Freitag, 26. April 2024


Die »lyrix«-Gewinner im Oktober 2014

Gemeinsam mit Raphael Urweider und dem Historischen Museum Frankfurt ging »lyrix« im Oktober auf Entdeckungsreise. 'Die Vermessung von Zeit und Raum' bot thematisch endlose Weiten, zu denen wir spannende Einsendungen erhalten haben.

30.10.2014
    Die Erde von der ISS aus gesehen.
    Im Oktober besuchte »lyrix« mit dem Thema 'Die Vermessung von Zeit und Raum' das Historische Museum Frankfurt. Neben dem Erdglobus des Johannes Schöner bot euch ein Gedicht von Raphael Urweider Inspiration.
    In euren Einsendungen geht es häufig um die Probleme, welche durch Neuentdeckungen und dem damit verbundenen Verlangen nach 'mehr' entstehen. Um die Gier, die den Menschen antreibt, seine Umwelt nach und nach immer mehr auszubeuten und zu zerstören. Ebenso spielt ihr auf die Enge an, welche durch das Vermessen und damit durch das Schaffen von Grenzen kreiert wird, eine Freiheitsberaubung, die der Mensch sich selbst angetan hat.
    Am Ende bleibt das, was uns zum Glück führt, unermesslich.
    Vielen Dank für eure Einsendungen.
    Die Monatsgewinner, Oktober 2014:
    Die Sanduhr
    tick.tack.
    das Leben verrinnt so schnell
    wie sand zwischen den fingern
    sieben mal sieben
    feiner sand
    am unendlichen strand
    kopfsprung
    ins eiskalte wasser
    eintauchen
    abtauchen
    einmal tief luft holen
    und auf tauchstation gehen
    das glas halb voll laufen lassen
    auftauchen
    und sich einfach mal treiben lassen
    anhalten
    innehalten
    umdrehen
    und gegen den strom schwimmen
    feiner sand
    am unendlichen strand
    sieben mal sieben
    zwischen den fingern
    verrinnt dir die Zeit
    tick.tack.
    Christian Bernert, Jahrgang 1997
    (T)Zeit(raum)
    Alljene Grenzen in verstaubten Atlanten,
    Ziehen seicht ihre Kreise und auch Kanten,
    Linien der großen globalen Geolokalisation.
    Wozu diese menschengemachten Grenzen?
    Leid. Ob Lampedusa oder Verdun.
    Unser Zeitgefühl bestimmt das Bewusstsein,
    Unser Uhrwerk zermahlt unsere Freiheit fein,
    Die Momente messbarer Minuten.
    Wozu Uhren, Zeiger mögen wir ergänzen?
    Verwaltung. Subjekte statt Menschen.
    Addiert man Raum und Zeit entsteht Geschichte,
    Gar ein Verstandsnihilismus im geschönten Lichte,
    Zeilen der zeitgeschichtlichen Repetition.
    Wozu der Pragmatismus, die Doktrin der Messbarkeit?
    Vanitas. Verrinnen als gegenwärtige Konstante.
    Doch ist das letzte Stück erst einmal vermessen,
    Folgt auch schon darauf die Konklusion,
    Glück hatte nie eine erfassbare Einheit besessen.
    (Daran war selbst John Stuart Mill gescheitert)
    Wilko Meyer, Jahrgang 1996
    o.T.
    Zeit ist was uns lebendig macht
    Zeit ist das was uns menschlich macht
    Zeit ist die die uns Fehler erlaubt
    Zeit ist das was gleichermaßen gibt und raubt.
    Zeit ist hell und dunkel zugleich
    Zeit ist in Feen und in Teufeln vereint
    Zeit ist das was alles bewegt
    Zeit ist die die uns zum Leben anregt.
    Zeit ist nur der Raum von A nach B
    Der zu gestalten sich das Leben nennt.
    Zeit ist die die uns am besten kennt
    Und was tut sie?- Allen weh.
    Nur Leid ist nicht das Einzige der Zeit
    Ihr Inneres geht sehr sehr weit
    Auch Gutes kann sie uns bringen
    wennn wir mit ihr darum ringen.
    Zeit ist überall und nirgendwo
    sie lebt in jedem und in keinem
    ist mit niemandem im Reinen
    Zeit ist das was immer floh
    Doch wir dagegen können nicht fliehen
    denn seiner selbst zu entkommen geht nicht einfach so
    Wenn wir den Versuch wagen und dannn sicherlich versagen
    und dann die Zeit uns Menschen Hoffnung leiht.
    Doch eigentlich ist die Zeit wir
    und wir sind die Zeit.
    Denn Zeit eilt und heilt doch niemals weilt
    und die Zeit die Menschen teilt.
    Wir messen die Zeit
    in Stunden, Minuten, Sekunden
    Die Zeit ist Monate, Jahre, Tage
    Die Zeit, wie eine große Plage.
    Doch Zeit schenkt Raum
    sie gibt uns Platz
    Zeit verschwindet mitunter
    schnell wie eine Katz'.
    Die Zeit hat die Macht
    uns zu geben was wir brauchen
    uns zu nehmen was wir wollten
    Sie verfolgt uns wo wir gehen und stehen.
    Doch ohne die Zeit wären wir verloren
    den die Zeit ist unser Plan.
    Sie ist wie ein alter, steter Kahn
    Und hat sich somit selbst zur Herrscherin erkoren.
    Emma Krehl, Jahrgang 1999
    Die Vermessung von Zeit und Raum
    Heute Nacht in meinem Traum,
    sah ich eine große Welt.
    Ohne Zeit und ohne Raum,
    Wo das Leben ewig hält.
    Dunkel wechselte mit Hell,
    Namen kannte beides nicht,
