Archiv


Die Kunst der Kelten

Die Kelten gelten als das erste namentlich bekannte Volk, das in unseren Breiten siedelte. Sie beherrschten meisterhaft verschiedene Kunsthandwerke, schmiedeten Waffen, Schmuck und Schalen. Im Historischen Museum im Bern sind zahlreiche Funde aus der Keltenzeit ausgestellt.

Von Thomas Wagner |
    Der riesige, metallbeschlagene Wagen mit seiner mächtigen Deichsel fällt in dem lichten Raum sofort ins Auge. Das Fuhrwerk besteht, lesen die Ausstellungsbesucher, aus nicht weniger als 1350 Einzelteilen. Davor entdecken sie jeweils hinter gläsernen Vitrinen drei mächtige Bronzebehälter, die so ähnlich aussehen wie überdimensionale Kochtöpfe.

    ""Das sind bronzene Auftrag-Teller. Die kamen hier mit anderem Bronzegeschirr in dieses Grab; auch mit Trinkhörnern, mit acht Trinkhörnern ganz genau und einem neunten, einem ganz großen. Die wurde gebraucht für festliche Gelage - offenbar zusammen mit diesem Fürsten in seinem Leben. Und er hat das alles mit ins Grab bekommen, also offenbar auch im Jenseits.”"

    Fasziniert blickt der Archäologe Professor Felix Müller mal nach vorne, auf den Wagen, mal nach unten, auf die Bronzebehälter. Dass diese Exponate nun im Untergeschoss des Historischen Museums Bern zu sehen sind, grenzt an ein kleines Wunder. Denn es handelt sich um das sogenannte Grab des Fürsten von Hochdorf: ein in dieser Form europaweit einzigartiger archäologischer Fund.

    1978 entdeckten die Archäologen in der Nähe von Stuttgart die nahezu vollständig erhaltenen Grabbeilagen eines Keltengrafen aus der Zeit um etwa 530 vor Christus. All dies befindet sich normalerweise wohlbehütet in den Kammern des Württembergischen Landesmuseums. Experten sprechen ab und an sogar vom "keltischen Tutanchamun”. Nun, im Rahmen der Ausstellung "Kunst der Kelten” im Historischen Museum Bern, wird das kostbare Grab von Hochdorf erstmals außerhalb gezeigt.

    Ein paar Räume weiter sitzen die Besucher gebannt vor einem Großbildschirm. Aus den Lautsprechern tönt gedämpft meditative Musik. Auf dem Bildschirm sehen die Betrachter geheimnisvolle Goldornamente in ganz ungewohnter Perspektive.

    ""Wir sehen hier die berühmten schweizerischen Goldschatzfunde von Erstfeld. Und die sind wunderschön gemacht mit Dämonenfratzen, miteinander verschlungenen Motiven, plastisch, dreidimensional gestanzt. Und das Schweizerische Landesmuseum hat uns die zur Verfügung gestellt, nicht nur als Leihgaben, sondern eben auch um diesen Film zu machen, in dem eine Kamera um die Ringe kreist - und so eben die Plastizität der Ringe herausheben kann und die Figuren sehen kann.”"

    Auch diese Funde gelten als Musterbeispiele für keltisches Kunsthandwerk. Sie stammen, so die Berner Archäologin Sabine Bolliger, ebenfalls aus dem Jahr 350 vor Christus. Statuen, detailverliebt gestaltete metallische Schmuckgegenstände, verzierte Dolche, Behälter, Karaffen und vieles mehr zeigt die Ausstellung "Kunst der Kelten” im Historischen Museum Bern.

    Professor Felix Müller und sein Team haben 450 Exponate aus ganz Europa zusammengetragen. Daraus ist eine bislang einzigartige Ausstellung entstanden. Die stößt bereits jetzt bei Kulturwissenschaftlern aus ganz Europa auf großes Interesse. Denn so prachtvoll die Kunstwerke der Kelten auch erscheinen mögen - die Informationslage über Leben und Wirken der Kelten gestaltet sich, vor allem wenn es um die Beschreibung des Alltages und des Zusammenlebens geht, eher als spärlich. Und das hat, weiß Kurator Felix Müller, seinen Grund:

    ""Es ist ein Spiegel auf die ganze alte Geschichte damals. Wir kennen und wissen viel über die Römer und die Griechen. Sie haben uns schriftliche Nachrichten hinterlassen über ihr eigenes Leben und über ihre eigene Geschichte. Das ist gar nicht so mit den Kelten: Sie haben keine schriftlichen Nachrichten hinterlassen. Und wenn wir etwas schriftliches von ihnen erfahren, so nur aus griechischer oder römischer Sicht. Aus griechischer und römischer Sicht waren die Kelten Barbaren und entsprechend gering geschätzt. Also ist von Anfang an die ganze keltische Kunst und Kultur mit einem Handicap behaftet. Wenn wir das aber jetzt genau ansehen, dann ist die keltische Kultur zwar eine Randkultur bezogen auf die Hochkultur, aber technisch und künstlerisch können diese Kelten durchaus mithalten.”"

