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Die Schadstoff-Fresser

Unser Boden hat viel zu schlucken: ausgelaufene Chemikalien, Mineralöl, Militärmüll aus vergangenen Zeiten oder Schwermetalle aus Hüttenschornsteinen. Mit technischen Mitteln ist den großflächigen Schäden meist kaum beizukommen. Deshalb setzen Wissenschaftler immer häufiger auf die Selbstreinigungskräfte der Natur. Mit Erfolg und zur Zufriedenheit der Aufsichtsbehörden.

Von Jo Schilling | 15.05.2005
    Allerdings sind die meisten Projekte inzwischen aus den Katalogen der Universitäten und Forschungseinrichtungen verschwunden. Das Ziel dieser Forschungsarbeiten war fast immer, hochspezialisierte Mikroorganismen oder Pilze anzuzüchten und in den kontaminierten Boden mit Maschinen einzuarbeiten, damit sie den Giftstoff beseitigen. Besonders chlorhaltige organische Verbindungen sind ein fast schon flächendeckendes Problem. Die Lösung: Im Labor maßgeschneiderte Bakterien. Sie sollten mit zusätzlichen Genen ausgestattet werden, zügig für saubere Böden und Gewässer sorgen. Der Begeisterung ist schnell Ernüchterung gefolgt. Aber das heißt nicht, dass biologische Bodensanierung nicht möglich ist. Sie funktioniert nur anders, als ursprünglich gedacht.

    "Gut, fangen wir mal an, also das sind jetzt die ersten drei Meter......Ich brauch mal ein Werkzeug... (Kramgeräusche)"

    "... Kollegen wo habt ihr den Spachtel gelassen..."

    "Ah...ja wenn du das Ding immer versteckst. "

    Hannover Südstadt. Geibelstraße. Kalter Wind pfeift um die Häuserecken. Die Hannoversche Südstadt ist dicht bebaut. Vorwiegend alte Genossenschaftshäuser aus der Jahrhundertwende mit roten Backsteinfassaden. Trotz breiter Bürgersteige wirken die Straßen eng. Sie sind von alten Bäumen gesäumt und die Gehsteige deckt zum Teil noch Kopfsteinpflaster. An der Ecke Geibelstraße-Jordanstraße stehen zwei Lastwagen Heck an Heck auf der großzügigen Bürgersteigecke. Der linke hat einen hohen Aufbau mit einem kranähnlichen Arm. An dem hängt eine drei Meter lange Bohrschnecke. Sie sieht aus wie eine überdimensionale Holzschraube und das Gewinde ist mit Boden gefüllt. Darunter ein Loch im Pflaster. Der rechte Lastwagen hat auf seiner Ladefläche eine ganze Reihe weiterer solcher – allerdings sauberer – Bohrschnecken und andere lange Gestänge liegen. Dazwischen steht Sven Hoffmann auf einer Klappleiter und kratzt mit seinem Spachtel an der Füllung der Schnecke.

    "Das äußere hier, das ist Boden, der beim Hochziehen verschleppt worden ist. Damit kann ich nichts anfangen, das sieht ja von vorne bis hinten genau gleich aus.
    Wenn ich jetzt den Bohrkern so anschneide, dann kann ich das sehen, wie der Untergrund wirklich aussieht. So."

    Den Geologen vom Niedersächsischen Landesamt für Bodenforschung interessiert der Untergrund in der Südstadt, weil das Grundwasser, das unter den Häuserzeilen entlang fließt, mit Chemikalien verunreinigt ist. Nur 400 Meter Luftlinie vom Bohrplatz entfernt liegt das ehemalige Gelände der Firma Kertess-Chemie. Und Chemikalien, die zum Recycling zurück genommen werden sollten, hat die Firma einfach in den Boden entsorgt.

    Das Gelände der Chemikalienhandlung ist seit etwa 10 Jahren eingekapselt. Um das ganze Gebiet herum wurde eine Dichtwand aus Beton in den Boden gelassen – so tief, dass sie unten auf den undurchlässigen Ton stößt. Das Grundwasser in dieser Wanne wird an die Oberfläche gepumpt und gereinigt. Aber vorher hatten die Schadstoffe viele Jahre lang Zeit sich mit dem Grundwasserstrom unter die Südstadt treiben zu lassen.

