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Die Nacht vor der Geburt des ersten Kindes

Der Roman ist ein Erstling und er ist eine schöne Überraschung. Keine kurzen Aussagesätze, keine Großstadtgeschichten, keine Helden um die 30: All die Requisiten, die junge deutsche Autoren in den vergangenen Jahren besonders gerne aus ihrem literarischen Köfferchen hervor holten, fehlen. Vielleicht lieg es daran, dass Sabine Schiffner keine der einschlägigen Literaturschmieden besucht hat, ihre Prosa ist gewachsen auf einem Humus aus Gedichten.

Von Elke Biesel |
    " Ich habe Jahre lang nur Gedichte geschrieben und hab mich immer als Dichterin gefühlt, hab auch privat immer nur Gedichte gelesen. Viele Leute fanden das seltsam, aber das war einfach das, was mich am meisten interessiert, am meisten bewegt hat."

    Dann kam über den Umweg des Hörspiels der Sprung zur langen Form, wobei allerdings eine Art "Kreuzreaktion" statt gefunden habe, sagt Schiffner. Gedicht und Prosa hätten sich gegenseitig beeinflusst, seien einander

    Spielwiese geworden. Heraus gekommen ist ein Erzählton mit langem Atem. An manchen Stellen vielleicht zu sehr ins Detail verliebt, aber dem Thema des Romans durchaus angemessen. Denn mit "Kindbettfieber" wagt die 1965 geborene Autorin gleich den großen Bogen. In ihrem Roman findet das gesamte 20. Jahrhundert Platz - von 1911 bis in die 80er Jahre - gespiegelt an der Geschichte von vier Frauen einer Bremischen Familie. Schiffner verbindet sie durch ein gemeinsames Erleben und Leiden - das Kindbettfieber.

    " Der Roman heißt Kindbettfieber, aber eigentlich müsste er heißen: die Nacht vor der Geburt des ersten Kindes. Was da passiert, das ist eigentlich das wesentliche Moment im Roman. Wenn ich nicht auch im Kindbett gelegen hätte und diese Zeit als sehr intensiv erlebt hätte, dann hätte ich den Roman so nicht geschrieben."

    Die Traumschwere Nacht vor der ersten Geburt und die wahnhaften Tage danach sind die Fixpunkte, die den Roman gliedern. Das Kindbettfieber steht für ein gemeinsames Erbe der Frauen; das Thema bietet der Autorin aber auch die Möglichkeit, die historische Entwicklung aufzublättern und das wechselnde Geflecht von Spannungen, in dem die jeweilige Generation lebt. Eine umfangreiche Archiv-Recherche war deshalb unerlässlich .

    " Das Buch ist auch nur entstanden, konnte nur entstehen, weil ich vorher schon Interviews fürs Radio mit älteren Leuten geführt habe und die Zeiten, Geschichten, die in der Vergangenheit spielen, so von alten Leuten erzählt bekommen habe. Sicher als ich es aufschrieb, hat meine Fantasie dann auch eine Rolle gespielt, aber um es dann wieder historisch korrekt zu kriegen, musste ich recherchieren und es berichtigen und dann hat es oft eine ganz andere Richtung genommen als ich ursprünglich gewollt habe."

    Auch in ihrer Familie, sagt Sabine Schiffner, hat sie die Rolle der Chronistin übernommen. Hat das Erbe des Großvaters angetreten, der bei jedem Familientreffen aus seinem schier unerschöpflichen Fundus Geschichten aus ihrer Heimatstadt Bremen erzählte. Ihre Geschwister haben sich dafür nicht interessiert, sie aber war fasziniert und begeistert.

    Und deshalb ist der Ort der Handlung - Bremen - mindestens genau so wichtig wie die Figuren, die Sabine Schiffner für den Roman entworfen hat. Die Hansestadt bietet nicht nur das Lokalkolorit wuchert nicht nur mit ihrer spezifischen Meeres-Fauna und Flora durch den Roman, sie formt auch den Charakter der Menschen, ihr Lebensgefühl - im positiven wie im negativen.

