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Dresdener Forscher
Selbstreparierender Gummi

Gummi ist ein hochelastisches Material, aus dem Dichtungen, Stiefel oder Autorreifen hergestellt werden. Nachteil: Ist die enthaltene Verbindung zwischen Kautschuk und Schwefel einmal zerstört, lässt sie sich nicht mehr reparieren. Wissenschaftler in Dresden haben nun aber einen Gummi entwickelt, der sich selbst repariert.

Von Bernd Schlupeck | 13.01.2016
    Ein Reifenmonteur füllt Luft in einen neuen Winterreifen
    Forscher wollen Material für Autoreifen entwickeln, damit man keinen Platten mehr bekommt. (picture alliance / dpa / Carmen Jaspersen)
    Eine gelblich-weiße Masse ähnlich einem Kaugummi wird immer und immer wieder zwischen zwei Walzen hindurchgezwängt, mit dem Messer abgelöst, zusammengeklappt und erneut zwischen das Walzwerk gestopft. Der Prozess erinnert an die Herstellung von Nudelteig in einer Nudelmaschine. Nur das die Wissenschaftler im Technikum des Leibniz-Instituts für Polymerforschung in Dresden einen speziellen Gummi mischen.
    "Was wir hier verfolgt haben, ist ein auf dem Prinzip der autonomem Selbstheilung basierendes Konzept, das darin besteht, dass man durch chemische Modifikationen von kommerziell verfügbaren Kautschuken, sogenannte supramolekulare Strukturen in dem System erzeugt, die als thermoreversible Vernetzungspunkte wirksam werden", sagt Institutsleiter Gert Heinrich.
    Das heißt im Klartext: Die Dresdner haben einen neuen Gummi entwickelt, der sich selbst reparieren kann. Bisher wird Gummi durch Vulkanisation von Kautschuk mit Schwefel hergestellt. Bei einer Temperatur von 120 bis 160 Grad Celsius werden die langkettigen Kautschukmoleküle durch Schwefelbrücken vernetzt. Nachteil: Diese Brückenverbindungen werden durch Nägel oder Kieselsteinchen dauerhaft zerstört. Entstehende Löcher oder Risse etwa in Autoreifen können nur geflickt werden, wenn die Schadstelle mit einem Gummipfropf verschlossen und erneut vulkanisiert wird. In Dresden sind die Wissenschaftler einen anderen Weg gegangen. Sie haben handelsüblichen Brombutylkautschuk genommen und mit einem Kohlenstoff-Stickstoff-Zusatz vulkanisiert.
    Das Konzept beruht darauf, dass so Klaus Werner Stöckelhuber, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut, "ionische Cluster, also Cluster aus geladenen Atomen, welche an die Hauptkette des Polymers gebunden sind, als Netzknoten fungieren. Wenn diese Netzknoten jetzt zerstört werden, kann durch die Anziehung der negativen und positiven Ionen, der Knoten wieder neu gebildet werden."
    Die Netzknoten sind der Schlüssel zum selbstreparierenden Gummi. Dadurch bleiben die Kautschukmoleküle bei der Vulkanisation elastisch, und sind reversibel untereinander verknüpft. Das heißt: Der Selbstreparaturmechanismus funktioniert ähnlich einer Steckverbindung, die gelöst und wieder zusammengesteckt werden kann. Hinweise, dass Kautschuk, entsprechend verändert, an bestimmten Stellen lösbare Verbindungen eingehen kann, fanden die Dresdner durch Literaturrecherche und eigene Versuche heraus.
    "Der Heilungsprozess ist stark temperaturabhängig"
    Als Test haben die Forscher ihren Gummi zerschnitten und die Netzknoten so absichtlich zerstört. Legen die Wissenschaftler die Stirnflächen der getrennten Teile danach aneinander, finden die offenen Enden zusammen. Kurze Zeit später liegt der Gummi wieder in einem Stück vor - ganz ohne Vulkanisation. Eine Narbe bleibt, die aber nur unter dem Elektronenmikroskop zu sehen ist.
    "Der Heilungsprozess ist strak temperaturabhängig. Bei Raumtemperatur, würde ich sagen, so ungefähr 24 Stunden, dass der Reifen wieder heilt. Allerdings bei erhöhter Temperatur geht das deutlich schneller, sodass wir da nach wenigen Stunden schon wieder ein Material haben, was fast dem Ausgangsprodukt entspricht."
    Um die Selbstreparatur zu beschleunigen, seien Temperaturen von 100 bis 120 Grad Celsius notwendig, wie Klaus Werner Stöckelhuber ergänzt. Bei einer gerade passierten Reifenpanne wäre der Mechanismus also wenig hilfreich. Damit sich ein kaputter Reifen selbstständig reparieren kann, müsste das Auto abgestellt werden.
    Dennoch haben die Wissenschaftler das Material für neue Autoreifen konzipiert. Es eignet sich beispielsweise für die Innenschicht, die dafür sorgt, dass der Reifen luftdicht ist. Bis der selbstreparierende Gummi aber in Serie geht, haben die Dresdner Wissenschaftler noch jede Menge Grundlagenforschung zu erledigen. Als Nächstes wollen sie eine selbstreparierende Gummivariante für die Lauffläche des Reifens entwickeln. Im Blick haben die Forscher aber auch Hersteller von Dichtungen oder Förderbändern.