    Die Grundwasserexperten sprechen von einer Fahne, weil sich die Schadstoffe, wie eine Fahne im Wind nach der Grundwasserströmung ausrichten. Und obwohl das Grundwasser mit etwa 200 Metern pro Jahr auf die Leine zufließt, bleiben die Chemikalien am Fleck.

    Weshalb das so ist, wollen die Wissenschaftler aus Hannover klären. Ihre Vermutung: Der Boden hat so große Selbstreinigungskräfte, dass er das Gleichgewicht zwischen der Grundwasserströmung und den Chemikalien halten kann. Das sieht dann so aus, als würden die Stoffe sich nicht weiter bewegen. Mit dieser Forschung an der natürlichen Selbstreinigung des Grundwassers, der so genannten "Natural Attenuation" gehören die Hannoveraner zum Forschungsverbund KORA. KORA steht für "kontrollierter natürlicher Rückhalt und Abbau von Schadstoffen bei der Sanierung kontaminierter Grundwässer und Böden."

    "Bei der Fahne haben wir eine Flächenausdehnung von ungefähr 1,3 Kilometern in Ost-West Richtung und ungefähr zwei Kilometer in Nord-Süd Richtung. Das heißt, für die Leute, die sich in Hannover auskennen, haben wir eine Fahnenausbreitung vom Altenbekener Damm im Süden bis ungefähr zum Hauptbahnhof im Norden."

    Und an diesen Teppich kommt niemand heran. Die Stadt ist dicht bebaut, das ganze Grundwasser unter Südstadt abpumpen zu wollen, ist illusorisch. Die Wasserbehörde von Hannover hat es in den 90er Jahren dennoch versucht aber nach fünf Jahren aufgegeben. Das Verfahren ist zu teuer und langwierig, zumal die Schadstoffe sich offenbar nicht bewegen.

    Und dann kommt etwas, was Sven Hoffmann aufmerken lässt: Eine klebrige Schicht, dichter als der krümelige Sand.

    "Es ist ja nicht viel, es sind ja nur 20 Zentimeter die wir hier haben, aber offensichtlich spielen diese kleinräumigen Änderungen im Sediment doch eine größere Rolle bei den Abbauprozessen und natürlich auch bei der Grundwasserdynamik und Grundwasserchemie, als wir das bislang gedacht haben und werden auch bei der Probennahmen morgen besonders Augenmerk auf diese Schluffschicht hier legen, weil gerade Schluffe und Tone ein wesentlich höheres Rückhaltevermögen für diese Schadstoffe haben, als die Sande, oder was sie nachher noch sehen werden, die Kiese haben. "

    Er steigt von seiner Leiter und die drei Bohrfachleute übernehmen wieder den Bohrer. Der dreht sich langsam und mit dicken Handschuhen geschützt, lässt einer der Männer die Schnecke durch die Hände laufen, um ihn zu reinigen. Sein Kollege schippt den Boden in eine Schubkarre.

    Professor Bernd Mahro vom Institut für Technischen Umweltschutz an der Fachhochschule Bremen, hat jahrelange Forschungserfahrung in der biologischen Bodensanierung. Er hat die Hochzeit der Entwicklungsaktivität in den 90er Jahren begleitet.

    "Es gibt eine lange Tradition, was die biologische Bodensanierung angeht zum Beispiel für Mineralöl, Kohlenwasserstoffe und die funktionieren eigentlich auch ganz gut und viele der Sanierungen die in der Vergangenheit gelaufen sind, sind auch zur Zufriedenheit der meistens beaufsichtigenden Behörden gelaufen."

    Allerdings sind die meisten Projekte inzwischen aus den Katalogen der Universitäten und Forschungseinrichtungen verschwunden. Das Ziel dieser Forschungsarbeiten war fast immer, hochspezialisierte Mikroorganismen oder Pilze anzuzüchten und in den kontaminierten Boden mit Maschinen einzuarbeiten, damit sie den Giftstoff auffressen. Besonders chlorhaltige organische Verbindungen sind ein fast schon flächendeckendes Problem. Die Lösung: Im Labor maßgeschneiderte Bakterien. Sie sollten mit zusätzlichen Genen ausgestattet werden, zügig für saubere Böden und Gewässer sorgen. Der Begeisterung ist schnell Ernüchterung gefolgt.

    "Alle diese Versuche sind letztlich gescheitert. Ich kenne bis heute keinen einzigen Versuch in der Bodensanierung, wo tatsächlich die Zugabe von Mirkoorganismen den Prozess gefördert hat. Im besten Fall hat sie ihn nicht gestört. "

    Aber das heißt nicht, dass biologische Bodensanierung nicht möglich ist. Sie funktioniert nur anders, als ursprünglich gedacht.

    Die Bakterien, die sich von Benzin, halogenierten Kohlenwasserstoffen, aromatischen Verbindungen, Teer oder was auch immer für organischen Giftstoffen ernähren, müssen gar nicht zum Schadensfall gebracht werden. Sie sind schon da. Sie sind überall. Im Garten auf dem Kompost, im Bach, der sich durch die Felder schlängelt und auf der Müllhalde.

    "Die meisten spezialisieren sich auf gesunde Kost, aber es gibt einige verrückte Exoten, die eben auch tatsächlich mit den man-made chemicals zurechtkommen und die als Nahrungs- und Energiequelle genutzt haben. "

    Sie hungern sozusagen in Nahrungsüberfluss, weil eine entscheidende Zutat fehlt.

    "Das also Luft fehlte, dass Stickstoff oder Phosphate fehlten, also wie eine gute Gartenarbeit funktioniert, man braucht eine Vielzahl von Komponenten, um einen Prozess zu unterstützen. Der eine, die Energiequelle war da, das ist meist die Altlast, aber das alleine reicht nicht und deshalb braucht man dann die anderen Komponenten und kann sie über solche Lanzen in den Untergrund verbringen. "

    Das Bohrgerät auf dem LKW in Hannover dreht den Bohrer langsam in die Erde. Nachdem die ersten drei Meter im Bürgersteig verschwunden sind, zieht der Bohringenieur eine weitere Schnecke vom rechten Laster und kuppelt sie mit einem schnellen Handgriff an das Stück im Boden. Dann frist sich das Gewinde weitere drei Meter in den Untergrund.

    "In diesem Fall sind wir gerade dabei eine Transekte zu bauen, einen Ost-West-Schnitt durch den Schadensfall, durch die Fahne um halt alle Stadien dieser Fahne dreidimensional erfassen zu können."

    Sven Hoffmann übersäht die Südstadt mit Messstellen, die aus je drei Brunnen bestehen. Einer reicht bis auf den so genannten Stauer, die Tonschicht an der sich das Wasser staut, wie Autos an einer Autobahnvollsperrung. Durch den Stauer können weder Wasser noch Schadstoffe weiter in die Tiefe dringen. Ein zweiter Brunnen endet an der Oberkante des Grundwassers auf etwa drei Metern und den dritten lässt er bis zu einer Tiefe bohren, die irgendwelche Hinweise auf biologischen Abbau liefern könnte. So kann er mit vielen solchen Messstellen im Computer ein Modell erstellen, dass die Unterwelt von Hannover plastisch abbildet.
    In den letzten Monaten hat er an 20 Standorten 60 neue Brunnen gebohrt. Dazu kommen noch 60 alte Messstellen, die früher einmal in die Erde gelassen wurden.

    "Also jede Stadt ist eigentlich gespickt mit Grundwassermessstellen, die aus den verschiedensten Zwecken gebaut worden sind, sei es als Trinkwassernotbrunnen oder für lokale Schadensfälle oder einfach nur zur Grundwasserdauerbeobachtung, Grundwasserstandsmessungen und so weiter und davon kann man in so einem Projekt auch einige Verwenden. Und das haben wir dann halt getan, wir haben die uns alle angeschaut und die am geeignetsten erschienen mit in das Messnetz eingebaut, Arbeit...."

    Professor Siegmund Fröhlich vom Institut für Umwelttechnik der Fachhochschule Oldenburg - Emden steht zwischen rot gekachelten Laborbänken auf denen Rapspflanzen ausgebreitet sind. In handliche Bündel verschnürt, stecken die Wurzeln jedes Bündels in einer weißen Plastiktüte und an den Stengeln leuchten noch teilweise gelbe Blüten. Diese Rapspflanzen stammen von einem Versuchsgelände in Nordenhamm, ganz in der Nähe der Friedrich-August-Hütte.

    "Diese biologische Bodensanierung hat hier einen besonderen Aspekt, eine besondere Facette, denn wir versuchen eine der schwierigsten Sanierungen zu Stande zu bekommen, nämlich Schwermetalle aus dem Boden mit Hilfe von Pflanzen zu extrahieren."

    Mit den Abgasen der Hütte sind über Jahrzehnte Blei, Cadmium, Zink und andere Schwermetalle auf die Felder und Wiesen in der Umgebung gerieselt. Anders als große organische Moleküle, die Mikroorganismen zerlegen und als Nahrung verwerten, können Schwermetalle nicht abgebaut werden. Aber sie können dem Boden entzogen werden. Und das haben die Rapspflanzen auf den Laborbänken getan.

    "Die Wurzeln werden gereinigt und gesondert analysiert. Der Stamm wird gesondert analysiert in den einzelnen Losen, die Blätter und natürlich die Frucht, die Samen."

    "Dann trocknen wir diese Pflanzen im Trockenschrank und dann werden die Pflanzen analytisch untersucht"

    Siegmund Fröhlich öffnet einen etwa einen Meter hohen Edelstahlkasten, der ein bisschen wie ein Tresor aussieht. Warme Luft strömt heraus und die durchlöcherten Edelstahlbleche sind vollgestopft mit braunen Papiertüten.

    In einer der Tüten sind...

    "...gehäckselte Stängelteile, die entsprechend hier getrocknet werden, bis zur Gewichtskonstanz und diese Trockensubstanz wird dann eingewogen und danach mechanisch zerkleinert und in einem Aufschlussverfahren in der Mikrowelle aufbereitet. "

    Aggressive Säuren lösen die Schwermetalle aus den Pflanzenteilen, so dass die Emder nachvollziehen können, wie viel Cadmium und Blei die Rapspflanzen aufgenommen haben.


    "also wir wissen ganz genau, dass in der Wurzel die höchsten Gehalte zu finden sind. Die Gehalte können sogar bis 100 Milligramm pro Kilogramm beobachtet werden. Im Stängel nimmt das ab in der Größenordung bis zu 30 mg pro kg. Aber die Blätter, die absorbieren sehr gut, in Trockensubstanz sind das bis zu 60/70 mg pro kg. "

    Vielversprechende Ergebnisse. Raps auf belasteten Flächen anzubauen und so nach und nach die Schwermetalle aus dem Boden zu ziehen ist eine realistische Möglichkeit. Betroffen sind etwa fünf bis sieben Prozent der gesamten deutschen Flächen. Nicht nur in der Nähe von Metallhütten sind die Böden verunreinigt. Auch der Reifen und Bremsenabrieb auf Autobahnen oder Überschwemmung in der Nähe von galvanischen Betrieben hinterlassen ihre metallischen Spuren im Boden.

    "Cadmium ist insgesamt ein Schwermetall, was besonders gefährlich ist, weil es mobil ist im Boden und ins Grundwasser kommt. Meistens sind nur die oberen Erdschichten betroffen, so dass wir durch Pflanzen tatsächlich bis zu 30/50 Zentimeter eindringen können und diese obere Erdkrume sanieren können. "

    Natürlich ist Raps nicht die einzige Pflanze, die Schwermetalle aus dem Erdreich zieht. Andere Ölsaaten wie Senf oder Sonnenblumen haben einen ähnlichen Effekt und Hanf und Mais als verbreitete Ackerpflanzen reinigen ebenfalls den Boden.
    In Pflanzenkläranlagen sind verschiedene Schilfarten als Schwermetallsammler so gut, dass sogar biologische Klärteiche für Gerbereien im Gespräch sind. Deren chromhaltige Abwässer in konventionellen Kläranlagen zu entgiften ist teuer und aufwändig.

    Kosten bestimmen die Sanierungsstrategie. Also muss der Sanierungsraps mit herkömmlichen Landmaschinen geschnitten werden können. Die ganze Verarbeitung darf keine neuen Technologien erfordern. Und natürlich dauert es lange, bis Pflanzen eine Fläche saniert haben. Zwei Milligramm Cadmium pro Kilogramm Boden sind erlaubt. In Nordenham stecken bis zu 80 Milligramm im Erdreich. Und in einem Kilogramm getrockneten Rapsblättern sammelt sich bis zu 60 Milligramm.

