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Die üblichen Verdächtigen

Die Idee, dass es "geborene Verbrecher" gäbe stammt vom Italiener Cesare Lombroso. Andere Wissenschaftler versuchten herauszufinden, wie man den geborenen Verbrecher an seiner Kopfform erkennen könne. Viele Autoren haben vor allem in Krimis auf diese Vorstellungen zurückgegriffen. Doch neuere Forschung zeigt: Sie lagen alle falsch.

Von Cajo Kutzbach | 14.06.2012
    Die erfassten Taten von über 20.000 männlichen Baden-Württembergern im Alter von 14 bis 32 Jahren hat das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg untersucht. Dabei bestätigte sich, was man schon wusste, dass nämlich die Häufigkeit krimineller Taten in der Jugendzeit ansteigt, bei etwa 20 Jahren einen Höhepunkt hat und dann wieder abnimmt. Diese altersabhängige Age-Crime-Kurve gibt es in allen Kulturen und Gesellschaften.

    Aber Studienleiter Volker Grundies suchte in den Daten nach Tätern, die sich bestimmten Gruppen zuordnen lassen, und ob es typische Täterkarrieren gäbe, die sich bei etwa einer Million Datensätzen finden lassen müssten:

    "Ich konnte bei meiner Untersuchung keine spezifischen Karriere¬verläufe finden. Weder dass alle dem allgemeinen Age-Crime-Verlauf folgen, noch, dass es bestimmte typische Verläufe gibt, sondern man stellt eigentlich fest, dass es eine Vielzahl von Verläufen gibt, die sich unterscheiden, je nach Einstiegsalter, dann sich in ihrer Dauer unterscheiden können, und auch in der Form der Unterbrechung innerhalb der Karrieren. Da kann es durchaus Lücken von einigen Jahren geben bis jemand wieder auffällig wird."

    Die Studie lies aber dennoch Muster erkennen, zum Beispiel beim Einstiegsalter:

    "Dort hat man einen Anstieg und ein Maximum mit etwa 16 Jahren. Danach geht die Rate der Einstiege zurück. Sie bleibt aber auch bei einem Alter von über 25 bis in dem Fall 32 - was wir untersucht haben - noch mit etwa einem Prozent der Männer jährlich substanziell erhalten."

    Einen ähnlichen Verlauf nimmt die Rückfallwahrscheinlichkeit: Die Rückfälle nehmen mit dem Alter allmählich ab. Wenn jemand zum Beispiel mit 14 das erste Mal auffällig wird, hat er eine Rückfallwahrscheinlichkeit von 30 Prozent, dass er mit 15 wieder auffällt. Aber mit etwa 30 hat er nur noch eine Rückfallwahrscheinlichkeit von etwa fünf Prozent.

    Das bedeutet auch: Die Vorstellung, dass eine kriminelle Karriere umso wahrscheinlicher sei, je jünger sie beginne, ist fragwürdig.

    "Meistens handelt sich's ja um relativ kurze Karrieren. 60 Prozent dieser Registrierten haben maximal drei Registrierungen. Die meisten sind so oder so nur einmal mit der Justiz in Kontakt gekommen. Auf der anderen Seite gibt es schon eine sehr kleine Gruppe, etwa ein bis zwei Prozent von den Registrierten, die ein Verhalten zeigt, was man als "chronisch delinquent" bezeichnen kann. Die werden im Schnitt einmal pro Jahr auffällig."

    Es sind also in Baden-Württemberg 200 bis 400 Männer im Alter von 14 - 32 Jahren, auf die vielleicht Begriffe wie Intensivtäter, Kriminelle, oder "die üblichen Verdächtigen" zuträfen. Gerade bei diesen Rückfälligen hat die Art der Strafe weniger Wirkung, als erwartet.

    "Es gibt, was die Rückfallrate angeht, durchaus Unterschiede, ob jemand eine Freiheitsstrafe erhalten hat, oder bei den Jugendlichen das Verfahren gegen gewisse Auflagen eingestellt wurde. Aber insgesamt ist der Effekt der Sanktionierung deutlich geringer, als dieser generelle Effekt des Alters auf die Rückfälligkeit."

