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DOSB setzt erstes wichtiges Zeichen

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat als erste Dachorganisation in Deutschland eine Vereinbarung zur Umsetzung der Empfehlungen des Runden Tisches zum Thema "Sexueller Kindesmissbrauch" unterschrieben. Dadurch soll die Prävention in den Sportvereinen verbessert werden, ohne Ehrenamtliche unter Generalverdacht zu stellen.

Von Thorsten Poppe | 26.05.2012
    Der Sport ist besonders anfällig für sexuellen Kindesmissbrauch. Denn er bietet nicht nur eine hohe emotionale Abhängigkeit von Kindern mit Erwachsenen, sondern er besitzt auch schnell eine körperliche Nähe. Es gibt einfach die Situationen, dass sich beispielsweise nach dem Sport umgekleidet oder geduscht werden muss. Diese spezifischen Bedingungen hat nun auch der Deutsche Olympische Sportbund erkannt. Er will Kinder und Jugendliche in den Vereinen vor sexualisierter Gewalt besser schützen. Deshalb folgt der Verband jetzt den Empfehlungen des Runden Tisches "Sexueller Kindesmissbrauch". Der Sport hat als erste gesellschaftliche Organisation in Deutschland diese Vereinbarung getroffen - zusammen mit dem Unabhängigen Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig:

    "Das ist eine ganz wichtige Signalwirkung, weil man sich vergegenwärtigen muss, dass im Sport 7,5 Millionen Kinder und Jugendliche Sport treiben. Die spezifischen Bedingungen des Sportes führen dazu, dass man sich gerade da über den Schutz von Kindern und Jugendlichen Gedanken machen muss. Wir haben vereinbart, dass wir gemeinsam alles dafür tun werden, dass das Thema aus der Tabu-Zone herausgeholt wird."

    Es ist notwendig, dass der Sport bei diesem Thema voranschreitet. Denn laut einer Minimalschätzung besitzt einer von hundert Männern in Deutschland pädophile Neigungen. Überträgt man nun diese Schätzung auf die über 250.000 Übungsleiter in den Sportvereinen, kommt man allein schon auf 2.500 Menschen mit solchen sexuellen Absichten. Deshalb sensibilisiert der Verband seine Landesportbünde mit verschiedenen Maßnahmen. Neben extra nur dafür zuständigen Mitarbeitern finden regelmäßig Fortbildungen statt, und es gibt in den verbandsinternen Medien darüber eine verstärkte Berichterstattung. Denn nur vor Ort im Verein können die Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt geschützt werden. Deshalb hat sich der DOSB verpflichtet nachzuhaken, was denn von seinen Unterstützungsangeboten überhaupt in den Vereinen ankommt. Ohne dieses Monitoring wäre auch für den Vizepräsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Ingo Weiss, die getroffene Vereinbarung nur ein wertloses Blatt Papier:

    "Wir wollen ja nicht in irgendeinen Beamtenstatus verfallen und sagen, ja gut, jetzt haben wir uns dem Thema gewidmet, jetzt war es das. Wir werden uns mit diesem Thema bei all unseren Sitzungen und Versammlungen, Ausbildungslehrgänge für Trainer, für Funktionäre, für Schiedsrichter, da werden wir uns mit diesem Thema befassen. Deshalb ist dieses Monitoring entscheidend, weil das Monitoring abfragt, was kommt bei den Verbänden jetzt an, was machen sie, und was sagen die Verbände dazu. Also man wird dort ganz eindeutig gefragt, wie gehst Du mit dem Thema um, wie bringst du das in Deine Trainerausbildung, was machst Du, was tust Du."

    Das Monitoring wird zeigen, wie lang der Weg ist, dieses Thema in den Köpfen der engagierten Ehrenamtlichen zu verankern. Wie wichtig eine Sensibilisierung gerade für die Trainer, Betreuer oder auch die Eltern ist, zeigt ein aktueller Fall. Der Berliner Fußball-Verband (BFV) kämpft schon seit Jahren gegen sexuellen Kindesmissbrauch im Sport, und gilt als Vorreiter. Aber erst in den letzten Monaten ist das Thema so richtig an der Basis angekommen. Und plötzlich kann es gelingen, jemanden mit pädophilen Neigungen schon im Vorfeld aus dem Verkehr zu ziehen, wie BFV-Vizepräsident Gerd Liesegang berichtet:

    "Da wollte also ein junger Mann als Betreuer in einem Verein anfangen. Hatte sich aber eigenartig verhalten. Eine Mutter war clever, hat aufgepasst, recherchiert im Internet nach dem Namen. Und wie das bei Google manchmal passiert, taucht da ein Name mit auf. Er hatte schon wieder Fotos ins Netz gesetzt, auf den maßgeblichen Seiten über Kinder, und war schon wieder auf dem Weg seine Lebensart auszuleben. Die Nachfrage kam dann zu uns, zum Fußballverband, ob wir den kennen. Und der war uns bekannt, hatte schon Fotos gemacht. Und dann hat der Verein vorher auch gefragt, zeig uns mal Dein Führungszeugnis. Und dann wurde das Gesicht eben weiß, und dann war er weg, weil er eben zugegeben hat, dass er solche Neigungen hat. Wir konnten dann auch die anderen Vereine darauf hinweisen, der lebt da, der wohnt da in dem Bezirk, also wenn die Person sich da vorstellt, arbeiten sie alle mit, dass der keine Jugendmannschaften betreut."

    Eine entscheidende Rolle spielt in diesem Fall das Erweiterte polizeiliche Führungszeugnis. Darin stehen neben eingetragenen Straftatbeständen wie z.B. "Trunkenheit am Steuer" auch Angaben über Sexualdelikte. Für Gerd Liesegang und viele Experten ist es ein unverzichtbarer Baustein bei der Prävention von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche. Doch in der Vereinbarung zwischen DOSB und Missbrauchsbeauftragtem steht davon nichts. Denn diese enthält keinen konkreten Maßnahmenkatalog, sondern Ziel sei es, solche Schritte selber verbandsintern umzusetzen. Der Vizepräsident des DOSB Ingo Weiss befürchtet, dass beispielsweise eine Pflichteinführung zur Vorlage in den Vereinen nicht nur einen laschen Umgang mit dieser Problematik fördert. Sondern auch die Ehrenamtlichen von ihrer freiwilligen Arbeit mit Kinder und Jugendlichen abschrecken könnte:
    "Aber wir sagen an erster Stelle, das Führungszeugnis alleine ist nicht das Allheilmittel. Für uns ist es wichtig, die Kinder, die Jugendlichen, die dort ggf. gefährdet sind, stark zu machen, dass sie selber von sich aus reden und sagen, Mensch der neue Trainer, den wir haben, der ist zwar klasse, aber warum der immer mit uns unter die Dusche geht, das weiß ich auch nicht. Kinder ticken da anders, deshalb muss man versuchen, Kinder dort auch fit zu machen. Desweiteren muss man natürlich die Eltern sensibilisieren, man muss die Vereine sensibilisieren, deshalb ist es für uns wichtig, sich mit dem Thema im Sport zu befassen, und dort alle Leute vor Ort fit zu machen."

    Das erweiterte polizeiliche Führungszeugnis kann nicht alleine vor Pädophilen schützen, aber es verunsichert die Szene eindeutig. Für den DOSB ist es jedoch erst einmal sinnvoller, neben einer Kultur des Hinsehens auch einen Ehrenkodex zu etablieren. Darin versprechen die Betreuer die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendliche zu schützen. Solche Maßnahmen könnten gerne durch die freiwillige Abgabe des polizeilichen Führungszeugnisses ergänzt werden. Der Unabhängige Missbrauchsbeauftrage empfiehlt dieses Vorgehen jedoch in jedem Fall:

    "Der Verein sollte einen Ehrenkodex, wie auch vom DOSB entwickelt, anwenden und den auch von den ehrenamtlichen Mitarbeitern unterzeichnen lassen. Natürlich muss ein hauptamtlicher Mitarbeiter ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Und ich empfehle das jedem Verein, auch von den Ehrenamtlichen ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen zu lassen. Und Sicherheit in einem Sportverein kann man nur Schritt für Schritt erreichen, und auch nur mit den Haupt- und ehrenamtlich Tätigen, nur gemeinsam mit dem Eltern und den Kinder und Jugendlichen."

    Der DOSB stellt sich dem Problem mit der getroffenen Vereinbarung offensiv. Auch wenn es den Anschein hat, dass der Sport erst einmal unter Generalverdacht gestellt wird, er ist keine Täterorganisation. Gerade die ehrenamtlich Tätigen sollten das beim Ausüben ihrer Aufgabe mit berücksichtigen, und sich ebenfalls zum Schutz der Kinder und Jugendlichen damit offensiv auseinandersetzen.