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Differenzen zwischen CDU und CSU
"Die CSU kann es alleine nicht versuchen"

Der Politologe Heinrich Oberreuter glaubt nicht, dass die CSU angesichts des Streits in der Union die Fraktionsgemeinschaft aufkündigen und künftig bundesweit in den Wahlkampf ziehen werde. Es sei ja gerade der Vorteil der CSU, dass sie sich nicht um die vielfältigen Herausforderungen kümmern müsse, mit denen die CDU konfrontiert sei, sagte er im DLF. Dieses Alleinstellungsmerkmal wäre in dem Augenblick "kaputt", in dem die CSU überall antrete.

Heinrich Oberreuter im Gespräch mit Dirk Müller | 31.05.2016
    Der Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter.
    Politologe Heinrich Oberreuter: CSU hat den Vorteil, sich kaum um pluralistische Belange kümmern zu müssen. (dpa / picture-alliance / Andreas Gebert)
    Dirk Müller: Die CSU fühlt sich offenbar gar nicht mehr so wohl in ihrer Haut, zusammengespannt mit der CDU, zusammengespannt vor allem auch mit Angela Merkel und mit Peter Altmaier, mit Ursula von der Leyen und mit wem sonst noch. Horst Seehofer drängt darauf, dass die Schwesterpartei nicht weiter auf die SPD zugehen soll, drängt darauf, nicht weiter links der Mitte zu rücken, und er drängt darauf, dass die Kanzlerin einen härteren Kurs in der Flüchtlingspolitik führen soll. Die CDU wiederum warnt davor, die Unions-Familie nicht noch weiter zu spalten, denn jüngste Umfragen signalisieren, dass die Große Koalition insgesamt nicht einmal mehr als 50 Prozent der Stimmen erreichen würde, und das liegt nicht nur an der Schwäche der SPD. - Krisentreffen zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer heute Abend in Berlin.
    Horst Seehofer gegen Angela Merkel und auch umgekehrt - ein Dauerbrenner, ein Dauerthema - unser Thema jetzt mit dem Politikwissenschaftler Professor Heinrich Oberreuter. Guten Tag nach Passau.
    Heinrich Oberreuter: Ja, guten Tag.
    Müller: Herr Oberreuter, hört das Ganze erst auf, wenn einer von beiden gegangen ist?
    Oberreuter: Das wäre ja eine noch zugespitztere Dramatik, als sie gegenwärtig inszeniert wird, und das kann man sich eigentlich kaum vorstellen, obwohl beide ja eigentlich in einer Situation sind, in der die Frage, ob die Karriere verlängert wird oder nicht, und insofern drängt sich diese Zuspitzung auch auf.
    Aber ich glaube nicht, sondern wir haben ja ins Haus stehende Wahlen und die beiden Parteien brauchen eine gewisse Normalität. Aber sie haben auch zurecht, glaube ich, ein starkes Interesse an einer Eigenposition und die Bayern mehr als die CDU, denn die Bayern gewinnen ihre Stärke aus dieser spezifischen Eigenart und aus der Idee, den Freistaat Bayern und das Lebensgefühl dort zu vertreten, und insofern wird die CSU nicht so sehr schnell klein beigeben.
    "Es wäre schon nicht ganz falsch, auf die bayerischen Positionen einzugehen"
    Müller: Viele in der CSU, auch gerade in der Führungsspitze sagen ja auch hinter vorgehaltener Hand, entweder ist die Kanzlerin stur, nur stur, oder sie ist wirklich begriffsstutzig. Was stimmt denn?
    Oberreuter: Sie scheint schon ein bisschen stur zu sein und auch ein bisschen in die Richtung beraten zu werden, dass es Stärke eines Politikers ist, keine Fehler zuzugeben oder zumindest sich nicht öffentlich zu korrigieren. Faktisch hat sie sich ja doch vielfältig korrigiert, denn die Flüchtlingspolitik des Frühjahrs dieses Jahres ist nicht mehr die gleiche wie im Herbst des letzten.
