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Drucksachen Teil 4/5 - Kultur und Gespenster
"Wir machen keine subversive Kommunikation"

In Hamburg erscheint schon seit Längerem das Magazin "Kultur und Gespenster". "Eine sehr treffende Bezeichnung für das Leben in, neben, mit, über und unter der Kulturindustrie", schrieb die "Junge Welt" im letzten Jahr. Ausstellungskritiken finden sich darin genauso wenig wie Rezensionen. "Wir müssen uns um diese Aktualitätsprobleme überhaupt nicht scheren", sagt Mitherausgeberin Nora Sdun.

Nora Sdun im Gespräch mit Natascha Freundel | 24.07.2016
    "Kultur & Gespenster" bietet sowohl jungen als auch vergessenen Positionen einen Raum. Die Zeitschrift erscheint im Textem-Verlag und wird gelobt für den "so weiten wie präzisen Kulturbegriff", so der Journalist und Kunsthändler Florian Illies. Und für die gelungene "Gratwanderung zwischen akademischer Finesse und poetischem Bekenntnis", so die Literaturkritikerin Ina Hartwig.
    Auch das Radio ist schon zum Thema einer Ausgabe geworden, mit Texten zu Spukmedien, zur elektronischen Präsenz von der Telegrafie bis zur Television und zum Verhältnis von Radio und Schizophrenie.
    (Teil 5 am 31.7.16)

    Das komplette Gespräch zum Nachlesen:
    Natascha Freundel: Nora Sdun, "Kultur und Gespenster" - hinter diesem Titel steckt die Losung Locken und Pflegen. So steht es im Editorial ihrer ersten Ausgabe vom Sommer 2006. Kultur bedeutet demnach ursprünglich Pflege und Gespenst kommt vom althochdeutschen Gespanst für Lockung. Wenn Sie jetzt auf zehn Jahre "Kultur und Gespenster" mit nunmehr insgesamt 17 Heften zurückblicken, welche Gespenster haben Sie da besonders gepflegt?
    Nora Sdun: Vielleicht kann man sagen, die Gruppe der Herausgeber bewegt sich natürlich innerhalb von zehn Jahren immer so zwischen Hamburg und Berlin und sonst wo herum, und natürlich bewegt man sich auch in einer Gruppe Menschen, die sich auch im Laufe von zehn Jahren weiterentwickeln. Wir sind uns relativ treu und haben mit ziemlich vielen Autoren immer wieder zu tun, und die haben natürlich ihre Forschungsvorhaben. Wir haben damals begonnen mit Hubert Fichte, und die Wahrscheinlichkeit, dass immer mal wieder Hubert Fichte vorkommt, ist relativ groß. Ich würde den jetzt nicht als ein Gespenst bezeichnen, obwohl man das natürlich tun könnte, weil das in einer Weise auch marginalisiert wird in dem großen Kulturbetrieb, dass man sagen kann, okay, den nehmen wir uns jetzt noch mal vor, weil der zu selten vorkommt, obwohl das eigentlich nicht unsere Aufgabe ist. So begreifen wir uns nicht, dass wir irgendwie die Polizei spielen für Leute, die in Vergessenheit geraten.
    Freundel: Ich habe insgesamt den Eindruck, wenn man jetzt so ein paar Titel sich vor Augen führt – "Hochstapler", "Autofiktion" -, dass Sie vielleicht insgesamt so einem, man mag es Gespenst nennen oder nicht, aber vielleicht einem Gespenst französischer Provenienzen nachjagen, also dem, was noch in den 90er-Jahren en vogue war, als Avantgarde galt in den Geisteswissenschaften, Kulturwissenschaften, und das da Postmoderne, Poststrukturalismus, Postkolonialismus hieß, und das ja in gewisser Hinsicht doch an Sex-Appeal, zumindest in Akademien, verloren hat.
    Sdun: Das mag sein. Ich bin im Grunde genommen die falsche Gesprächspartnerin, weil ich von der Herausgebergruppe, bin ich die einzige, die kein universitären Abschluss gemacht hat. Das heißt, ich bin sozusagen diejenige, die der Prüfstein ist für alle möglichen Texte, die müssen an mir vorbei, und wenn ich das nicht verstehe, muss das zurückgehen. Das ist vielleicht auch der Trick an der Gruppe, in der wir zusammenarbeiten: Wir sind alle relativ verschieden von den Ausbildungsgängen, und natürlich ist es so, dass man einen Milieuschaden kriegt, egal wo man arbeitet, und natürlich ist es für die Leute, die jahrzehntelang in dieser speziellen akademischen Ecke arbeiten, vollkommen plausibel und verständlich, weil sie das eben beruflich tun. Dann ist der Trick, dass es an mir vorbei muss zum Beispiel, derjenige zu überprüfen, ob das eigentlich überhaupt noch jemand versteht, der das nicht studiert hat beispielsweise.
    "Müssen uns um diese Aktualitätsprobleme überhaupt nicht scheren "
    Freundel: Vielleicht sollten wir kurz auflösen, wer denn die Herausgeber sind, wer die vier Gesichter sind, die hinter "Kultur und Gespenster" stehen. Also das sind zum einen Sie, Nora Sdun, die auch als Galeristin arbeitet, und weil es zum Beispiel auch keine Redaktionsräume gibt, treffen wir uns jetzt hier in der Galerie, in der Sie arbeiten, Dorothea Schlueter in der Innenstadt von Hamburg. Der hauptverantwortliche Redakteur ist Gustav Mechlenburg, er hat zusammen mit Jan-Frederik Bandel, einem Germanisten und Übersetzer, "Kultur und Gespenster" begründet, und seit ein paar Jahren ist noch der Grafikdesigner Christoph Steinegger ins Boot gekommen.
    Sdun: Also, Jan-Frederik Bandel und Gustav und ich haben beschlossen, wir machen ein Magazin, und wir wussten nicht, wie das geht. Dann wurde uns über Umwege ein Mensch empfohlen, der uns vielleicht die Grafik machen könnte. Das war Christoph Steinegger. Fortan gibt es dieses Magazin, was ganz fantastisch war, weil natürlich haben sich alle irgendwie darauf geeinigt, ein Projekt zu starten, was aller Wahrscheinlichkeit - das war uns damals schon klar - niemals auf vernünftig ökonomischen Beinen stehen wird können. Das heißt, alle müssen arbeiten wie die Verrückten, um es gut zu machen, und es wird kein Geld fließen. Auch der Grafiker hat gesagt, Kinder, ich mach euch das, ihr müsst mir aber fertig lektorierte Texte geben. Ich fang nicht schon mal mit einem Text an, den ihr dann noch mal korrigieren müsst, und dann müsst ihr euch noch streiten, und dann müsst ihr euch noch mehr streiten, und dann muss alles noch mal umgestellt werden. Er hat gesagt, ich mach das, aber erst, wenn ich alle Texte beisammen habe, fange ich an, und erst, wenn ihr euch zu Ende gezankt habt, fange ich an. Das ist unser Arbeitsmodus. So hat es begonnen. Wir haben allesamt immer mal Erfahrungen gemacht, wie in großen Tageszeitungen oder Wochenzeitungen gearbeitet wird, insofern hatten wir eine leise Idee, wie Journalismus funktioniert, aber tatsächlich haben wir für unser Magazin eine Systematik entwickelt, die wahrscheinlich ein bisschen seltsam ist, eben dass man sagt, okay, es gibt keine Erscheinungstermine, auf die man sich irgendwie verlassen könnte. Das liegt daran, dass man sich so lange zanken muss, bis man fertig ist. Also wir haben angefangen mit dem Magazin eben vor zehn Jahren, und damals sind wir vierteljährlich erschienen. Da waren wir wirklich sehr hinterher, und wir waren auch sehr stolz, dass wir das geschafft haben, aber es wurde dann immer eher so vierteljährlich wie möglich, was zum Beispiel dazu geführt hat, dass wir, vor zwei Jahren haben wir nur ein Magazin im Jahr überhaupt fertiggekriegt. Das liegt natürlich daran, dass man, eben weil man damit kein Geld verdient, muss man lohnarbeiten nebenher, sodass man dann keine Zeit hat et cetera, aber das sind alles Dinge, die uns nicht wirklich stören, weil das Magazin ja nicht in dem Sinne termingenau über irgendetwas berichtet. Es gibt keine Ausstellungskritiken, irgendwelche Rezensionen zu irgendwelchen Bestsellern, die gerade rausgekommen sind und so weiter, sondern wir fahren sozusagen weiter hinten im Feld hin und her und müssen uns um diese Aktualitätsprobleme überhaupt nicht scheren.
    Freundel: Genau, das haben Sie jetzt benannt, dass "Kultur und Gespenster" tatsächlich inhaltlich, aber auch vom Äußeren, von der Erscheinungsform ein ziemliches Unikat ist in der deutschen Zeitschriftenlandschaft. Sie haben es gesagt, die Politik, zumindest Tagespolitik, ist nicht Ihr Geschäft. Es ist auch keine reine Literaturzeitschrift, obwohl bei Ihnen immer wieder Autoren im Mittelpunkt stehen. Manchmal wird "Kultur und Gespenster" auch verglichen mit Texte zur Kunst, aber auch der Vergleich hinkt, weil Sie keine reine Kunstzeitschrift sind. Es kann auch mal um die Hochschulpolitik gehen. Gibt es denn oder gab es bei der Gründung von "Kultur und Gespenster" ausländische Vorbilder, möglicherweise angelsächsische Vorbilder?
    Sdun: Die gab es bestimmt, das ist aber jetzt eher das Thema von Jan-Frederik Bandel, der könnte jetzt eine ganze Batterie aufzählen vermutlich. Ich würde von mir nicht behaupten, dass ich ein großer Magazinleser bin. Ich lese natürlich mein eigenes Magazin oder ich stelle es zusammen, und irgendwann lese ich das auch mal zwischendurch und wundere mich, was wir da gemacht haben, aber das kann ich, glaube ich, von allen sagen, wir bewegen uns nicht in Konkurrenz zu anderen publizistischen Unternehmungen.
    "Man kann auf diese Art und Weise nicht verblöden"
    Freundel: Nora Sdun, was ist denn Ihr Motor, um Jahr für Jahr, manchmal vierteljährlich, manchmal halbjährlich ein so dickes anspruchsvolles, auch wenn nicht streng akademisches Heft zu machen?
    Sdun: Mein persönlicher Motor wäre, glaube ich, am einfachsten dadurch zu erklären, zu sagen, dass man natürlich auf diese Art und Weise nicht verblöden kann, weil das natürlich wahnsinnig interessant ist. Wir arbeiten ja pro Ausgabe immer mit externen Herausgebern zusammen, also wir suchen uns irgendwelche Leute oder es wird an uns herangetragen. Leute machen irgendwo eine Tagung, irgendwelche Universitätsmenschen kommen auf uns zu, ich habe eine Tagung gemacht, habt ihr Lust, daraus ein Dossier zu machen. Dann wühlt man sich durch die Tagung durch und stellt fest, das ist ja ganz interessant. Dann macht man ein Dossier daraus, und zwar ist es dann so, dass man Texte von dieser wissenschaftlichen Tagung nimmt und dann dazu hinzukuratiert, im Grunde wie eine Gruppenausstellung, um ein Magazin zu machen, was sich natürlich unterscheidet von der eigentlichen Tagung, weil es ist eben nicht Wissenschaft, und es geht auch nicht darum, diese Tagung abzubilden, sondern es geht einfach nur darum, dass ein Thema möglicherweise interessant ist.
    "Diesen ganzen Internetkram, das muss man ja ständig updaten"
    Freundel: Bei dieser Vielfalt der Themen und auch der Art der Ausspielung, also die Textlastigkeit, diese ja langen, sehr klein gedruckten Texte, dann wieder die Bilderstrecken, die eben sehr, sehr selten illustrierend sind, kann man sich auch fragen, warum passiert das alles nicht im Internet. Das Interessante bei "Kultur und Gespenster" ist ja, dass Sie gewissermaßen aus einer Internetseite hervorgegangen sind. Das heißt, es ist bei Ihnen nicht so wie bei den traditionellen intellektuellen Zeitschriften, dass die erst auf dem Papier da waren und jetzt nach ihrer digitalen Präsenz noch suchen, ihren Platz im digitalen Spielfeld suchen. Sie hatten den zuerst, nämlich textthemen.de und haben sich dann entschieden für das schwere gedruckte Heft. Warum eigentlich?
    Sdun: Ist schöner, fasst sich schöner an, sieht schöner aus. Die Webdesigner werden mich schlagen, aber natürlich gibt es hervorragend gestaltete Websites. Das ist nicht der Punkt, aber natürlich ist so was wie ein Lesegerät, wie die alle heißen - Kindle et cetera -, das ist natürlich das Ende der Typografie als Kunstform. Also ich kann einfach nur sagen, es ist schöner, man kann es überall hin mitnehmen, man braucht dafür keinen Strom et cetera. Das sind sozusagen die billigsten Argumente, die für Bücher sprechen. Außerdem ist es wahnsinnig haltbar. Man muss sich mal vorstellen, dass man natürlich diesen ganzen Internetkram, das muss man ja ständig updaten. Also wenn man nicht aufpasst, sind da die Digitalmotten drin und man kann es leider nicht mehr öffnen. Also das ist natürlich als Form, würde ich sagen, unschlagbar.
    Freundel: Und es gibt eben auch noch den Verlag, Textem Verlag, in dem "Kultur und Gespenster" erscheinen, in dem aber auch Kunstkataloge erscheinen, aber auch literarische Titel. Wie hängt denn die Verlagsarbeit, die Buchproduktion mit der Textfindung für "Kultur und Gespenster" zusammen? Ist das gewissermaßen ein großer Ideentopf, in dem Sie zu viert rühren und dann hier und da was rausziehen und dann entscheiden, das ist eher etwas für die Zeitschrift, und das ist eher was für ein eigenes Buch?
    Sdun: In etwa ja. Wir haben seit, glaube ich, jetzt mittlerweile sechs Jahren eine kleine Reihe gestartet, die hat unmittelbar etwas mit dem Magazin "Kultur und Gespenster" zu tun. Diese Reihe heißt "Kleiner Stimmungsatlas" in Einzelbänden, das sind jeweils Essays von einer Autorin, einem Autor zu einem Thema. Wir haben begonnen mit A wie Albernheit oder A wie Angst. Diese Buchreihe ist uns sozusagen passiert, weil wir feststellten, dass die Texte, die in "Kultur und Gespenster" laufen, zu so enormer Länge auflaufen, also 40 Seiten Magazin, ein Text, dass wir festgestellt haben, Moment mal, jetzt braucht man eigentlich nur noch ein gutes Literaturverzeichnis, und fertig ist das kleine Buch. Also da hängt es ganz unmittelbar zusammen, dass wir sagen, okay, dieser Text ist wirklich spitzenmäßig, aber der ist so lang, da machen wir jetzt lieber ein eigenes kleines Buch draus. Oder man koppelt was aus und benutzt einen Teil für das Magazin und schiebt den ganzen Text dann noch mal hinterher et cetera. Aber zum Beispiel in der Ausgabe über die Dinge ist jetzt ein Text drin von Friedrich Heubach, ein alter Text, den er vor Jahren mal im Fink Verlag, glaube ich, veröffentlicht hat. Das ist auch vielleicht ein Spezifikum des Magazins, dass wir immer mal Texte, die es bereits längst in die Veröffentlichung gefunden haben andernorts oder eben vor Jahren, dass wir das wieder ausbuddeln und noch mal veröffentlichen, was tatsächlich eine sehr schöne Form ist, weil ich bin ganz fest davon überzeugt, dass die neusten Texte nicht notwendig immer die besten sind. Auf jeden Fall der Heubach ist jetzt im Magazin drin über die Dinge, und wir machen außerdem gerade mit ihm zusammen einen kleinen Stimmungsatlas zu einem ganz anderen Thema. Das sind natürlich dann Dinge, man lernt einen Autor näher kennen, weil man irgendwas von ihm haben will, und dann kriegt man das auch und dann kriegt man noch ganz viele andere Sachen. Dann hat man den Salat.
    Freundel: Eigentlich ist es ja auch bei der Zeitschrift "Kultur und Gespenster" heruntergespielt, wenn man die Hefte nennt, weil die Ausgaben sind zwischen 250 und 400 Seiten dick, also durchaus auch eigene Bücher.
    Sdun: Diese Dicke ist natürlich auch ein guter Grund dafür zu sagen, wir machen es unbedingt als Buch und nicht im Netz, weil man kann nicht 400 Seiten im Netz lesen. Da wird man wahnsinnig.
    Freundel: Nun habe ich mich auch gefragt, wieso "Kultur und Gespenster" auch zum einen aus finanziellen Gründen, aber auch aus den Gründen des kulturellen Raumes, in dem man sich bewegt, nun in diesem sehr kommerziell ausgerichteten, gewissermaßen geistfernen Hamburg entsteht und nicht in dem kulturell so viel reicheren Berlin.
    Sdun: Das ist natürlich vollkommen richtig mit dem geistfernen Hamburg. Auf der anderen Seite ist das natürlich ein prima Ort, um ungestört zu arbeiten, weil hier ist wirklich nichts los. Das heißt, man muss nicht ständig zu irgendwelchen wahnsinnig tollen Veranstaltungen gehen, weil es gibt keine. Das heißt, man kann ungestört arbeiten und sehr dicke Magazine machen.
