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Die Verwaltung des Lebens

Ist das deutschen Betreuungsrecht mit der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar? Dazu hatten Grünen-Politiker vor rund einem Jahr eine große Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Die Antwort bestätigt, dass das Betreuungsrecht keine vollkommene Selbstbestimmung des Betroffenen garantiert.

Von Annette Eversberg |
    Friedrich Wesemanns Ärger begann mit einem Anruf. Aus dem Krankenhaus. Sein Vater, ein Geschäftsmann, war gestürzt.

    "Der Vater ist an einem warmen Sommertag im Grunde kollabiert, ist in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Man hatte den Verdacht, da läge eine Demenzerkrankung vor. Und dann ist da wohl aus dem Krankenhaus heraus eine Betreuung angeregt worden."

    Friedrich Wesemann fiel aus allen Wolken. Betreuung - davon hatte er noch nie etwas gehört. Und vom Betreuungsrecht schon gar nicht. Kein Einzelfall, sagt Professor Rainer Pitschas, Verfassungsrechtler an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Die meisten Menschen kämen erst dann mit dem Betreuungsrecht in Berührung,

    "wenn in einer Familie ein Familienmitglied seine Angelegenheiten nicht mehr selbst regeln kann. Wenn es um die Fragen von Testamenten geht oder um die Beantragung von Renten oder anderen Hilfeleistungen. Erst dann erinnert man sich: Hm, irgend so ein dunkles Gesetz gibt es da."

    Dabei gibt es dieses Betreuungsrecht seit 1992. Danach kann ein Gericht eine rechtliche Betreuung einrichten, wenn der Richter den Eindruck hat, die zu betreuende Person kann sich nicht mehr um sich selbst kümmern. Das übernimmt der vom Gericht bestellte Betreuer - dabei geht es aber nicht um die direkte Pflege. Es geht um die Verwaltung des Lebens. Der Betreuer kann Bankgeschäfte tätigen, Verträge abschließen und über die Heimunterbringung entscheiden.

    Unter Betreuung gestellt werden kann praktisch jeder. Die Sozialämter können jederzeit ihre Mitarbeiter oder auch den Gesundheitsdienst in die bundesdeutschen Haushalte schicken, wenn sie von Nachbarn, Freunden oder Ärzten einen Hinweis erhalten, dort könnte jemand betreuungsbedürftig sein. Die Entscheidung fällt oft viel zu schnell, bemängeln selbst Juristen wie Dr. Martin Probst, Jurist und Autor eines Buches zum Betreuungsrecht.

    "Betreuungen kommen manchmal auch schon dadurch zustande, nicht weil der Betreute aus seiner Sicht ein Problem hat, sondern andere mit ihm ein Problem haben, weil er sich nicht mehr sozialkonform verhalten kann. Das führt dann dazu, dass letztlich diejenigen Leute, die dort Probleme haben, ihren Aufwand ins Ressort Betreuung wegschieben und sagen, soll doch die Justiz einen Betreuer bestellen."

    Laut Gesetz soll die Betreuung persönlich sein. Das heißt aber nicht, dass die Betreuer ihre Klienten auch persönlich kennen müssen, selbst wenn sie nach dem Wohl des Betreuten handeln und seinen Willen beachten sollen. Und so sieht die Wirklichkeit oft anders aus. Denn damit ein Berufsbetreuer wirklich von dieser Tätigkeit leben kann, muss er viele Klienten haben. Inzwischen kommt es teilweise vor, dass ein Betreuer 60 bis 100 Personen betreut, die er noch nicht einmal kennt.

    Vom Krankenhaus kam Friedrich Wesemanns Vater gleich in ein Seniorenheim. Gegen seinen Willen.

    "Den ersten Schritt, im Grunde diese Betreuung zu beenden, hat der Vater selber gemacht. Der ist aus dem Krankenhaus, in dem er damals war, zu einer ehemaligen Mitarbeiterin gegangen und hat diese Mitarbeiterin gebeten, sie solle ein Schreiben verfassen, in dem dann stehen soll, dass die Betreuung beendet werden soll."

    Der Versuch blieb ohne Erfolg. Dabei sollte es bei der Verabschiedung des Betreuungsrechts eigentlich darum gehen, ein modernes und demokratisches Gesetz zu schaffen, sagte der damalige Justizminister, Hans Engelhardt, 1990 im Bundestag.

