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Die Stimme erhalten

Das Wort ist eine Herausforderung für Stimme und Zunge: Neurolaryngologie - ein spezielles Forschungsgebiet der Hals-Nasen-Ohren-Medizin. Dabei geht es um Erkrankungen des menschlichen Kehlkopfes, die auf Beschädigungen von Nervenfasern zurückzuführen sind. Die Neurolaryngologie stand im Mittelpunkt der 21. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie vergangene Woche in Freiburg. Dank eines neuen Operationsverfahrens konnten Stimmbandlähmungen nach Kehlkopfoperationen deutlich verringert werden.

Von Thomas Wagner | 14.09.2004
    "Stimme weg!" Bis vor kurzem noch war das die Schreckensdiganose für zehn von Hundert Patienten, die sich einer Schilddrüsenoperation unterziehen mussten. Grund: Bei der Operation wurde das sensible Nervensystem des Kehlkopfes derart verletzt, dass es zur teilweise oder vollständigen Lähmung der Stimme kam. 10 Prozent Stimm-Verluste - ein hoher Anteil, viel zu hoch, befanden die Wissenschaftler. Deshalb entwickelten sie ein neues Verfahren, das bereits während der Operation spätere Kehlkopf-Schädigungen abwenden soll. Professor Eberhard Kruse von der Uni Klinik Göttingen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, heute auf der Jahrestagung in Freiburg:

    Das so genannte intra-operative Neuro-Monitoring besteht darin, dass man einen Risikonerven, also einen durch die Operation gefährdeten Nerven, funktionsmäßig überprüfen kann, indem man ihn elektrisch reizt und die Reizantwort in dem zugehörigren Muskel dann ableiten kann und registrieren kann.

    Das heißt: Während der Operation werden bestimmte Nerven im Kehlkopf, die vor allem für die Stimmbildung wichtig sind, ständig elektrisch gereizt. Daneben messen die Ärzte die entsprechenden Reflexe. Mit diesem Verfahren merken sie sofort, wenn ein wichtiger Nerv verletzt wird.

    Damit kann man schon in der Operation entscheiden, am Ende der Operation vor allen Dingen, ob die Nerven durch die Operation geschädigt worden sind oder eben nicht. Und der Vorteil ist jetzt , damit mit dieser Methode die Überwachung der Nervenfunktionen natürlich viel differenzierter durchgeführt werden kann, so dass der Nerv weit möglichst geschont wird, wenn er nicht operativ einbezogen werden muss, also etwa bei bösartigen Erkrankungen.

    Der Erfolg gibt den Wissenschaftlern, die das neue Verfahren entwickelt haben, recht: Die Quote derjenigen, die nach Kehlkopf-Operationen an lang anhaltenden Schädigungen leiden, sank von ursprünglich 10 Prozent auf einen Wert von unter 0,5 Prozent. In Freiburg drängen die Wissenschaftler daher darauf, dass das Neuro-Monitoring zukünftig bei allen Kehlkopf-Operationen zur Pflicht wird.

    Dabei sind es nicht nur die Beeinträchtigungen der Kehlkopf-Nerven selbst, die zu Stimmlähmungen führen. Auch Bypass-Operationen beispielsweise im Bereich der Halsschlagader können zu solchen Lähmungen führen, ebenso wie Funktionsstörungen im Gehirn. Hier versuchen die Wissenschaftler, im Tierexperiment, vor allem an Affen, herauszufinden, welche Gehirnpartien genau für die stimmlichen Funktionen des Kehlkopfes ausschlaggebend sind. Professor Eberhard Kruse:

    Sie können an lebenden Affen bestimmte Areale im Gehirn, von denen man weiß, dass sie die Motorik steuern und auslösen, kann man elektrophysiologisch stimulieren, und zwar viel genauer auf Einzelzellbasis, als wir es je beim Menschen so leisten können. Und dann sieht man eben in der Peripherie, wo der Reiz entsteht, und daraus kann man sich das Schaltbild dann rekonstruieren zwischen eben der Hirnlokalisation und der motorischen Zentren und der entsprechenden Funktionsauslösung.

    Damit bringt der Affe, der auf Knopfdruck brüllt, ganz wesentliche Erkenntnisse darüber, welche Gehirnpartien für die Stimmbildung ausschlaggebend sind und welche Nervenbahnen den Stimmimpuls zum Kehlkopf transportieren - ein, wie in Freiburg zu erfahren war, aber noch relativ junges Forschungsgebiet.

    Was aber tun, wenn Kehlkopf und Stimme nachhaltig geschädigt sind ? Auch hier gibt es Maßnahmen zur Abhilfe, über die die Experten in Freiburg diskutieren. Ist die Verletzung eines Nervenstrangs dafür verantwortlich, so hilft nur ein operativer Eingriff, der die unterbrochene Nervenbahn wieder herstellt. Häufig bilden sich vor allem bei so genannten "Sprechberufern" wie Lehrern oder Sängern Schwielen zwischen den Stimmbändern, die von einer Überstrapazierung der Stimm-Muskeln herrühren. Dabei werden die Stimmbänder auseinandergedrückt. Auch das kann im schlimmsten Fall zum Stimmverlust führen. Dagegen setzen die Experten mehrere alternative Operationstechniken ein, die in Freiburg diskutiert werden. Professor Erwin Löhle von der Freiburger Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde erläutert eine davon:

    Man kann durch eine andere Operation von innen in die Stimmlippen etwas hineinspritzen, also Fett zum Beispiel oder Bioplastik, um diese Stimmlippen zu verdicken und natürlich auch wieder die beiden Stimmlippen zusammenzubringen. Dadurch kann man chirurgisch einen wesentlichen Beitrag zur Stimmbesserung beitragen.