    Das belegen die Exponate der Berner Ausstellung auf eindrucksvolle Art und Weise. Wer die geheimnisvoll anmutenden Ornamente betrachtet, die verzierten Dolche und vieles andere mehr, der wagt es kaum mehr, von ""barbarischer Kunst" zu reden. In dieser geballten Form könnte die laufende Ausstellung dann auch ein klein wenig zu einer Korrektur des Geschichtsbildes über die Kelten beitragen, findet Felix Müller:

    ""Das kann man schon - gerade auch mit Hilfe der Kunst. Es gibt ja auch in der Wissenschaft eine Linie, eine Meinung, die besagt, dass die Kelten gar nicht so eine starke Einheit waren unter sich, dass die keine Identität besaßen, wie wir uns das von anderen Völkern in dieser Zeit vorstellen. Es gibt dafür Indizien, die immer wieder ins Feld geführt werden. Aber wenn man doch die Kunst betrachtet, was ja nicht von ungefähr kommt… Also die Kunst ist ja schon eine Äußerung einer größeren Gemeinschaft. Wir haben da Kunstwerke aus Schottland bis nach Bulgarien, also einerseits eine immense geografische Ausdehnung. Und wie lange das dauert: Wir können das über mehr als 1000 Jahre verfolgen. So scheint, doch eine große Einheit unter diesen Völkern bestanden zu haben.”"

    Und das macht den Besuch der Ausstellung nicht nur für ein breites Publikum, sondern auch für Kulturwissenschaftler aus ganz Europa lohnenswert. Dass 450 keltische Kunstwerke zu einer einheitlichen Ausstellung zusammengefügt wurden, ist bislang einzigartig. So kompakt an einem einzigen Ort konnten beispielsweise Archäologen keltische Grabungsfunde bislang noch nie besichtigen. Sabine Bolliger, Archäologin aus Bern:

    ""Also für die Wissenschaftler, speziell für die, die ich hier jetzt schon gesehen habe, die als Kuriere kamen oder privat, die flippen hier regelrecht aus, weil man hier Objekte hat, die man in der Studienzeit nur aus Büchern kennt. Und für mich war das beim Auspacken wie Weihnachten, jeder Tag. Man kann es eben auch in den Händen halten. Dass ist eben schon so, dass man all die Gegenstände, die man ansonsten nur aus Publikationen kennt, hier sehen kann - alle zusammen.”"

    Bei so manchem Ausstellungsstück staunt dann auch die erfahrene Archäologin. Beispiel: Der eiserne Getränkeausguss, der zum Einschenken auf einen Behälter aufgesetzt wurde.

    ""Man sieht hier ein Gesicht auf diesem Ausguss. Und wenn man die Kanne kippt und daraus etwas eingeschenkt bekommt, dann verändert sich das Gesicht - und es schaut einen ein anderes Gesicht an.”"

    Eine Meisterleistung, die durch ein ausgetüfteltes Oberflächenrelief des Ausgusses zustande kam. Je nach Neigungswinkel des Ausgusses zum Betrachter, hat man den Eindruck, in ein jeweils anderes Gesicht zu schauen. Was ebenso dokumentiert wird: die Art und Weise, wie sich die gestaltende keltische Kunst im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat. Sabine Bolliger:

    ""Zu Beginn war es ja rein geometrisch. Dann, nach der Berührung mit der griechischen Kunst, wurde es floral. Dann kamen Figuren dazu - Dämonen, Gesichter, Menschenfiguren. Mit der Zeit wird es wieder ein bisschen ornamentaler, abstrakter. Später kommen dann wieder Tierstile dazu; Tierfiguren, die auch in abstrahierter Form dargestellt werden. Und dann unter dem Einfluss der römischen Zeit kommt dann wieder etwas Eigenes dazu. Und dann ist der römische Einfluss auch sehr stark.”"

    Nicht zu vergessen auch die griechischen und ertruskischen Einflüsse auf die Kunst der Kelten. Die Ausstellung im Historischen Museum Bern dauert noch bis 18. Oktober. Danach wird sie im Württembergischen Landesmuseum Stuttgart zu sehen sein.