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"Die politischste Jahrestagung"

Informatik.- Der Wissenschaftsjournalist Peter Welchering war für den Deutschlandfunk auf der Jahrestagung der Informatiker in Leipzig. Im Interview mit Manfred Kloiber berichtet er über die diesjährigen Erkenntnisse.

02.10.2010
    Manfred Kloiber: Also durchaus Aufbruchstimmung auf der 40. Jahrestagung der GI, die auch unser Berichterstatter vor Ort dort festgestellt hat. Und das machte sich dann auch in den ganzen Diskussionen bemerkbar: Über die Informatik als Service Science wurde gestritten. Worum ging es da, Peter Welchering?

    Peter Welchering: Wenn man es ein wenig vereinfacht, im Wesentlichen darum, dass eben Informationstechnologien, sehr vielfältige, sehr komplexe Dienstleistungsangebote ermöglichen. Und dann muss man sich darüber verständigen: Wie wollen wir die Bedeutung dieser Dienstleistungsangebote einsortieren, und zwar, was das Selbstverständnis der Informatik als wissenschaftliche Disziplin angeht? Natürlich kann Informatik einfach dann reduziert werden auf Dienstleistungswissenschaft beispielsweise. Das wurde in Leipzig dann auch vorgestellt, etwa mit verschiedenen Anwendungen wie einer Fußgängeranalyse zur Simulation von Personenverhalten auf Großveranstaltungen oder zur Patienenüberwachung oder bei Sicherheitssystemen. Aber Informatiker wie Professor Ernst Denert haben auch darauf hingewiesen, dass deshalb die Informatik eben nicht als reine Dienstleistungsdisziplin betrachtet werden dürfe. Denert sieht Informatiker viel mehr als Investitionsgüterhersteller, weil Softwaresysteme oder komplexe informationstechnische Systeme eben Investitionsgüter seien. Und im zweiten Schritt geht es damit eben um investitionsgüternahe Dienstleistungen. Professor Klaus-Peter Fähnrich sieht die Informatik hingegen stärker auch als Bestandteil der Dienstleistungsforschung. Das sind beispielsweise die Pole, die in Leipzig diskutiert wurden. Und je stärker der Dienstleistungsaspekt der Informatik betont wird, desto stärker wird auch ihre Öffnung für andere Forschungsfelder betont.

    Kloiber: Muss man das als eine Art Gegentrend zum Informatiker als reinen Software- oder IT-Ingenieur verstehen?

    Welchering: Teilweise ist da genau dieser Gegentrend erkennbar. Allerdings will niemand weg vom Berufsbild etwa des Softwareingenieurs oder vom Berufsbild des IT-Ingenieurs mit den entsprechenden zugrunde liegenden Standards, die da ja auch realisiert werden. Denn diese Standards haben die Informatik ja erheblich nach vorne gebracht. Aber der enge Blick auf die Technik des sich unpolitisch gebenden, weit weg von gesellschaftlichen Diskussionen stehenden Ingenieurs, wird zunehmend in der Informatik und von den Informatikern aufgegeben.

    Kloiber: Und wie hat sich das auf die Tagung ausgewirkt?

    Welchering: Es ist sicherlich gar nicht übertrieben, wenn man sagt, dass dies die politischste Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik in ihrer 40-jährigen Tagungsgeschichte war. Und das hat sich auf das Programm ausgewirkt zum einen. Wissenschaftsgeschichte spielt da eine Rolle, Technikgeschichte auch. Das war auch in den einzelnen Workshops in der Diskussion selbst sehr deutlich. Viel stärker als in all den Vorjahren wurde dort über die gesellschaftlichen Konsequenzen von Informationstechnologie mitdiskutiert, die wurden mitbedacht. Und dabei wurde auch bemängelt, dass die Stimme der Fachleute für Informationstechnologie, der Informatiker nämlich, in den aktuellen politischen Diskussionen über Themen wie etwa Cyberkrieg, Computervirus Stuxnet, elektronischer Personalausweis, Google Streetview oder ELENA – dass diese Stimmen der Informatiker viel zu wenig gehört und wahrgenommen werden. Dass sich die Informatik als Fachdisziplin dann stärker in diese Diskussion einbringen muss, ist inzwischen Konsens der Informatiker und das ist sicherlich einer der wichtigsten Erträge dieser Jahrestagung.

    Kloiber: Wie stark versuchen denn die Informatiker, da den Dialog mit anderen Disziplinen zu suchen?

    Welchering: Das tun sie stärker als je zuvor und das tun sie breiter als je zuvor. Denn sie wenden sich jetzt nicht mehr nur den Disziplinen zu, denen die Informatik dann auch in der Tat Dienstleistungen erbringen kann oder erbracht hat, wie etwa mit den Lebenswissenschaften, wie etwa mit der Physik oder Medizin oder mit der Ökonomie. Hier sind ja auch längst schon Teildisziplinen der Informatik etabliert. Nein, GI-Präsident Stefan Jähnichen hat eine stärkere Begleitforschung bei Informatikprojekten gefordert, wie etwa der Verknüpfung von Softwaredienstleistung über das Web, das müsste dann auch eben auf diese Weise begleitet werden, mit den Auswirkungen. Gleichzeitig wächst aber auch das Interesse an der Wissenschafts- und Technikgeschichte der Informatik. Der Workshop über Konrad Zuse und seine Visionen von Kontrollnetzen und rechnenden Räumen und wie das Ganze bezogen war auf das Deutschland der Jahre 1936 bis '45, das war sicherlich so eine Art Leuchtturm auf dieser Jahrestagung. Denn hier ist eine selbstkritische Reflexion von Informatik mit ihren Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse erfolgt, hinter die die künftigen Jahrestagungen nicht mehr so einfach zurückfallen können. Und das heißt dann auch, dass eine ganz neue Rolle für die serviceorientierten Architekturen mitdiskutiert wurde. Es geht nicht mehr so sehr um diese serviceorientierten Architekturen als Einzelkonzept – die sind nicht so erfolgreich gewesen – es geht darum, sie einzubringen in diesen ganz breiten Diskurs und damit dann auch in einen Zusammenhang zu stellen.

    Kloiber: Peter Welchering berichtete von der Jahrestagung der Gesellschaft für Informatik, diese Woche in Leipzig. Vielen Dank.