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Die rote Oase

Timimoun ist eine Oase in der Wüste. Die Stadt ist von Palmengärten umgeben, die in dieser Region mit einem einzigartigen System bewässert werden. So entsteht eine ganz besondere Landschaft.

Von Martina Zimmermann |
    Ein roter Bogen empfängt die Besucher: Das Stadttor von Timimoun. Seine Türmchen tragen weiße Spitzen. Die Farben rot und weiß bestimmen die Architektur der ganzen Stadt. Sie wurde aus dem ockerroten Lehm der Wüstenregion gebaut. Die schmucken roten Häuser haben weiße Bordüren. Die Mauern werden von pyramidenförmigen Pfählen durchbrochen, und sogar im Kreisverkehr auf der breiten, mit Palmen gesäumten Hauptstraße steht eine pyramidenförmige weiße Kuppel. Das ist der sogenannte sudanesische Stil, wie es ihn auch südlich der Sahara in Timbuktu im heutigen Mali gibt oder in Agadez in Niger. Führer Mohamed Bourad erklärt, dass die Kultur aus Schwarzafrika in diesem Teil Algeriens prägend ist.

    "In der Sahara vermischten sich während der früheren Königreiche die Völker aus Afrika. Es gab Karawanenpisten, auf denen Gold, Salz und andere Wertobjekte transportiert wurden. Und die Sklaven aus den Sahelländern brachten der Sahara ihre Lebensart, ihre Architektur, ihre Mode und ihre Feste."

    Die Sklaverei sei eine schmerzhafte Geschichte, aber sie bewirke, dass Afrika heute zur Geschichte Algeriens gehöre, meint Mohamed Bouara. Er selbst ist mit einer schwarzen Algerierin verheiratet.

    Spuren der sagenumwobenen Stadt Timbuktu finden sich immer wieder in dieser Region, die Gourara heißt. Zum Beispiel in der Zaouia: In dieser Koranschule werden 90 Schüler zwischen acht und 24 Jahren unterrichtet. Der Begründer soll ein Schüler einer muslimischen Bruderschaft von Timbuktu gewesen sein – im Mittelalter! Hunderte von Schülern haben in dieser Zaouia Sozialwissenschaft, Mathematik und Religion gelernt, erklärt der Direktor Abdelhamid Bekri: Seit dem 17. Jahrhundert werde hier unterrichtet. Die Schüler kommen von weit her, heute seien Malier aus Timbuktu unter seinen Schülern. Sie hätten dieselbe Religion, dieselbe Kultur.

    Stolz zeigt der Schuldirektor die Manuskripte in Regalen hinter Glas: Das älteste stamme aus dem 10. Jahrhundert, das jüngste von 1943. In Schulen, Bibliotheken und Museen der gesamten Region gibt es 3000 solcher alten arabischen Manuskripte.

    Timimoun ist eine Oase in der Wüste, zwischen der Hochebene Tademaït und dem berühmten Sandmeer im Westlichen Grossen Erg. Die Stadt ist von Palmengärten umgeben, die in dieser Region mit einem einzigartigen traditionellen System bewässert werden: den Foggara. Diese Kanäle leiten Grundwasser aus den nahe gelegenen Bergen unterirdisch in die Oasen. Dort wird das Wasser in sichtbaren kleinen Kanälen im Gefälle an die verschiedenen Zielorte geleitet. Führer Mohamed Bouara erklärt:

    "Die Wasserzuflüsse aus drei Kanälen verteilen das Wasser, das im Haus gebraucht wird zum Trinken, und das Wasser für die Gärten. Es wird an jeden Garten geleitet, je nach Anzahl der Palmen und der Anzahl der Menschen, die dort leben. Die Gemeinschaft gibt auch immer Wasser für Waisen und Witwen. Das System wird kollektiv verwaltet, damit jeder leben kann."

    Dieses System stammt aus dem 11. Jahrhundert. Früher gab es 1400 Kilometer dieser linearen "Flüsschen", heute nur noch 800 Kilometer, die traditionell funktionieren.

    Auf dem Markt von Timimoun gibt es alles: Sonnenbrillen, Parfum, Möhren, Tomaten, Kartoffeln, Bohnen. Im Schatten der Arkaden legt ein alter Mann seine Ware aus, er hat einen sogenannten Cheche auf dem Kopf, einen Beduinenschal. Die Leute sitzen auf Matten auf dem Boden und schwatzen miteinander. Dieser Markt ist nicht herausgeputzt, sondern authentisch. Ein Schubkarren quietscht. Ein Moped knattert durch die Strasse, ein Schaf mäht auf einer Lastwagenladefläche. In der Markthalle wird Salat angeboten: Die Farbe der Salatköpfe ist knackig grün. Der Bauer Abderahmane Ouazouz erklärt stolz:

    "Das ist eine Frage des Bodens! Der Boden hier ist nicht wie im Norden. Das Wasser ist nicht das gleiche und auch nicht das Klima. Wie soll ich es erklären? Im Norden wächst kein solcher Salat, da ist es kalt, hier ist es warm. Wir pflanzen die Saat und die Wurzeln werden sehr groß. Hier ist der Salat am besten."

    Die Einheimischen nutzen die umliegenden gelb- und ockerfarbenen Dünen für Ausflüge mit Kamelen, zum Sandskifahren oder auch, um mit dem Jeep durch die Sandberge zu rasen, die in der untergehenden Sonne in tollen Farben glühen. Die Salzburgerin Wilhelmine Hillebrand kommt zweimal im Jahr nach Algerien.

    "Die schönste Sahara bleibt immer noch Algerien. Die Landschaft, die ganz andere Mentalität und das ganz andere Leben, die Weite, die Stille, vor allem das andere Leben hier. Zum Großteil auch das Gelände fahren. Das spielt auch eine Rolle, ich fahre sehr gerne im Gelände, was ja in Europa auch nicht mehr so möglich ist. Es ist ja alles so geregelt und hier kann man viel lockerer leben."

    Zur Wüstenromantik auf algerisch gehören Tanz und Klatschen. Oder Grillen im Schutz einer Düne.