    "Das Verfahren ist kein Wunderverfahren. Was man sieht ist ganz klar, dass man länger an Zeit braucht. Man kann das nicht in einem Jahr bewerkstelligen, das dauert unserer Ansicht nach in der Größenordnung zur Zeit von 30 bis 50 Jahren. Wir versuchen das Verfahren zu verkürzen, das wir deutlich unter 30 Jahre in einem Zeitraum von 10 bis 20 Jahren dieses Verfahren optimieren."

    Sven Hoffmann bearbeitet in Hannover inzwischen den Bohrkern von 12 bis 15 Metern. Das Material wird immer gröber, statt Sand findet er fast nur noch murmelgroße Kiesel.

    "Das wird jetzt auch bis zum Stauer, bis zum Ton wird das immer noch gröber werden. Hier unten habe ich mal wieder ein paar kleine Schluff und Ton Schmitzen. Das könnte schon der Anfang eines Aufarbeitungshorizontes sein."

    Genau diese Ton- und Schluffeinlagerungen sind es, wonach Sven Hoffmann sucht. Tatsache ist: das Wasser unter der Südstadt fließt, aber die Schadstoffe fließen nicht mit. Also muss irgendwo im Untergrund zwischen Sand und Kies etwa sein, das die Schadstoffe abbaut und für eine natürliche Selbstreinigung des Grundwassers sorgt. Entweder chemisch aktive Mineralien oder Mikroorganismen, die von den Schadstoffen leben. Sie suchen irgendeine Erklärung für die natürliche Attenuation – die Selbstreinigung. Die Suche ist mühsam. Immer wenn die Hannoveraner auf einen Lösungsansatz stoßen, liefert die nächste Bohrung gleich wieder Argumente gegen die neue Theorie.

    Aber Schluff oder Ton-Linsen zwischen Sand und Kies sind wenigstens ein guter Hinweis, denn an Schluffen oder Tonen finden Mikroorganismen halt. Am besten geeignet wären klebrige Tone.

    "Haben wir hier nicht, fällt also aus. Aber auch Schluffe sind da sehr beliebt. Nur haben wir gerade hier in den tieferen Lagen, wo die hohen Schadstoffgehalte sind, eigentlich fast reine Sande und Kiese. Der natürlich Rückhalt fällt hier eigentlich bei diesen Kiesen mehr oder weniger aus. Weil es gibt nichts, wo hier eine Adsorption stattfinden kann. Zweite Möglichkeit wäre noch organischer Kohlenstoff. Sprich irgendwelche humosen Verbindungen oder Holz oder so was in der Richtung. Nichts vorhanden. Wenn man sich diese Fahne anguckt, könnte man sagen, hier gibt es ein sehr hohes Rückhaltevermögen. Haben wir aber nicht. Und das ist halt eins der Dinge, die wir klären müssen denn die Fahne bewegt sich nicht großartig, aber Rückhaltevermögen haben wir auch nicht, insofern ist das eins der Dinge, hinter denen wir her sind. "

    Bernd Mahro aus Bremen sieht bei allen Vorteilen der biologischen Bodensanierung auch die Probleme, die der Umgang mit Mikroorganismen und natürlichen Gleichgewichten mit sich bringt.

    "Ich selber spreche mittlerweile auch eher von einer biologischen Stabilisierung, wenn wir über Boden reden, nicht über Grundwasser, als von einer biologischen Sanierung und man muss sich darüber unterhalten, ob das nicht ausreicht."

    Als das zentrale Problem sieht Bernd Mahro die so genannte Bioverfügbarkeit. Also: wie kommen die Bakterien überhaupt an die Schadstoffe heran. Der Boden besteht aus winzigkleinen Lebensräumen.
    Poren im Sand oder Ton sind meist wesentlich kleiner als Bakterien. Aber die organischen Moleküle haben auch in der kleinsten Pore Platz.
    Die Bakterien sitzen also vor der Mikropore und warten darauf – wie die Katze vor dem Mauseloch –, dass der Schadstoff sich zeigt.

    "Insofern ist Physik und Chemie letztlich limitierender Faktor und nicht so sehr die Mikrobiologie. Mikroorganismen sind schnell genug, wenn man sie versorgt, wenn man sie füttert, dann würden auch Spezialisten ihren Job verrichten, möglicherweise. Aber es hilft alles nichts, wenn die Stoffe nicht zu den Mikroorganismen kommen können und wir haben bisher wenig Ideen, wie wir diese Stofftransportstrecken im Mikrobereich überbrücken können."

    Unabhängig davon wie stark belastet der Boden ist, es bleibt bei biologischen Verfahren immer ein Restgehalt von etwa 20 Prozent übrig. Wenn der Boden ohnehin nicht stark verunreinigt war, reicht das eventuell, um die gesetzlichen Grenzwerte zu unterschreiten. Aber bei starker Belastung können 20 Prozent Restgehalt immer noch zu viel sein.

    "Was wir dann probiert haben als Sanierungstechnik, war etwas ganz verrücktes, nämlich dass wir in der Annahme dass die Stoffe hier in den Mikroporen und alle nicht wasserlöslich, dass wir diese Stoffe wieder herauswaschen können über Pflanzenölzugabe."

    Natürlich haben sie es erst einmal nur im Labor ausprobiert – ein Glasgefäß mit kontaminiertem Boden gefüllt und mit Speiseöl durchspült. Eine Technik, die allerdings auch ohne größere technische Probleme bei echten Schadensfällen angewandt werden könnte – solange der Schaden eingekapselt ist.
    Der Trick mit dem Öl hat nur einen Haken. Das Öl verkriecht sich zusammen mit den Chemikalien in den Mikroporen und nun warten die Bakterien vor ihrem Mauseloch auf die Schadstoffe und das Öl.

    "Ein Teil kam raus, aber wir hatten immer noch ein Stück Restkontamination, das wir nicht los wurden. "

    Nur etwa 100 Meter Luftlinie von der Bohrstelle entfernt hat Sven Hoffmann das Zentrum der Fahne lokalisiert. Es liegt mitten unter der Nicolai-Kirche. Weshalb ausgerechnet hier die Konzentration an Tetrachlorethen am höchsten ist – keiner weiß es. Von dort aus ziehen sich die Abbauprodukte wie Ringe um das Zentrum.

    "Wir müssen ein dreidimensionales Verständnis dieses Schadensfalles bekommen, um überhaupt uns darüber klar zu werden, wie dieser Schaden aussieht, was dort an den Fahnenrändern passiert, wo der Abbau stattfindet, wie der Abbau stattfindet. Ob natürliche Attenuationsprozesse im Grundwasser stattfinden, wie sie stattfinden und ob man hier in der Südstadt denn mit einer natürlichen Attenuation eine Sanierungsstrategie entwickeln kann. "

    In Lehrbüchern sind Schadstofffahnen lang und schmal, mit der höchsten Konzentration dort, wo die Chemikalien in den Boden gelangt sind. In Hannover ist das anders. Schuld ist - unter anderem – die U-Bahn.

    "Das waren sehr große Baustellen mit sehr großen Grundwasserabsenkungen. Wir haben das mal modelliert, das ist wirklich faszinierend, wie groß diese Absenktrichter denn nun eigentlich wirklich waren, die diese Baumaßnahmen hervorgerufen haben und die U-Bahnbauten im Norden und im Westen unsers Untersuchungsgebietes hier in der Südstadt, die haben natürlich ihr übriges dazu beigetragen, weil die Baugruppen mussten halt auch trocken gehalten werden. Und mit der Absenkung wurden natürlich auch die Schadstoffe dann in diese Richtung ich würde mal sagen verschmiert. Und jetzt muss ich wieder arbeiten."

    TNT, der Sprengstoff Trinitrotoluol, ist ein weit verbreitetes Übel an alten Militärstandorten und Truppenübungsplätzen. Der Stoff liegt üblicherweise in nussgroßen Stücken über Jahrzehnte regelrecht herum. Für Bernd Mahro ein Paradestück der biologischen Bodensanierung.

    "Rüstungsaltlasten, insbesondere TNT, sind übrigens ein weiterer Fall, den ich sogar unter der Überschrift einer biological success story verbuchen würde, das ist eine der Kontaminationen, die man biologisch auch nicht sanieren kann im Sinne von Umsetzen in CO2, das galt lange Zeit immer als das Kriterium für biologische Sanierung. "

    Ausschieben des Geländes und verbrennen oder Waschen des Bodens ist bei so großen Flächen zu teuer und obwohl der Stoff sich nicht in Mikroporen versteckt, scheint die Natur kein Interesse an ihm zu haben. Aus einem einfachen Grund: Für die Bakterien sind diese Klumpen so groß, wie für einen Menschen die Erde. Der Trick der biologischen Bodensanierung liegt im Zerkleinern und das ist fast schon trivial. Mit Landwirtschaftlichen Geräten wird der Boden feinkrümelig gemacht, wie ein Acker zur Saatvorbereitung. Dazu noch Luft an den meist stark verdichteten Boden und innerhalb weniger Wochen ist kein TNT mehr nachzuweisen. Die Bakterien im Boden tauschen nur ein paar Sauerstoff- gegen ein paar Wasserstoffatome und die Humusschicht des Bodens verschlingt den Stoff regelrecht.

