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Diversität im Spitzensport
Testosteron – eine gesellschaftliche Haltungsfrage

Die südafrikanische Läuferin Caster Semenya hat einen für eine Frau vergleichsweise hohen Testosteronspiegel. Sie darf deshalb nur dann bei den Frauen starten, wenn sie testosteronsenkende Medikamente einnimmt. Aber gehört das zur Chancengleichheit im Sport? Und wo endet die?

Von Marina Schweizer |
Semenya trägt ihr Lauftrikot und lächelt.
Caster Semenya bei einem Wettkampf in den USA (2019) (dpa/picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jeff Chiu)
Leistung im Spitzensport kann auf vielen Komponenten beruhen. Darunter Fleiß, Wille – aber auch ganz besondere körperliche Fähigkeiten. Wer groß und wendig ist, hat bessere Chancen im Basketball. Klein und kräftig ist im Turnen günstig. Und eine bestimmte Anlage im Fußgelenk kann Sprintern helfen, schnell zu sein. Teile des sportlichen Talents sind also häufig körperliche Ausnahmeerscheinungen. Ist das unfair? Nicht so einfach zu beantworten, findet der Sportmediziner Perikles Simon. Aber:
"Ich habe früh in meiner Sozialisierung im Sport erkennen müssen: Da gibt es also wesentlich begabtere Menschen als dich. Da würde ich jetzt auch nicht auf die Idee kommen, dass das ein unfairer Wettkampf war. Die sind physisch tatsächlich einfach definitiv begabter gewesen. Und dazu gehört natürlich auch eine körperliche Veranlagung."
Prof. Dr. Perikles Simon (Sportmediziner) bei Menschen bei Maischberger - Gedopt, gelogen, gewonnen: Wie kaputt ist der am 08.06.2016, Koeln Copyright: Schülerx/xEibner-Pressefoto EP_jse

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Prof Dr Perikles Simon, Sportmediziner (Imago)
Allerdings nicht die körperliche Veranlagung eines vergleichsweise hohen Testosteronwertes. Der Welt-Leichtathletikverband hat sich zum Beispiel festgelegt: Testosteron macht einen entscheidenden, für die Frauenkategorie teilweise unzulässigen Unterschied bei der Leistungsfähigkeit – die Studienergebnisse, die der Verband für seine Regel herangezogen hat, sind umstritten.
Doch auch die Bochumer Medizinprofessorin Annette Richter-Unruh sieht das so. Sie befasst sich als Endokrinologin unter anderem mit Menschen, deren Hormonhaushalt von der Norm abweicht. Sie sagt: "Das Testosteron ist eine Leistungssteigerung und dann schon nicht fair in dem Bereich."

Intersexuelle Athletinnen: "Eine Gruppe herausgegriffen"

Darf Testosteron also herausgehoben werden unter den körperlichen Merkmalen, die natürlich und ohne Doping auftreten? Der ehemalige UN-Sonderberichterstatter für Recht und Gesundheit, Dainius Puras, sieht eine Schieflage, weil sich Sportverbände bei besonders erfolgreichen Athletinnen auf das Merkmal Testosteron konzentrierten: Puras 2018 im Deutschlandfunk.
"In der Wissenschaft und Literatur kann man unterschiedliche Ergebnisse finden. Ich zweifle die Studien nicht an. Was ich aber anzweifle, ist, dass man sich auf eine Gruppe fokussiert. Eine Gruppe herausgreift. Obwohl wir wissen, dass es vor allem im Sport viele Fälle gibt, bei denen man bei Männern und Frauen sieht, dass Menschen Vorteile haben."
Dainius Puras, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit.
Dainius Puras, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Gesundheit. (dpa/ picture alliance/ Martial Trezzini)
Selbst der Internationale Sportgerichtshof CAS weist die Diskriminierung durch die Testosteronregel nicht von der Hand. Allerdings sei diese zum Schutz des Wettbewerbs notwendig, vernünftig und angemessen. Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, sagen Caster Semenyas Unterstützer.