    "Bei dem Entwurf handelt es sich um eines der bedeutendsten familienrechtlichen Vorhaben der Nachkriegszeit. 40 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes soll der freiheitliche Geist unserer Verfassung nun auch den Menschen zugute kommen, die wegen Krankheit oder Behinderung in ihren Rechten und Handlungsmöglichkeiten oft unnötig eingeschränkt werden."

    In der Praxis ist das Gesetz alles andere als freiheitlich. Es beruht auf dem Gedanken der staatlichen Fürsorge, nach dem die Selbstbestimmung der Bürger jederzeit eingeschränkt werden kann - wenn der Staat an ihrem Wohle zweifelt. Dieser Fürsorgegedanke zeigt sich in einem flächendeckenden Erwachsenenschutz, den der Bonner Psychiater Professor Rolf-Dieter Hirsch für fragwürdig hält.

    "Wenn man jetzt aber sagt, jeder Erwachsene könnte unter Betreuung - in Anführungszeichen - kommen, dann haben wir ja ein Kartell von Menschen, die über andere bestimmen. Das dürfte mit demokratischen Formen und auch unserem Grundgesetz gar nicht vereinbar sein."

    Rolf-Dieter Hirsch spricht aus Erfahrung. Er leitet den Verein "Handeln statt Misshandeln" in Bonn. Eigentlich ist die Aufgabe des Vereins, Menschen im Alter zu unterstützen und Hilfe für pflegende Angehörige zu leisten. Doch immer häufiger rufen Betroffene und Angehörige an, die Probleme mit dem Betreuungsrecht haben.

    "Fast die Hälfte der Anrufe, die zu uns kommen, hängen irgendwie mit dem Betreuungsrecht zusammen. Im Jahr sind es so rund 1000 Anrufe mindestens. Die natürlich abhängig sind von der Zeit, weil wir vor Ort ja dann versuchen, die einzelnen Situationen zu klären."

    Auch Friedrich Wesemann wandte sich in seiner Not an den Verein. Denn als der Vater unter Betreuung gestellt wurde, wollte er sich eigentlich selbst um ihn kümmern.

    "Und dann habe ich meine Brüder angesprochen und habe ihnen gesagt, dass wir doch gemeinschaftlich die Betreuung übernehmen sollten."

    Die Brüder waren bereit. Doch die Beschwerde vor Gericht blieb erfolglos.

    "Beim Landgericht ist eine Beschwerde eingereicht worden. Das Landgericht hat dieser Beschwerde nicht abgeholfen. Es hat gesagt, als Angehöriger hätte man keine Beschwerdebefugnis."

    Familien können nach dem Betreuungsrecht nicht mehr ohne Weiteres die Angelegenheiten für ihre Angehörigen erledigen. Selbst Ehepartner nicht. Sie haben noch nicht einmal das Recht zu erfahren, wie es ihrem Partner geht. Diese Regelung wurde geschaffen zum Schutz der Betroffenen - vor ihren Familien. Obwohl die Mängel des Gesetzes seit Jahren offensichtlich sind, hat Rolf-Dieter Hirsch mit seinem Verein bei Politikern nur wenig Gehör gefunden.

    "Wir versuchen immer wieder die eine oder andere Öffentlichkeitsarbeit zu machen. Lokal geht das eine oder andere, aber sowie man auf Landes- oder Bundesebene geht, ist die Reaktion doch sehr verhalten. Wenn man sich dann auf gewissen Veranstaltungen bewegt, die jetzt letztendlich nicht von Angehörigen oder Betroffenen mit durchgeführt werden, hat man so den Eindruck, das Recht ist was Wunderbares."

    Das bedeutet, Kritik am Gesetz ist bei den Politikern nicht erwünscht. Gegenüber den Familien ist man besonders misstrauisch.

    Als Friedrich Wesemann die Betreuung seines Vaters kritisierte und darauf bestand, dass die Brüder selber die Betreuung übernehmen wollten, stellte er folgendes fest:

    "Erst einmal habe ich den Antrag gestellt auf Akteneinsicht in die Betreuungsakte und habe dann auch festgestellt, dass eine Reihe von Aussagen über uns Söhne aktenkundig waren, die so einfach nicht richtig waren. In Bezug auf meine Person war da festgehalten, ich hätte versucht, Beteiligungsbesitz auf meinen Namen zu überschreiben."

    Das wäre allerdings einfach so zwischen Vater und Sohn gar nicht möglich gewesen. Denn für diese Besitzübertragung hätte Friedrich Wesemann die Hilfe eines Notars benötigt, um Verträge zu schließen und das Ergebnis dann ins Handelsregister eintragen zu lassen.

    "Das geht überhaupt nicht so einfach. Die Gespräche, die mit dem Vater waren, waren im Grunde, dass ich gewissermaßen eine Verwaltung hätte übernehmen sollen. Also das wäre Ablagetätigkeit gewesen, Schriftverkehr machen. Das hätte ich von Berufs wegen, glaube ich, ganz gut hingekriegt. Aber da stand, ich hätte mich sozusagen bereichern wollen."

    Bisher sind es vor allem Juristen, die sich mit dem Betreuungsrecht befasst haben. Dabei haben sie die Logik der Paragrafen im Blick. Juristen sind aber keine Politiker, deshalb fragen sie nicht danach, ob das Betreuungsrecht zu einer Demokratie wie der unseren überhaupt passt. In der Gesellschaft selbst bleibt das Thema weitgehend unsichtbar, taucht erst auf, wenn man selbst oder die Familie betroffen ist.

    Auch die Politik hat bislang einen großen Bogen um das Thema gemacht. Im Deutschen Bundestag hat es bisher keine Debatte über das Betreuungsrecht gegeben, die in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Bündnis 90/Die Grünen wollen das ändern. Sie argumentieren mit der UN-Behindertenrechtskonvention, die die Bundesregierung 2009 ratifiziert hat, und die aus der Sicht der Grünen neue Maßstäbe setzt. Danach hat niemand das Recht, über den Kopf eines anderen hinweg zu entscheiden.

    Im vergangenen Jahr hat die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen deshalb eine große Anfrage zum Betreuungsrecht an die Bundesregierung gerichtet. Die Bundesregierung musste sich mit dem Thema beschäftigen. Ein knappes Jahr später liegt deren Antwort jetzt vor. Und die Grünen wollen darüber zunächst am 6. Juni auf einer Fachtagung in Berlin diskutieren. Der Bundestagsabgeordnete und Sozialpolitiker Markus Kurth ist einer der Mitautoren der großen Anfrage.

    "Die UN-Behindertenrechtskonvention weist jetzt den Menschen mit Behinderungen, auch wenn sie starke Beeinträchtigungen haben, klar eine eigene Rechtspersönlichkeit zu. Und verlangt auch, dass alles getan werden muss staatlicherseits, damit auch die rechtliche Unabhängigkeit von Menschen mit Behinderungen gewahrt wird. Und die Frage ist, ob das deutsche Betreuungsrecht mit seinen Regelungen das auch wirklich sicherstellt."

    In der Antwort auf die Anfrage bestätigt die Bundesregierung, dass das Betreuungsrecht keine vollkommene Selbstbestimmung des Betroffenen garantiert. Damit steht es also im Widerspruch zur UN-Behindertenrechtskonvention. Das sieht die Bundesregierung jedoch anders und verweist - auch hier - auf den Erwachsenenschutz. Außerdem müsse ein Betreuer ja immer zum Wohl des Betreuten handeln. Markus Kurth von Bündnis90/Die Grünen hat daran in der Praxis aber seine Zweifel.

    "Wenn wir uns zum Beispiel die Zwangsunterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern und Kliniken angucken, so stellen wir fest, dass das von Bundesland zu Bundesland, teilweise auch von Stadt zu Stadt sehr stark variiert. Warum sind zum Beispiel in Dortmund mehr Zwangseinweisungen als etwa in Herne oder Bochum. Das kann eigentlich nur mit den unterschiedlichen Herangehensweisen der Betreuer und Behörden erklärt werden. Und an der Stelle ist offensichtlich der Schutz der autonomen Rechtspersönlichkeit regional unterschiedlich ausgeprägt. Und damit ist dem Willen der Konvention nicht Rechnung getragen."

    Das bundesdeutsche Betreuungsrecht erlaubt die Zwangseinweisung Behinderter und alter Menschen in ein Heim. Nach dem Betreuungsrecht ist es auch erlaubt, dass unruhige Patienten gehindert werden, ihr Bett zu verlassen. Indem man Gitter anbringt oder sie mit einem Gurt festbindet. Hier sieht die Bundesregierung ebenfalls einen Eingriff in das Grundgesetz. Dennoch hält sie es, wie sie nochmals ausdrücklich erklärt, für legitim. Um zu vermeiden, dass sich ein Betroffener selbst gefährdet. Der Psychiater Professor Rolf-Dieter Hirsch weiß, das eine solche Fixierung oft überhaupt nicht nötig ist, und es Krankenhäuser und Pflegeheime gibt, die diese Methoden ablehnen.