    Nie zu langsam nie zu schnell,
    Beides teilte sich gerecht,
    eine ganze Lebenszeit,
    die da schlicht unendlich schien.
    War sie doch einmal vorbei,
    hatte man genug gesehen,
    Denn das Land war riesengroß
    Niemand schaffte jemals ganz,
    sich komplett dort umzusehen.
    Dann kam man auf die Idee,
    sinnlos sei dieses System,
    sinnlos dieser ewige Rhythmus
    der willenlos im Raume hing,
    Dunkel, hell, und wiederholt,
    bis man dann ins grabe ging.
    Drum erfand man schnell die Zeiten,
    nannten beides Nacht und Tag,
    nun eine getrennte weite
    war der der Rhythmus halb so lang.
    Erst war man damit zufrieden,
    dann wollt man genauer sein,
    Nacht und Tag sind nicht genug,
    auch die Fläche sollte man teiln.
    Unbemerkt von den Bewohnern
    schlug etwas die Augen auf
    wachte auf aus seinem Traume,
    wachte auf zu einem Raub.
    Richtet bald den Blick auf etwas,
    das sich zu verschlingen lohnt,
    von den Menschen selbst erschaffen
    was sie zu vernichten droht.
    Niemand merkte unterdessen
    als man über Karten saß,
    Das das Etwas die Länder schluckte
    und dabei die Zeit auffraß
    einst schien alles hier unendlich
    nun wurds langsam viel zu klein
    alles drängt sich aneinander
    Zeit schien knapp bemessen zu sein.
    Die Welt war nur noch ein paar Meter
    kein Platz mehr für Leben da,
    jeder Tag ein paar Sekunden,
    jede Nacht genau so lang,
    Nachdem mich dann am frühem Morgen
    Klingeln aus dem Schlafe riss,
    blickte ich zu meinem Globus
    und wusste gleich
    der Traum hat recht.
    Mia Bons, Jahrgang 2001
    zeit der zeiten
    augenblicke
    jetzt - hier
    rauschhaft - zäh
    wünschte ich doch manchmal
    ich könnte die zeit einfrieren
    gleichermaßen wie ich mir oft
    wünschte sie vor mir her zu jagen
    kausalitäten - in -
    vergangenheit
    gegenwart
    zukunft
    illusionen
    ich messe die zeit mit einer uhr
    ich messe den raum in metern
    wie viele meter in welcher zeit
    augenblicke
    schlafend - wach
    gestern ist heute
    heute ist morgen vergangenheit
    erinnern - hoffen - leiden - lieben
    alles hat seine zeit
    zeitgeschwängert trage ich träume in mir
    gedanken meiner ahnen schlummern in
    meinem gehirn - aus einer zeit
    weit vor meiner zeit - durchschritten sie
    den raum - in einer anderen zeit -
    schon zerfallen zu staub
    werfen sie noch schatten auf meine seele
    vergangenheit - gegenwart - zukunft
    ich stelle mich meiner zeit
    Lara-Sophie Cronhardt-Lück-Giessen, Jahrgang 2000
    Und hier ein Beitrag "außer Konkurrenz":
    (Jeder Teilnehmer kann maximal zweimal Leitmotivrundengewinner werden. Weitere eingesandte Gedichte werden trotzdem von der Jury bewertet. Sollte ein Gedicht nach Punkten unter den besten sein, wird es "außer Konkurrenz" veröffentlicht.)
    Die Vermessung der Welt
    Das einst mal unbekannte Land,
    mit seinen Tieren, Pflanzen,
    verkümmert unter Menschenhand,
    verkümmert nun im Ganzen.
    Denn der Mensch fraß, durch diese Welt,
    sich wie ein Ungeheuer,
    und was er nicht für wichtig hält,
    zerstört er schnell mit Feuer.
    Vermessen ist die ganze Welt,
    er glaubt sie ganz zu kennen,
    Wälder holzt er zu Gold und Geld
    und Staub, wenn sie verbrennen.
    Und was man einst von oben sah
    vom schneebedeckten Gipfel,
    ist heute, wachsend Jahr für Jahr,
    Müllriesensmützenzipfel.
    Und Meere, die einst hell und blau,
    zur Überfahrt geladen,
    sind dreckig, giftig, schmutzig, grau,
    Schadstoffe in Milliarden.
    Wo man einst Inseln neu entdeckt,
    Müllstrudel sich erheben,
    und jedes Tier zählt, das verreckt,
    weil sie so kurz nur leben.
    O schöne Welt! Wie siehst du nur
    aus, weil, die die dich vermaßen,
    bei Geld und Gier und Inventur,
    dein eignes Wohl vergaßen.
    Jetzt wissen wir, die Welt ist rund,
    sie ist wohl keine Scheibe,
    doch ist sie nicht mehr sehr gesund
    sie- unsre einzge Bleibe.
    Denn was helfen uns Daten noch,
    was hilft es, zu vermessen,
    wenn wir bei allem eben doch,
    die Erde selbst vergessen.
    Wenn stirbt, was wir lokalisiert,
    verendet, was wir maßen,
    wir wenn sie tabellarisiert,
    Todesanzeigen lasen.
    Messt, wenn ihr wollt, doch habt gut acht,
    dass ihr sie nicht zerstört,
    die Welt zu schützen, ihre Pracht,
    weil sie nicht euch gehört!
    P.s: Was habt ihr von den Zahlen,
    wenn es viel wichtigeres gibt!
    Von der Welt, mit all ihren Freuden und Qualen,
    hat man nur etwas, wenn man sie liebt.
    Magdalena Wejwer, Jahrgang 1997