    " Das hätte ich so nicht schreiben können, wenn ich nicht hier in Köln leben würde. Hier gibt es so etwas überhaupt nicht, erlebe ich das nicht, dieses strenge Geflecht aus Regeln, Traditionen, Sitten, was in Bremen sehr, sehr stark ist, vielleicht auch durch die isolierte Situation der Stadt im Norden. Und es ist heute noch so. Die positiven Seiten sind, es schafft Identifikation, man fühlt sich aufgehoben, ist in einem Zusammenhang ... Der Nachteil und das ist dann vielleicht das kritische Element, was dabei heraus kommt, ist, dass man nicht über gewisse Grenzen hinaus darf, dass man sich in den Rahmen schicken muss und sollte. "

    Das tun die Frauen im Roman, sie schicken sich, übernehmen die Rolle derjenigen, die die Familie zusammenhält und dazu auch mal auf eigenes Glück verzichtet. Erst in der dritten Generation werden die Widerstände und damit aber auch die Albträume stärker. Und erst in der letzten Generation erhält die Tradition einen endgültigen Bruch. Sigune, Mitte der 60er Jahre geboren, unterbindet ihre Schwangerschaft und löst damit auch den Fluch, den einst ein Urahn über die Frauen ihrer Familie aussprach.

    Der war ein angesehener Apotheker, ein Mann mit bremischen Augen , "ganz hell, wie der Himmel über der See in seinen lichtesten Momenten". Nachdem er seine Ehe mit einer jungen Dienstmagd gebrochen hat, verschwindet er ins Ungewisse und hinterlässt seiner Frau den Fluch, den die Autorin als märchenhaftes Motiv einsetzt .

    " Mich interessiert schon immer auch etwas Unbewusstes, Seltsames, Lauerndes. Ich habe jetzt die Form dieses Zettels gewählt, auf dem er den Fluch niedergeschrieben hat, der ja ein biblischer Fluch ist, so wie Eva und Adam auch verflucht wurden. Dieser biblische Zorn, dass an nicht vergibt und nicht verzeiht, das ist etwas, was in Familien sehr stark ausgeprägt sein kann, was häufig vorkommt."

    Überrascht hat Sabine Schiffner, dass ihr Roman, für den sie bereits den Preis der Jürgen Ponto Stiftung bekommen hat, von einigen Leserinnen als "Buch für Frauen" wahrgenommen worden ist. Beim Schreiben habe diese Frage für sie keine Rolle gespielt. Bekommen Männer selbst bei der literarischen Bearbeitung des Themas Schwangerschaft spitze Finger?

    " Man interessiert sich ja auch für die Dinge, die das Spezielle der Männer ausmachen und das ist ja eher dominant in unserer Literaturerfahrung. Also das war vielleicht die einzige Absicht, auch weibliche Themen da hinein zu nehmen, die ja so oft in der "hohen Literatur" nicht vorkommen. ... Und da meine persönliche Warte, die eben eine explizit weibliche ist, auch zu vertreten und eine literarische Form dafür zu finden."

    In der Bremischen Genealogie hat Sabine Schiffner eher einen männlichen Part übernommen. Wie die Kaufmannssöhne ihrer Vorfahren ist sie in die Fremde gegangen und studiert aus der Ferne die historischen Topoi ihrer Heimatstadt.

    " Meine Familie, alle meine Vorfahren kamen immer von da. Ich bin die einzige, die weg gegangen ist, die seit 20 Jahren in der Fremde lebt sozusagen. Die für mich immer eine Fremde geblieben ist. Immer, immer hatte ich die Sehnsucht nach der Heimat, immer wenn ich an Bremen gedacht habe, hat es mir schier das Herz zerrissen."

    Sie ist aber nicht zurück gegangen, sondern hat ihre Sehnsucht als kreativen Motor genutzt. Schon in ihrem ersten Hörspiel "Seenebel" spielt der Norden eine Rolle.

    Ihr zweiter Roman ist schon nahezu fertig, denn Sabine Schiffner hatte schon vor der Veröffentlichung von "Kindbettfieber" damit begonnen. Es gab einen Punkt, da hat sie sich gesagt, auch wenn Du noch 50 Jahre für die Schublade schreiben solltest, Du machst einfach weiter, denn Schreiben ist das Wichtigste.

    "Kindbettfieber" bestätigt im Nachhinein ihre Hartnäckigkeit und gibt all den Lesern, die Nebensätze nicht für überflüssig halten und sorgfältig erzählte Geschichten schätzen einen guten Anlass, neugierig zu sein auf die weitere Prosa von Sabine Schiffner.

    Sabine Schiffner. Kindbettfieber.
    S. Fischer Verlag. 334 Seiten, 18,90 Euro