    "Dieser Stoff ist dann in diesem Zustand so reaktiv in der Bodenmatrix, dass er so festgebunden wird, dass er nicht mehr herauswaschbar ist. Und dann haben wir das Problem gelöst. Unser Hauptproblem ist ja, dass Stoffe dann über Regenwassereinträge Richtung Grundwasser transportiert werden. Wenn sie nicht mehr herauswaschbar sind, ist es auch keine Gefahr mehr."

    Das funktioniert auch mit den krebserregenden polycyclischen aromatischen Kohlenwasserstoffen PAK. Die verschwinden ebenso in der würzig duftenden oberen Erdschicht, wenn der Boden Luft zum Atmen und eine ausgewogene Mahlzeit bekommt. Wenn das Humuspolymer sich verändert, knackt es beliebige Bindungen und so werden auch TNT und PAK mit der Zeit in Einzelteile zerlegt.

    "Biologische Bodensanierung können sie nie einfach unter einer Überschrift verarbeiten, sie müssen biologische Bodensanierung immer getrennt für die einzelnen Stoffgruppen betrachten."

    Der Bohrer in Hannover frisst sich inzwischen bis auf die 18 Metermarke in die Erde und Sven Hoffman wartet auf die letzten drei Meter Bohrkern.

    "Im Moment ist halt auch die rechtliche Diskussion sehr stark im Schwange. Kann man natürliche Attenuation als Sanierungsmaßnahme begreifen und wenn ja, was für ein Zeitlimit gebe ich der denn nun eigentlich der Natur um sich selbst zu reinigen. "

    Einige Stimmen fordern, dass die Natur so schnell arbeiten soll, wie technische Verfahren, so dass im Zweifelsfall ein Sachbearbeiter den Fall abschließen kann.

    "Das ist meiner Meinung nach ein bisschen illusorisch und ein bisschen kurz gedacht. Nach 20 oder 30 Jahren weiß man ganz genau wo die Reise hingeht. Baut sich der Schaden ab, wenn man ihn in Ruhe lässt, bleibt er so oder breitet er sich weiter aus. "

    Aber wenn er schrumpft, kann durch Modelle errechnet werden, wann er von allein unter irgendwelchen Gefahrenschwellwerten angekommen ist. Und im Fall Hannover Südstadt ist niemand akut bedroht, denn das Trinkwasser kommt mit der Fahne nicht in Berührung.
    Weshalb dann die Aufregung?

    "Man darf natürlich auch nicht vergessen, es gibt vom Gesetzgeber her, ist natürlich veritables Interesse daran auch gerade durch die europäische Wasserrahmenrichtlinie gerade wieder neu manifestiert, dass Grundwasser ein Schutzgut ist und gefälligst reingehalten zu werden hat. Und demzufolge machen wir das auch. Mal ganz unabhängig davon, ob der Grundwasserleiter genutzt ist, oder nicht. Grundwasser hat sauber zu sein. Und da haben wir den neuen Kern."

    "So, kein Ton. "

    Doch. Die letzten zwei Windungen sind von einer fast weißen, harten Masse verklebt.

    "Ton?... find ich gut...tatsache..." (kratzgeräusche)...

    "...Tja, weißer Ton, total reduziert, ja und das sind sie üblichen Kiese hier, der Waschbetonkies,... mal gucken ob hier unten noch Ton ist,"

    Er guckt skeptisch auf die letzten 20 Zentimeter und kann sich noch nicht zum Feierabend durchringen. Vielleicht ist das nur eine Zwischenschicht. Er klappt die Leiter zusammen und geht zwei Schritte zurück.

    " .....ja aber ich glaube wir sollten nach mal ein, zwei Meter nachlegen, wer weiß, was das hier ist."