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Doppelangriff gegen die Sucht

Medizin. Rauchen ist Sucht. Die Kombination von psychischer und körperlicher Abhängigkeit macht es schwierig, von der Kippe loszukommen. Eine Oxforder Forschergruppe hat einen Wirkstoff entdeckt, der helfen soll

Von Volkart Wildermuth | 24.01.2007
    Eigentlich ist Nikotin eine chemische Waffe, mit der sich der Tabak gegen Fraßfeinde zur Wehr setzt. Tief inhaliert verdirbt er aber nicht den Magen, sondern aktiviert das Belohnungssystem des Gehirns. Das aber gewöhnt sich schnell an den Kick aus der Zigarette, deshalb ist es so schwer für Raucher, aufzuhören. Aus dem Pflanzenreich stammt auch das neue Medikament gegen die Sucht. Es handelt sich um einen Stoff aus dem Verteidigungsarsenal des Goldregens, der aus Gründen der Verträglichkeit und vielleicht auch der Patentierbarkeit chemisch etwas abgewandelt wurde. Varenicline nennt sich das Molekül, unter dem Namen Champix wird es ab März auch in deutschen Apotheken zu erhalten sein. Im Gehirn entfaltet das Medikament eine doppelte Wirkung, wie Dr. Kate Cahill von der Oxforder Tabaksucht-Gruppe erläutert:

    "Zum einen wirkt es wie abgeschwächtes Nikotin. Es setzt im Gehirn die gleichen Botenstoffe frei und dämpft so die Entzugssymptome, unter denen die Exraucher leiden. Gleichzeitig bindet der Wirkstoff auch an die Nikotinrezeptoren und blockiert sie. Deshalb fühlt sich ein Zug an der Zigarette nicht mehr so gut an, wie früher. Es ist eine Art Doppelangriff."

    Der Raucher hat weniger unter dem Entzug zu leiden, und wenn er einmal rückfällig wird, dann folgt auch auf einen Lungenzug nicht der gewohnte Kick. So chemisch gestärkt fällt das Aufhören leichter. Das zeigen auch die Studien, die Kate Cahill für die Cochrane Collaboration systematisch untersucht hat.

    "Es sieht viel versprechend aus. Es gibt bislang nur sechs Studien, aber der Wirkstoff war sowohl dem Placebo als auch dem Standardmedikament, einem Antidepressivum, überlegen. Im Vergleich zu einer bloßen Beratung verdreifachte sich der Therapieeffekt. Das ist eine gute Wirkung. Im Gegensatz zu dem Antidepressivum war Varenicline auch relativ gut verträglich und sicher."

    Das klingt positiv, leider ist die Rückfallquote aber trotzdem hoch. Ohne jede Unterstützung kehren innerhalb eines Jahres neun von zehn Rauchern zur Zigarette zurück. Mit Hilfe von Nikotinpflastern oder dem Antidepressivum Bupropion schaffen es 16 Prozent der Nikotinabhängigen, clean zu bleiben. Der neue Wirkstoff ermöglicht es sogar fast einem Viertel der Raucher, ihr Leben auch langfristig ohne Nikotin zu bewältigen - ein deutlich besserer Wert, aber immer noch werden rund drei Viertel der Raucher rückfällig. Mit Chemie alleine lässt sich die Sucht sowieso kaum beenden. Auch der Hersteller von Varenicline rät, das verschreibungspflichtige Medikament am besten im Rahmen einer Verhaltenstherapie für etwa drei Monate einzusetzen. Obwohl Varenicline sicher kein Wundermittel ist, war Kate Cahill von den Daten angetan.

    "Zum ersten Mal in zehn Jahren wurde ein neuer Wirkstoff zur Raucherentwöhnung zugelassen. Ich halte es für einen Meilenstein, trotzdem handelt es sich nur um einen weiteren Pfeil im Köcher, nicht um eine magische Kugel, aber es eröffnet den Ärzten eine zusätzliche Möglichkeit, den Rauchern beim Aufhören zu helfen."

    Und solche Hilfe wird dringend benötigt. Schließlich wächst der Druck auf die Raucher an allen Fronten.

    "Wenn man das Rauchen in der Öffentlichkeit einschränkt wie hier in England und vielleicht bald in Deutschland, dann muss man das durch Hilfsangebote für Raucher begleiten. Ich bin sicher, wenn es schwieriger wird, seine Zigarette ungestört zu genießen, dann werden viele Raucher ihren Arzt um Rat fragen. Das muss man unterstützen, ein Gesetz reicht nicht aus, man muss auch dem einzelnen Raucher helfen, auf die Zigarette zu verzichten."

    Varenicline kann die Entzugssymptome abmildern und den Übergang in ein rauchfreies Leben erleichtern. Ob es einem Raucher aber endgültig gelingt, die Nikotinsucht zu überwinden, hängt letztlich nach wie vor von der eigenen Motivation und dem Durchhaltevermögen ab.