    "Andererseits muss ich sagen, im größten Teil aus vielerlei Ängsten, was Versicherungen angeht und wer verantwortlich ist und ähnliches, sind die Fixierungen so hoch, dass man sagen muss, es ist eigentlich ein Verbrechen, was da mit Recht stattfindet. Vielleicht sogar mehr als je zuvor. Weil man sich ja zurücklehnt und sagt, der Richter hat es ja genehmigt."

    Manche Richter wüssten gar nicht genau, was sie da entscheiden, sagt Rolf-Dieter Hirsch vom Verein Handeln statt Misshandeln in Bonn. Oft sei es in der Praxis der Fall, dass Heime von den Richter Entscheidungen über Fixierungen oder Betreuungen innerhalb kürzester Zeit erwarten. Dabei erklärt die Bundesregierung in ihrer Antwort ausdrücklich, im Alltag werde sorgfältig geprüft, ob man eine Betreuung nicht vermeiden könne. Dadurch, dass man älteren Menschen eine Hilfe im Haushalt zur Verfügung stellt. Oder ihnen von Fall zu Fall beim Ausfüllen von Rentenanträgen hilft. Gefragt, ob das auch seinen Erfahrungen entspreche, sagt Rolf-Dieter Hirsch.

    "Das, was ich in der Realität, außer von Familien erlebe, muss ich sagen, eigentlich überhaupt nicht."

    In diesem Punkt kritisiert auch Rainer Pitschas als Verfassungsrechtler das Betreuungsrecht.

    "Da sind schon defizitäre Grundentscheidungen des Gesetzgebers festzustellen. Eine dieser defizitären Entscheidungen ist, dass man im Grunde nur rechtlichen Beistand leistet, aber die eigentlichen Hilfeleistungen außen vor lässt."

    Das hat einen Markt geschaffen. Inzwischen gibt es 1,3 Millionen Betreuungen in Deutschland. Zur Zahl der Berufsbetreuer gibt es unterschiedliche Angaben. Der 6000-Mitglieder-starke Bundesverband der Berufsbetreuer spricht von 12.000 Berufsbetreuern. Darunter sind viele Sozialpädagogen und Anwälte. Aber Berufsbetreuer kann eigentlich jeder werden. Ein genaues Berufsbild gibt es nicht. Professor Rainer Pitschas.

    "Hier stellt sich schon mehr die Frage, ist genügend für die Qualitätssicherung dieser beruflichen Betreuung getan. Gibt es eingehende Kriterien für die Aufnahme oder den Zugang zum Betreuerberuf. Das wird man infrage stellen müssen, die Kriterien werden eher handgestrickt in den einzelnen Bundesländern. Von daher läge es nahe, dass der Deutsche Bundestag hier in einem neuen Anlauf entsprechende berufliche Voraussetzungen schafft."

    Die Bundesregierung hält dies nicht für erforderlich. Sie ist auch der Auffassung, dass die Missbrauchsfälle, die Hilfsorganisationen beklagen, nichts mit dem Betreuungsgesetz an sich zu tun haben. Auch das beste Gesetz könne dies nicht verhindern.

    Außerdem sieht das Gesetz vor, dass ein Betreuer sich jederzeit Hilfe von Steuerberatern und Anwälten holen kann, wenn ihm selbst die Fachkenntnisse fehlen. Friedrich Wesemann und seine Brüder mussten feststellen, dass im Falle ihres Vaters Honorare in Höhe von gut 10.000 Euro aus dem Vermögen an einen Anwalt gezahlt worden waren. Aber das war noch nicht alles.

    "Bei Durcharbeiten der Akten wird festgestellt, dass dort halt Finanzmittel des Betreuten auf Konten des Rechtsanwalts eingegangen sind, über die nie abgerechnet worden ist."

    Als der Vater verstorben war fehlten fast 137.000 Euro. Die Brüder haben zwar Strafanzeige gegen Betreuer und Anwalt gestellt. Trotzdem sehen sie wenig Chancen, das Geld noch zurückzubekommen.