    Auf der anderen Seite weiß auch Angela Merkel ganz genau, dass sie die bayerischen Stimmen braucht, um die Führungsposition der CDU im Bund zu verteidigen. Also es wäre schon nicht ganz falsch, auf die bayerischen Positionen einzugehen. Es wäre auch nicht falsch, glaube ich, darüber nachzudenken, ob der Weg nicht nur in die Mitte, wie vorhin gesagt worden ist, sondern die Demoskopen haben ja mittlerweile rausgebracht, dass die Mehrheit der Bürger die CDU links von der Mitte einordnet seit dem letzten Jahr, ob dieser Weg der richtige ist und ob nicht die anderen Kohorten in der Wählerschaft auch bedient werden müssen, gerade auch auf dem Hintergrund des Befundes der letzten drei blamablen Landtagswahlen, dass ja zwei Drittel der Wähler dort gesagt haben, zwei Drittel der AfD-Wähler dort gesagt haben, sie hätten auch CSU gewählt, wenn die Möglichkeit da wäre. Das Spektrum der CDU ist breiter als das, was gegenwärtig sich in den Vordergrund drängt.
    Müller: Fangen wir mit dem ersten Punkt, was Sie eben erwähnt haben. Die Kanzlerin hätte machen sollen, nämlich die einen oder anderen Positionen von der CSU übernehmen sollen. Was meinen Sie genau?
    Oberreuter: Sie hat ja zum Beispiel auch im Umgang mit den Türken und Herrn Erdogan und der Satire gesagt, sie hätte da einen Fehler gemacht.
    Müller: Hat sie immerhin zugestanden.
    Oberreuter: Das war aber zum ersten Mal. Und was die Bayern vermutlich gerne hätten, das wäre, dass sie auch mal sagen würde, na ja, die restriktiveren Positionen der CSU in Bezug auf die innere Sicherheit, in Bezug auf die Ausstattung der Flüchtlinge, die Begrenzung ihrer Mobilitätsmöglichkeiten, da hätte die Kanzlerin der CSU gefolgt, statt sie aus Berlin immer wieder in so eine Ecke gedrängt wird, als ob sie uneinsichtig und nationalistisch wäre.
    Das, glaube ich, wäre das, was die Bayern gerne erwartet hätten, aber ich halte das für relativ substanzlos, denn wenn die Politik sich geändert hat, dann kann man das ja selber sagen und man sieht ja im Augenblick, dass in Bezug auf dieses Treffen im Juni noch ganz andere Themen genannt werden wie die Erbschaftssteuer, wie natürlich auch wieder die innere Sicherheit, wie auch die Landwirtschaftsförderung und so. Man sucht ein Themenspektrum, das in gewisser Weise auch die Konfrontation rechtfertigt.
    Was eigentlich am aufregendsten ist, finde ich, das ist diese Auseinandersetzung um den Strauß-Satz. Wenn Strauß gesagt hat, rechts von der Union solle nicht, dann hat dieser Satz natürlich politische Bedeutung und hat keinen Verfassungsrang.
    Müller: Und den hat die Kanzlerin nicht verstanden?
    Oberreuter: Na ja. Ich glaube schon, dass sie ihn verstanden hat, und sie hat auch im Grunde nicht widersprochen. Ich meine, auch Strauß kann nicht gemeint haben, wenn er sagt, keine demokratisch legitimierte Partei, kann er ja nicht gemeint haben, dass man Prinzipien preisgeben muss, um undemokratisch und rechtsstaatswidrig argumentierenden politischen Kräften entgegenzukommen und ihnen sozusagen das Feuer unter dem Herd zu löschen.
    "Eine weitergehende programmatische Auseinandersetzung"
    Müller: Aber was heißt das, Herr Oberreuter? Heißt das jetzt, zumindest die CSU - die hat das artikuliert; das heißt, wir reden jetzt von der Gesamtunion -, die hätte jetzt sagen müssen, wir machen jetzt eine restriktivere Flüchtlingspolitik, wir übernehmen diesen Signalbegriff von der CSU, nämlich Obergrenze muss sein, und alles wäre besser geworden?
    Oberreuter: Na ja. Ich glaube nicht, dass alles besser geworden wäre, sondern das Klima wäre besser geworden. Und ich halte diese Diskussion angesichts der Tatsachen, die sich mittlerweile herausgestellt haben, für relativ wenig zielführend. Die CSU kann sich zugutehalten, dass ihr Realitätssinn, der ja nun auch durch die Ereignisse an den bayerischen Grenzen gefördert worden ist, sich bundespolitisch durchgesetzt hat, bei der Kanzlerin und auch beim Koalitionspartner.
    Aber worum es im Augenblick geht, das sind viel weiter gehende Fragen, nämlich die Fragen der gesellschaftspolitischen Positionierung der Unions-Parteien oder speziell der CDU. Es geht um die Fragen auch der sozialpolitischen Akzente, nicht nur, wie Stoiber geschrieben hat, sich um die Problemgruppen kümmern, sondern auch die Leistungsgruppen fördern und Ähnliches Dinge mehr. Es ist schon eine weitergehende programmatische Auseinandersetzung.
    Müller: Das sind große politische Defizite, die Sie jetzt ausmachen, die offenbar von der amtierenden Regierung nicht mehr bedient werden.
    Oberreuter: Die CSU sagt das zumindest und Stoiber hat es dramatisch formuliert und Seehofer unterstützt es, und das Risikopotenzial, das in dieser Auseinandersetzung wohnt, nämlich nach außen hin zu signalisieren, dass Klüfte entstehen, die nahezu unüberbrückbar erscheinen, was sie wahrscheinlich gar nicht sind, dieses Risikopotenzial ist angesichts der Stimmung in der Bevölkerung relativ groß, und es mehren sich ja auch die Stimmen, die darauf hinauslaufen, diese Diskussion zu zivilisieren.
    "Diese Politik ist nicht konsequent"
    Müller: Ist Angela Merkel für den Popularitätszerfall der Union verantwortlich?
    Oberreuter: Nun ja, Sie stellen so gerne sehr dramatische Fragen. Ich meine, man kann zumindest sagen, dass Angela Merkel durch einen gewissen Realitätsverlust im Herbst des letzten Jahres und durch eine doch relativ lang zelebrierte Offenheit gegenüber den Flüchtlingsströmen, auch durch Inkonsequenzen - ich meine, man kann nicht dankbar sein dafür, dass die Ströme abbrechen, und auf der anderen Seite die Staaten kritisieren, die die Balkan-Route geschlossen haben -, diese Politik ist nicht konsequent und sie war auch nicht realistisch und sie hat natürlich Popularität gekostet, wie man am Aufstieg der AfD sieht.
    Müller: Dann hat Angela Merkel die AfD groß gemacht?
    Oberreuter: Das halte ich für übertrieben. Ich glaube, dass die Politik insgesamt in den letzten Jahren ein bisschen die Haftung zu den normalen, einfachen und einfach denkenden Menschen verloren hat und dass die AfD sich hier als Artikulationsinstrument positioniert hat und dass die aktuellen Zuspitzungen zum Beispiel der Flüchtlingslage dazu gekommen sind. Ursächlich für diese Entwicklung ist Angela Merkel sicher nicht, aber sie ist auch nicht eine Kraft, die dieser Entwicklung entschieden entgegengetreten wäre.
    Müller: Herr Oberreuter, wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich möchte das trotzdem noch einmal fragen. Seit Monaten geht jetzt dieser Streit. Seit Monaten die Attacken von Seehofer und anderen CSU-Politikern in Richtung Berlin, in Richtung Angela Merkel. Warum ist die CSU nicht so konsequent und sagt, wir versuchen es allein?
    Oberreuter: Die CSU kann es alleine nicht versuchen, weil sie ihr Alleinstellungsmerkmal, nämlich die Vertretung bayerischer Interessen auf bundespolitischer und europapolitischer Linie verlöre in dem Augenblick, in dem sie politische Programme für den Landstrich zwischen Hamburg und Lindau formulieren müsste. Das ist ja geradezu ihr Vorteil, dass sie die Herausforderungen, die pluralitären Herausforderungen nicht hat, die die CDU hat und andere, und dass sie eine Identität repräsentieren kann, die auch pluraler wird in sich, die aber auf der anderen Seite das Gefühl von Menschen befriedigt zu sagen, wir haben eine politische Kraft, die für uns einsteht. Dieses Alleinstellungsmerkmal wäre in dem Augenblick kaputt, in dem die CSU überall anträte.
    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Politologe Professor Heinrich Oberreuter. Vielen Dank für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag.
    Oberreuter: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.