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Die neuen Voortrekker

Südafrikas Buren fühlen sich nicht wohl im neuen Südafrika. Sie würden ausgegrenzt von den Schwarzen, klagen die früheren Nutznießer der Apartheid. Einige Buren haben deswegen die Siedlung Orania errichtet, in der nur Weiße leben dürfen.

Von Thomas Kruchem | 19.09.2009
    Von der Sehnsucht des burischen Guerillero nach seinem Mädchen erzählt das alte Lied, von seiner Flucht an den Orange River, von seiner Angst, doch noch in eins der gefürchteten Konzentrationslager der "Khakis", der Briten, zu geraten.

    Heute, 110 Jahre nach dem sogenannten Burenkrieg, den die Buren verloren und anderthalb Jahrzehnte nach dem Ende ihres Regimes der Rassentrennung, der Apartheid - heute läuft das alte Lied in einem kleinen Restaurant; gemütlich eingerichtet mit antikem Mobiliar, Skulpturen und Holzschnitten burischer Künstler.

    Und bei einem Glas Wein erzählt der pensionierte Archäologe Manie Opperman vom Gefühl heutiger Buren, missachtet, verfolgt und heimatlos zu sein im neuen, von Schwarzen regierten Südafrika. Einige 100 Buren oder "Afrikaaner", wie sie sich selbst nennen, haben Zuflucht gefunden hier, in Orania, einem Städtchen am Orange River, mitten in der Karoo-Wüste. Hier besaß vor langer Zeit ein gewisser Stefanus Vermeulen eine Farm.

    "Dieser Vermeulen kaufte die Farm 1882. Auf einer Felsinschrift hielt er das Kaufdokument fest, einschließlich des Preises für die Farm; und alle zehn Jahre kam er, um in den Felsblock zu ritzen: 'Ich bin immer noch hier.' Bis 1925. Da notierte er: 'Ich bin immer noch jung.' Kurz darauf ritzte seine Enkelin in den Stein: "Oupa dead" und das Datum seines Todes."

    Später stand hier eine Siedlung für schwarze Arbeiter, die nahebei den Van-der-Kloof-Staudamm bauten. Opperman zeigt Bilder trostloser Hütten in baumloser Steppe. 1989 schließlich kauften einige Buren das abgelegene Anwesen, nannten es Orania und schufen sich hier ihre ganz eigene Idylle - nur für Weiße.

    Mittlerweile leben 700 Buren in der Parklandschaft von Orania: Schreiner, Maurer, eine Juwelierin, ein Steuerberater und Bauern wie der 31-jährige Stefanus de Klerk, der draußen auf dem Feld an seinen Wasserrohren werkelt. De Klerk baut Mais, Weizen und Luzernen an, obwohl dafür viel Wasser aus dem Fluss herangepumpt werden muss. Viel verdunstet, viel versickert, für ein Kilo Weizen braucht es an die 1000 Liter Wasser. Einige Nachbarn de Klerks ahnen, dass das nicht mehr lange so weitergeht. Sie setzen deshalb auf hochwertige Produkte wie Oliven und Pekannüsse, die sie sparsam mit Mikrosprinklern oder Untergrundbewässerung versorgen. Das sei für ihn zu teuer, zu viel Arbeit, zu riskant - meint der schüchtern wirkende Bauer Stefanus de Klerk, der die Weite der Landschaft hier liebt, die die Koi "Karoo" tauften: "steinige Fläche".

    "In dieser Gegend leben nicht so viele Menschen. Das Klima ist großartig. Die Nächte sind klar. Es ist ruhig. Wir haben keinen Smog hier wie in den großen Städten. Und der Duft der Büsche ist 'lekker', wunderbar. Ich liebe die Karoo. Ich würde niemals in eine Großstadt oder eine andere Gegend ziehen. Ach, es gibt so viele Pflanzen hier - den Khanabosh zum Beispiel, auf den die Schafe so versessen sind und von denen sie richtig schön fett werden. Und es braucht auch nicht viel Regen, damit die Büsche wachsen. Ein wenig Regen und alles wird grün. Es ist einfach wunderschön hier."

    Stefanus de Klerk schickt seine Kinder in die Volksschule von Orania. Er geht jeden Sonntag in die Kirche. Er fühlt sich hier zuhause, sagt er.

    "Jeder braucht einen Ort, wo er seiner Kultur entsprechend leben kann. Wir, zum Beispiel, glauben an Gott. Alles, was wir tun, tun wir in seinem Namen. Ich wüsste nicht, wie wir sonst all das schaffen könnten, was wir hier tun."

    Im schmucken Restaurant Oranias wirkt Manie Opperman, ein pensionierter Archäologe, nachdenklicher als der Bauer de Klerk, ein wenig bitter sogar. Opperman stört sich daran, dass in manchen Lebensbereichen heute Opfer der Apartheid bevorzugt werden - damit auch sie eine Chance haben, sozial aufzusteigen.

    "Der Afrikaaner fühlt sich derzeit wie ein Verstoßener im eigenen Lande. Er gehört nirgendwo hin. Er hat kein geistiges Zuhause. Es heißt zwar, wir alle seien Teil einer Regenbogennation, tatsächlich aber ist diese Regenbogennation schwarz. Wir leben nicht in einer multirassischen, sondern einer schwarzen Gesellschaft mit ein paar Weißen. Und die Regierung interpretiert die Verfassung entsprechend. Sie fällt rassistische Entscheidungen, was auch andere Minderheiten zu spüren bekommen, wie die Mischlinge."

    Südafrikas Regierung bevorzuge die Schwarzen bei der Vergabe von Jobs, sagt Opperman. Sie tilge afrikaanse Kultur, Sprache und Geschichte aus den Schulbüchern. Deshalb wollten die Afrikaaner in Orania für sich leben, sagt er - mit ihrem Traum von einem irgendwann wieder großen burischen Gemeinwesen, für das dies kleine Städtchen die Keimzelle sei. Ein Städtchen mit zwei Schulen nur für weiße Kinder, einer Radiostation und sogar einer eigenen Währung. Die Bürger Oranias befolgten alle Gesetze, sagt der alte Mann immer wieder. Sie hätten Kontakt auch zu schwarzen Kommunen, wollten sich aber nicht entfremden lassen von ihrer Identität als Volksgemeinschaft, sondern ungestört ihre Kultur pflegen und ihre Geschichte. Ein Rückzug der früher Mächtigen in den Schmollwinkel - so wirkt es ein wenig, wo sie dann auch "De la Rey" auflegen - jenen 2005 herausgekommenen Song des Liedermachers Bok van Blerk, der den tragisch gescheiterten Versuch der Buren, sich als Nation zu etablieren, glorifiziert. Ein Lied um den Buren-General de la Rey, in dem es heißt:

    Wir liegen im Dunkeln und waten in Schlamm und Blut. Aber das Feuer brennt tief in uns. De la Rey, kannst Du kommen und die Buren führen? General, General, wir werden hinter Dir stehen wie ein Mann. Eine Handvoll Buren mit dem Rücken zur Wand wird den Khakis trotzen, die unsere Frauen und Kinder im Konzentrationslager ermorden. De la Rey, kannst Du kommen und die Buren führen. General, General.