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Die Märkte als Männergesellschaft

Shakespeares "Kaufmann von Venedig" aus dem Jahr 1600 war die Vorlage von Albert Ostermaiers neuem Stück, einer Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Hamburg. Es geht um Geld, Liebe und - Kapitalismuskritik.

Von Michael Laages | 18.09.2012
    Wer den Klassiker Brecht befragt, bekommt zumindest eine klare Antwort. "Können wir den Shakespeare bearbeiten?", fragt der rhetorisch sich selbst, als er gerade selber an der Neudeutung so eines klassischen Stoffes arbeitete; und er antwortete sich selber: "Ja – wenn wir den Shakespeare bearbeiten KÖNNEN!" Nicht nach Legitimität sei zu fragen, sondern nach Qualität; nicht um Erlaubnis müsse gebeten, sondern der Kern müsse gezeigt werden, der der Gegenwart aus einem klassischen Text entgegenblitzt, wenn die Verpackungen der Jahrhunderte weggeräumt sind. So betrachtet, hat der ehedem vor allem als Lyriker und später auch als Dramatiker erfolgreiche Albert Ostermaier ein starkes Stück Zeitgenossenschaft erarbeitet mit "Ein Pfund Fleisch", der eigenen aktuellen Version zu Shakespeares "Kaufmann von Venedig".

    Alle Ablenkungen des Stückes hat er weggesäbelt: all das Liebesgetändel um die reiche Erbin Porzia, die hier mutierte zur androgynen Inkarnation eines ganz modernen Marktmitspielers im Wirtschaftsgeflecht, der vor allem die Bullen und Bären von gestern und vorgestern, Kaufleute und Spekulanten wie Antonio und Shylock, von der Spielfläche geräumt wissen will und stattdessen einen weltumspannend internet-gestützten Werte-Austausch unter Umgehung aller Banken propagiert. Und eine Porzia, wie sie früher war, wird bei Ostermaier auch nicht mehr benötigt - bekanntlich spricht sie ja schlussendlich menschlich Recht und bewahrt den Christen Antonio vor der grausigen Einlösung jenes Schuldscheins, der dem Juden Shylock "ein Pfund Fleisch" aus Antonios Körper zumaß.

    Porzias in üblichen Aufführungen immer etwas albern wirkende Spitzfindigkeit - dass zum einen dabei kein Blut vergossen werden und zum anderen kein Hundertstel eines Gramms mehr oder weniger geschnitten werden dürfe - ist ja derart selbstverständlich, dass darauf auch Antonio selber kommen kann, wenn er halbwegs bei Sinnen ist. Und so geschieht’s denn auch in Hamburg. Nach dieser rettenden Erkenntnis allerdings ersticht sich Antonio bei Ostermaier selber und zieht so den wirtschaftlichen Partner Shylock mit in den Abgrund der "old economy".

    All das hat mit Shakespeare nicht mehr viel zu tun, ist aber einigermaßen stimmig und ziemlich interessant, selbst in der eher flauen, holzschnittartigen, irgendwie nicht zu Ende gearbeitet wirkenden Inszenierung von Dominique Schnizer, der nicht mal in Dominique Horwitz als Shylock einen wirklich starken Protagonisten hat; vom Rest des desolaten Schauspielhaus-Ensembles ganz zu schweigen.

    Alles also halbwegs in Ordnung? Nur, was Ostermaiers Umgang mit der Dramaturgie des Stückes betrifft – er "kann den Shakespeare bearbeiten", mit Brecht; so viel hat er bewiesen. Die große These aber über die aktuelle Welt- und Wirtschaftshaltigkeit des Textes kann Ostermaier nicht belegen; unter anderem deshalb, weil er sich mit einer Handvoll von Klischees in weithin stark überreizter Theatersprache selber im Wege steht.

    Wie unendlich langweilig etwa ist es, wieder mal von der "Männergesellschaft" an den Börsen erzählt zu bekommen – da kommt Sehnsucht auf nach der "Männergesellschaft", wie sie der viel klügere, analytische Edward Bond beschrieb. Bei Ostermaier (und in den Auftritten der zum Jung-Börsianer mutierten Hamburger Ex-Porzia) wird Männer-Macht wieder mal brachial-psychologisch auf sexuell grundierte Hahnenkämpfe reduziert – und das ist vor allem deshalb so armselig, weil ja Shakespeares "Kaufmann" am Rande auch die Geschichte einer sehr traurigen Alter-Mann-liebt-jungen-Mann-Liebe erzählt; auch von der bleibt bei Ostermaier nichts als spekulative Banalität. In der Konzentration auf den Kern der Geschäfte, einst am Rialto, jetzt an der Wall Street, war und ist Elfriede Jelinek einfach viel weiter gekommen – mit den "Kontrakten des Kaufmanns".

    Und wenn schon auf der Rückwand der an sich leeren Bühne (in die herab nur ein halbes Gummi-Schwein als Punching-Ball baumelt) schummrig-verschwommene Videos Bilder vom "Occupy"-Aufruhr oder sonst welchen Demos mit Steinwerfern und Feuerlegern heraufbeschwören, wird schließlich ein letztes Defizit unübersehbar: Warum denn ist diese Ebene von Widerstand und Alternative immer nur Hintergrund, nie Kern der theatralischen Bemühung selber? Aufstand, Revolte, Widerstand: Wer zeigt das? Dafür gibt’s bislang nur ein Beispiel: jenes "Bankenstück" über den Niedergang des Berliner Finanzsystems zu Beginn des Jahrtausends, das ausgerechnet Lutz Hübner schrieb, sonst bekannt für eher weniger spektakuläre "well made plays".

    Da ist also noch mehr drin.