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Drei Tage neue Tanzformen

Die "Tanzplattform" gilt als bedeutendes Schaufenster des zeitgenössischen Tanzes in Deutschland. Zum 10. Mal wurden an drei Tagen aktuelle Strömungen und Tendenzen der freien Tanzszene präsentiert.

Wiebke Hüster im Gespräch mit Katja Lückert | 26.02.2012
    Katja Lückert: Die "Tanzplattform" gilt als das bedeutendste Schaufenster des zeitgenössischen Tanzes in Deutschland, es ist eine Art Bestandsaufnahme aktueller Strömungen und Tendenzen der freien Tanzszene. Die "Tanzplattform" findet alle zwei Jahre und an wechselnden Orten statt – das zehnte Mal jetzt in Dresden, im seinerseits 100-jährigen Festspielhaus Hellerau, sodass sich da in diesem Jahr gleich zwei Jubiläen trafen. Drei Tage lang neue Tanzformen wurden an diesem Wochenende in Dresden präsentiert, für die Eröffnung war Constanza Macras mit der Company "Dorkypark" eingeladen, das Stück hieß "Berlin elsewhere". Doch bevor wir heute Nachmittag über einzelne Produktionen sprachen, erklärte Wiebke Hüster rasch die Struktur dieser Veranstaltung, bei der es keine Preisverleihung gab.

    Wiebke Hüster: Also es ist nicht wie das Filmfestival in Cannes, wo es am Ende Preise gibt, oder bei der Berlinale; es ist ein Format, das dazu dient, ausländischen Veranstaltern und inländischen der gesamten Szene eigentlich, also auch den Choreografen und Tänzern, zu zeigen, was ist der Stand freien Tanzes in Deutschland, was kann Deutschland im freien Tanz.

    Lückert: Sie haben zwei Stücke gesehen: "Dance for nothing" und "Revolver besorgen" – beides ziemlich interessante Titel. Was verbirgt sich dahinter?

    Hüster: Was man zusammenfassend sagen kann, ist, dass man doch den Eindruck gewinnen muss, dass sich diese performancebetonte Ausrichtung des freien Tanzes irgendwie totläuft. Es fehlen die Themen. Zum Beispiel eine sehr gute Tänzerin, Brit Rodemund, tanzt ein Solo von Helena Waldmann, das heißt "Revolver besorgen", und man sieht sie eigentlich, wie sie Fragmente, Posen, auch kleinere Kombinationen, Schrittkombinationen aus großen klassischen Produktionen der Vergangenheit reproduziert, hier in Trainingskleidern, so eine Art trainingskleiderähnlichem Kostüm, und dazu werden Texte eingespielt, die sich in irgendeiner Form mit Demenz beschäftigen. Man erkennt aber keinerlei Zusammenhang zwischen dem strengen Bewegungskanon und dem, was da als Text zugespielt wird. Es ist sozusagen so eine aufgewürzte Bedeutung, die mit dem Tanz dann nur im selben Zeitraum, muss man fast schon sagen, und im selben Ort stattfinden, aber man kann das gar nicht wirklich als Stück bezeichnen, das Sinn ergeben würde.
    Das gleiche bei Eszter Salamon, "Dance for nothing". Sie benutzt von John Cage, "Electra or nothing", ein Vortrag von Cage über Musik und seine Auffassung von Komposition, den rezitiert sie mit einem stark akzentbelasteten Englisch und geht dabei in so einem kleinen Raum vor den Zuschauern auf und ab und macht so ein paar Bewegungen von weiß ich nicht, wie soll man sagen, zeitgenössischer Tanzgestik. Auch da: Was ist der Sinn davon, womit kann der freie Tanz behaupten, anders, besser, innovativer, experimenteller zu sein als das, was an den Stadttheatern stattfindet? Ich sehe es nicht! Man hat den Eindruck, dass hier schon versucht wird, in Bewegung etwas auszudrücken, aber das größere Problem ist, dass man gar keine Themen hat. Es ist rein selbstreflexiv, es bezieht sich rein darauf, was in dieser kleinen Szene in den letzten 20 Jahren selber so gemacht wurde, mit einer großen Verbeugung jetzt vor William Forsythe in Gestalt dieses Semperoper-Ballettabends, der begeistert besucht wurde von den Festivalgästen.

    Lückert: Kommen wir noch mal zu William Forsythe, das war der große Name der diesjährigen "Tanzplattform".

    Hüster: William Forsythe ist insofern so ein wichtiger zentraler Name - es gibt eigentlich gar keinen anderen, wenn Sie mich fragen -, auf den sich hier die Kräfte, die geistigen, konzentrieren, weil William Forsythe sozusagen es gestattet, theoretisch und praktisch sich mit Bewegung zu beschäftigen, ohne dass man in den Ruch kommt, etwas mit dem angeblich so veralteten Ballett zu tun zu haben. Was wir sahen war "Artifact Suite" von 2004, dann das berühmte "Enemy in the Figure", eines von meinen Lieblingsstücken, 1989 in Frankfurt aufgeführt. Das ist das Stück mit der geschwungenen Holzwand, hinter der sich die Tänzer immer wieder verbergen können, mit dem Seil, das immer wieder über den Boden geschlagen wird, und mit diesen Bewegungen, die auch diese Wellenform der Holzwand und des geschwungenen Seils aufnehmen. Das ist ein wunderbares, sehr aufregendes Stück, das als Thema eben das Sichtbare und das Unsichtbare und den Fluss der Energie des Lichts durch den Theaterraum zum Thema hat.
    Was jetzt hier als neu allenfalls apostrophiert werden könnte – Forsythe nannte das "Neue Suite" -, ist eine Folge existierender Duette, die er aus anderen Stücken herausgelöst hat und dann hier zum mittleren Teil dieses Abends zusammengefügt hat.

    Lückert: Wiebke Hüster über die Produktionen auf der "Tanzplattform" in Dresden.