    Auch in Fällen, in denen der Staat für die Betreuungskosten aufkommen muss, können Betreuer Anwälte oder Steuerberater einschalten. Kostenträger für die Staatsausgaben sind die Bundesländer, die mit ansehen müssen, dass die Last ständig wächst. Andreas Türpe vom Justizministerium Nordrhein-Westfalen.

    "Ich kann Ihnen sagen, dass im Jahr 2009 seitens der Betreuungsgerichte in Nordrhein-Westfalen fast 162 Millionen Euro ausgegeben worden sind. Das sind allerdings nur die Kosten, die anfallen für sogenannte Auslagen in Rechtssachen, insbesondere die Kosten, die für die Betreuer anfallen. Die Personalkosten und die Gebäudekosten fallen nicht darunter. Es kommen noch erheblich mehr Kosten hinzu."

    Bundesweit steuert man bereits auf die erste Milliarde an Betreuungskosten zu. Denn nur wenige Menschen können die Betreuung aus der eigenen Tasche bezahlen. 85 Prozent sind bedürftig, die Rechnung bekommt der Steuerzahler. Und diese Zahl wird wahrscheinlich weiter ansteigen. Weil man unterstellt, dass auch die Zahl älterer Menschen, die dement sind, stetig steigen wird. Obwohl gesicherte Studien dafür fehlen.

    Hinter den Kulissen arbeitet eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe deshalb daran, einen Ausweg aus dieser Kostenfalle zu finden. Denn obwohl professionelle Betreuer seit 2005 nicht mehr den tatsächlichen Aufwand abrechnen können, sondern eine Pauschale erhalten, sind die Kosten enorm gestiegen. Die Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage weist aus, dass die Gewinne der Berufsbetreuer von 2004 bis 2006 um durchschnittlich 5,6 Prozent gestiegen sind. Die Bundesregierung kann dafür noch keine Lösung anbieten. Eine Überlegung ist, anstelle von Berufsbetreuern noch mehr ehrenamtliche Betreuer zu beschäftigen, die eine geringe Aufwandsentschädigung erhalten.

    Wer mehr über die Kosten wissen will, der wird auf die Homepage des Bundesjustizministeriums verwiesen. An die Bürger appelliert man, mit einer Vollmacht zu bestimmen, wer im Krankheitsfall die Betreuung übernehmen soll. Um eine Fremdbetreuung zu verhindern. Und um damit die Kosten für den Staat überschaubar zu halten. 1,1 Millionen dieser Vollmachten, die zusätzlich zur Patientenverfügung abgefasst werden sollten, sind bereits bei der Bundesnotarkammer in Berlin registriert. Die Dunkelziffer ist noch weit höher.

    Tatsächlich scheint die Vorsorgevollmacht derzeit die einzige Möglichkeit zu sein, sich vor einer Fremdbetreuung zu schützen. Doch die Hoffnung ist trügerisch. Rainer Pitschas:

    "Der Richter muss sich nicht daran halten, er könnte auf der Grundlage der betreuungsrechtlichen Norm erkennen, dass andere Einschränkungen vorliegen. Und dann kann er gleich wohl einen Betreuer von Gerichts wegen bestellen."

    Für Markus Kurth von den Grünen widersprechen sich damit auch an dieser Stelle deutsches und internationales Recht.

    "Ich meine, dass in der Behindertenrechtskonvention der Schutzgedanke nicht mehr so im Vordergrund steht, sondern eher die Befähigung, seinen eigenen Willen in Rechtsgeschäften zum Beispiel vor allen Dingen auszudrücken und verwirklichen zu können. Und die Bundesregierung hängt immer noch sehr stark dem Schutz- und Fürsorgegedanken nach, was ausdrücklich auch nicht Bestandteil des geltenden Betreuungsrechtes sein sollte."

    Die Antwort der Bundesregierung auf die große Anfrage der Grünen bedarf einer ausführlichen öffentlichen Debatte. So wie bei der Debatte über die Patientenverfügung, die Bestandteil des Betreuungsrechts ist. Das Recht des Patienten, über sein Schicksal selber zu entscheiden, wurde am 19. Juni 2009 mit großer Mehrheit angenommen.

    Bisher hat sich keine Bundesregierung dieser öffentlichen Debatte gestellt. Ob es die jetzige Bundesregierung noch in dieser Legislaturperiode tun wird, bleibt abzuwarten.