    Die Abnahme von Verurteilungen mit wachsendem Alter könnte zu dem Schluss führen, dass alte Menschen so beherrscht und weise seien, dass sie nicht mehr kriminell würden.

    Das hat Franziska Kunz, Doktorandin am selben Institut, allerdings bereits letztes Jahr in einer Studie widerlegt, für die sie 2000 über 50-Jährige anschrieb. Im anonymen Fragebogen wurden sie nach 14 Vergehen gefragt, vom Schwarzfahren, oder Alkohol am Steuer bis zu Betrug und Erpressung. Es ging also nicht um ertappte Täter, sondern um eine anonyme Selbstauskunft.

    "Generell ist es so, dass die Delikte, die überwiegend begangen werden von den Älteren sind Eigentums und Vermögensdelikte, also Betrugsdelikte. Es geht um ökonomische Vorteilsnahme, Tricksen so in alltäglichen Kontexten. Das ist das was die Leute vorwiegend machen. Und interessanterweise machen das eigentlich ökonomisch Bessergestellte. Also wir haben gesehen, um so höher der soziale Status ist, um so höher ist die Neigung oder die Belastung mit kriminellem Verhalten."

    Das bestätigen auch andere Studien. Das arme alte Muttchen, das mit der Rente nicht auskommt und deshalb im Laden klaut, ist eher die Ausnahme:

    "Ladendiebstahl wird nur von einer ganz kleinen Gruppe begangen. Etwa bei mir waren es 0,7 Prozent der Stichprobe haben gesagt, dass sie mindestens einen Ladendiebstahl in einem Jahr gemacht hätten. Damit rangiert das Delikt unter den 14, die wir abgefragt haben auf Platz acht."

    Interessant war auch, dass sich im Alter die Art der Delikte zwischen Männern und Frauen anglich, und das Verhältnis von Tätern zu Täterinnen von 80:20 in der Jugend auf 60:40 näherte. Verblüffend und besorgniserregend war, dass jüngere Alte verhältnismäßig krimineller waren, als die ganz Alten. Dahinter steckt ein Wandel der Moralvorstellungen. Das belegt auch eine neue Studie. Franziska Kunz:

    "Ich hab' geschaut, inwiefern lässt sich das auch für strafrechtliche rele¬vante Normen nachweisen. Und da haben wir eben wieder diesen Unterschied gefunden zwischen jüngeren und älteren Generationen. Also die Jüngeren haben eben dieses abstrakte, individualisierte Moral¬verständnis, machen häufig von der Situation abhängig, ob ein Diebstahl gerechtfertigt ist, oder nicht; während die Älteren sagen: nein! Diebstahl ist verboten. Du sollst nicht stehlen! Und das gilt immer."

    Dieser Wandel im Unrechtsbewusstsein bei der deutschen Bevölkerung, also in einer Gruppe, die hier kulturell verwurzelt ist, würde erklären, weshalb sich bei ihr eine Zunahme von Delikten um 20Prozent innerhalb von zehn Jahren abspielte.

    Die Forscher baten Jüngere, die Regelverstöße für akzeptabel hielten, um eine Begrün¬dung. Eine dieser Begründungen waren entsprechende Vorbilder:

    "Das sind zum Teil politische Eliten, zum Teil wirtschaftliche Eliten, auf die da rekurriert wird. Das war sehr interessant. Die Probanden sagten etwa: "Naja, wenn das der Ackermann macht, dann kann ich das erst recht machen. Bei mir geht's ja nur um zehn Euro, oder um viel geringere Beträge. Also das eigene Verhalten wird relativiert und ausgerichtet an dem Verhalten von Vorbildpersonen."

    Dass schlechte Vorbilder die Sitten verderben, wusste der Volksmund schon lange. Nun ist es auch wissenschaftlich belegt.