Blutanomalie: Kein Nachweis gegen Pechstein

Ein Beispiel, bei dem es auch lange um auffällige Blutwerte und die Sorge um illegale Leistungssteigerung ging, ist das der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Vor Jahren wurde in ihrem Blut etwas gefunden, bei dem die Internationale Eislaufunion von einem Leistungsvorteil ausging: Eine erhöhte Anzahl roter Blutkörperchen – ähnlich wie beispielsweise nach Blut- oder EPO-Doping. Pechstein wurde Doping vorgeworfen, die Athletin gesperrt. Sie stritt diesen Vorwurf stets ab und verwies auf eine vererbte Blutanomalie.
Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein bei einer Pressekonferenz 2018. 
Claudia Pechstein (dpa / Hendrik Schmidt)
Gegen die Sperre klagte sie. Es gab wissenschaftliche Gutachten. Sportmediziner Perikles Simon erinnert sich: "Es ging um die Frage: Ist das denn jetzt durch externe Maßnahmen getriggert bei ihr? Und dafür waren diese Gutachten dieser Form notwendig, und dann wurde entschieden."
Juristisch wurde die Zwei-Jahres-Sperre nie zurückgenommen, aber: Eine Expertenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes befand: Anhand der Blutbildverläufe und Erythrozyten-Merkmale von Claudia Pechstein könne der Doping-Nachweis nicht geführt werden. Die Sperre bezeichnete die Kommission als Fehlurteil. Inzwischen akzeptiert der Sport, dass Pechstein bei nationalen und internationalen Wettkämpfen starten darf.
Stellt sich die Frage: Warum werden hier auffällige Blutwerte akzeptiert und an anderer Stelle nicht? Dass Testosteron im Sport eine besondere Rolle spielt, erklärt sich Sportrechtlerin Anne Jakob so:
"Testosteron wird als natürlicher Leistungsvorteil deshalb nicht akzeptiert, weil es einen Einfluss auf das binäre System hat. Es handelt sich ja bei Testosteron um ein Geschlechtshormon und deshalb spielt es eine Rolle bei der im Sport herkömmlichen Einordnung zwischen Mann und Frau. Andere Vorteile, wie etwa ein besonders geeigneter Körperbau, Körpergröße oder auch Blutanomalien haben auf das Geschlecht keine Einwirkungen und werden deshalb eher akzeptiert."

"Leistungssteigerung durch Testosteron nicht geklärt"

Aus Jakobs juristischer Sicht eignet sich Testosteron allerdings nicht als Bestimmungsmerkmal im Sport: "Weil zum einen nicht eindeutig geklärt ist, welche Leistungssteigerung Testosteron hervorruft. Und vor allem: Ob die eben einheitlich bewertet werden kann. Ich gehe davon aus, dass die bei allen Individuen auch unterschiedlich ist."
Wenn Testosteron Grundlage für eine Leistungsbeschreibung wäre, müsste man besondere personenbezogene Daten öffentlich machen, was aus Jakobs Sicht gegen den Datenschutz verstößt.
Caster Semenyas Problem ist also, dass ihre Blutwerte etwas mit Geschlechtshormonen zu tun haben. Und: Das biologische Geschlecht wird im Sport nicht als Kontinuum betrachtet - wie inzwischen von immer mehr Forschenden. Es gibt nur die binären Kategorien: Mann oder Frau. Medizinerin Annette Richter-Unruh:
"Ob diese Einteilung richtig und gut ist und ob sie so bleiben sollte, das sage ich nicht. Es ist einfach im Moment in unserer Gesellschaft so, dass wir binär leben und auch binär denken."

"Ziemlich sicher Volkswahrnehmung"

Auch das Sportpublikum? Perikles Simon hat die Vermutung: Genau in dieser Frage spiegle der Sport etwas Gesellschaftliches:
"Wir haben das schwerwiegende Problem hier, dass es tatsächlich ziemlich sicher Volkswahrnehmung ist, nach der da entschieden wird, ob das ein unbotmäßiger Vorteil ist, den solche Sportlerinnen haben oder nicht."
Doch auch dem Sportpublikum sind die fließenden Grenzen zwischen den Geschlechtern heute präsenter, als noch vor Jahren. Und manche Verantwortliche in Verbänden grübeln schon einige Zeit an diesem Thema. Müsste auch der Sport ein gewisses Umdenken inzwischen mehr spiegeln?
"Ich glaube, dass es wichtig ist, sich darüber Gedanken zu machen und dass man auch überlegen muss, wie man intergeschlechtliche Menschen mit integrieren kann. Letztendlich sind das auch nur ganz wenige Patienten, die so hoch in den Leistungssport kommen. Und im Amateursport sollte man diese Unterschiede eigentlich alle gar nicht machen", sagt Endokrinologin Annette Richter-Unruh.
Im Breitensport gibt es in manchen Verbänden schon Ideen. Perikles Simon sieht bei dieser Diskussion aber auch eine Aufgabe für die Gesellschaft:
"Ich meine, wir lernen zunehmend damit umzugehen, dass es Intersexualität gibt. Ja, wir haben das jahrzehntelang verdrängt in unserem nicht nur kulturellen Leben, auch sonst in unserem Berufsleben. Und da muss ich sagen für diesen Lernprozess, ist es ja schon mal gut, dass wir die Diskussion jetzt überhaupt führen. Und die kann man ja noch weiterführen."
30. Juni 2019: Läuferin Caster Semenya startet bei einem Diamond League Athletics Prefontaine Classic an der Stanford University in Kalifornien. 
Umstrittene Regel des Leichtathletik-Weltverbandes - Caster Semenya klagt erneut gegen Testosteron-Grenzwert
Die Mittelstrecken-Läuferin Caster Semenya hat aus Sicht des Leichtathletik-Weltverbandes einen zu hohen Testosteron-Wert – und müsste diesen für die Teilnahme an Wettkämpfen mit Medikamenten drücken. Die 30-Jährige hat dagegen Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.
Möglicherweise wird sie von einem Gerichtsurteil noch weiter angefacht: Caster Semenya hat gegen die Testosteronregel des Weltleichtathletikverbandes Klage am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht.