für die Schulden sozusagen aufkommen, sondern auch private Investoren. In der Tat hat es aber solche Experimente durch den IWF, durch den Internationalen Währungsfonds, nur in zwei Entwicklungsländern gegeben, und die sind nicht gut verlaufen. Also offenbar ist das eine Idee, die noch gar nicht so geprüft ist, und ich glaube, die Kanzlerin sollte sich das noch mal genau überlegen. Fest steht – und wir hatten gestern ein Treffen mit Jean-Claude Juncker, der gesagt hat, in Deutschland läuft eine verquere Diskussion, es ist ja gar nicht der Steuerzahler, der bürgt -, wir müssen, glaube ich, die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen und Angela Merkel darf nicht den Fehler machen, die Banken sozusagen mit dem falschen Instrument ins Boot zu bringen. Offenbar wird hier ein falsches Instrument angeboten, die Märkte nehmen es nicht an.

    Müller: Es geht ja jetzt um die Handlungskompetenz, Herr Chatzimarkakis, der EU. Kann die EU jetzt Irland zwingen, drängen, überreden, die Hilfe anzunehmen?

    Chatzimarkakis: Also zwingen kann man niemanden. Allerdings werden die Iren – deren Regierung wackelt eh, das ist keine starke Regierung – sich nicht mehr lange entziehen können, weil das, was dort passiert ist, dass das Defizit auf das Zehnfache des Bruttoinlandsproduktes gestiegen ist, von drei Prozent auf 32 Prozent, das ist schon bemerkenswert. Da kommen die Iren auch nicht raus aus der Nummer. Sie brauchen Hilfe. Deutschland ist sehr stark beteiligt. Die Zahl, die im Raum steht, ist, dass Deutschland mit 138 Milliarden Euro, deutsche Banken mit 138 Milliarden Euro an Anleihen dort vertreten ist. Das ist gewaltig!

    Neu ist die Dimension, dass Großbritannien, der größte Gläubiger, mit über 150 Milliarden Euro beteiligt ist und die Briten sich eben an der Rettungsaktion beteiligen. Sie sind ja beim Rettungsschirm nicht dabei, weil sie nicht der Euro-Zone angehören. Hier werden sie der Nachbarinsel aber helfen. Das heißt, es wird hier auch neue Instrumente der Zusammenarbeit geben. Zwingen können wir die Iren nicht, aber sie werden sich nicht mehr lange weigern können.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk heute Mittag Jorgo Chatzimarkakis, parlamentarischer Geschäftsführer der Liberalen im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Chatzimarkakis: Danke schön, Herr Müller!

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