    "Man sollte mehr Quatsch machen"
    Freundel: Nun ist "Kultur und Gespenster", könnte man sagen, alles mögliche, und trotzdem geht es in vielen Texten wie nebenbei um die Möglichkeit von Protestkultur. Also wenn sich zum Beispiel Alexander Kluge im Interview als Ikonoklast bezeichnet oder wenn Sie ein Interview mit Thomas Bernhard ausgraben, der da sagt, Leute, die ein Gespräch führen wollen, sind mir sowieso schon verdächtig. Agitieren Sie vielleicht für die Kunst des Zweifelns?
    Sdun: Ich würde nicht sagen, dass wir dafür agitieren. Ich würde auch nicht behaupten, dass wir uns dezidiert mit Protestkultur oder irgendwie so was auseinandersetzen als Thema. Im Grunde genommen, also wenn man es schönfärberisch darstellen wollte, könnte man sagen, das ganze Magazin als Projekt ist natürlich ein einziger Protest. Das ist von vorne bis hinten Unsinn, und indem wir darauf beharren, demonstrieren wir damit, dass man so was unbedingt tun sollte. Also man sollte mehr Quatsch machen, man sollte mehr Dinge tun, die nirgendwohin zielführend sind, die nicht ergebnisorientiert sind, die nicht ökonomisch sinnvoll sind, die das alles nicht sind. Wir demonstrieren uns das sozusagen selber, und auf dem Wege kommen wir natürlich dauernd zu solchen Themen.
    "Wir machen keine subversive Kommunikation"
    Freundel: Aber die Themen, die Sie behandeln, sind ja nicht nur Quatsch. Sie sind ja jetzt keine … auch wenn bei Ihnen Comics vorkommen, das wäre vielleicht aus meiner Perspektive, die ich Comics nicht sehr gut kenne, vielleicht die quatschigste Note des Magazins, aber ansonsten bewegen Sie sich ja doch in einem sehr ernsten Gefilde, sowohl, was die akademischen Texte, literaturwissenschaftlichen Texte betrifft als auch die Kunst. Zum Beispiel, wenn wir das Medium Radio ansprechen, das Sie zu einem Schwerpunkt gemacht haben, da habe ich zum Beispiel gelernt, welche unheimliche Macht das frühe Radio darstellte und welche Ohnmacht, das bei den ersten Radiohörern auslöste, und im selben Heft erfährt man etwas über das autonome "Radio Alice", das 1976 in Bologna damals subversive Kommunikation betrieb. "Radio Alice" wollte die Ordnung von Sender und Empfänger hinterfragen und war, so heißt es da, eine Stimme, die niemandes Sprachrohr sein wollte. Das erinnert mich dann doch wieder an die Zeitschrift "Kultur und Gespenster", in der ich das lese, und dann frage ich mich gleichzeitig, möchte "Kultur und Gespenster" auch subversive Kommunikation betreiben?
    Sdun: Also, wir machen keine subversive Kommunikation, und ich glaube auch nicht, dass das geht mit einem Magazin. Man kann da diverse Dinge drin abdrucken und man kann das auch bis zur Verwirrung sich widersprechen. Also die Ausgaben sind derartig verschieden, dass man uns das auch vorwerfen kann, ob wir eigentlich noch ganz bei Trost sind, diese Dinge hintereinander weg zu publizieren, aber immer zu behaupten, es sei das gleiche Magazin. Das gehört aber schon mit dazu, aber da ist das auch schon zu Ende mit der Subversion, und das ist vor allen Dingen nicht unsere Absicht gewesen. Nicht, dass das nicht schmeichelhaft wäre, sich das von Ihnen sagen zu lassen, aber so haben wir nicht begonnen.
    Freundel: Begonnen haben Sie mit der Selbstbeschreibung, dass Sie furchteinflößend intelligent sein wollen und wichtigtuerisch, also so beschrieben Sie die Zeitschrift in der Annonce zur ersten Release Party damals in Berlin, und tatsächlich wirkt auf den ersten und auf den zweiten Blick die Zeitschrift doch so, als wäre sie für einen Inner Circle von Kulturwissenschaftlern und Kunstkennern gemacht. Vielleicht ist "Kultur und Gespenster", wenn man sich die zum Teil auch sehr kryptischen Bilderstrecken anschaut, vielleicht ist die Zeitschrift doch vor allem L’art pour l’art?
    Sdun: Das mag sein. Das mit den kryptischen Bilderstrecken ist im Grunde genommen so ganz ähnlich wie mit den kryptischen Texten. Unsere Idee ist also bei jeder Form von Illustration oder eben Strecke, die als Bildstrecke im Heft läuft, aber eben auch als Textstrecke, dass die alleine stehen können muss. Das heißt, genauso wie ein Text nach Möglichkeit irgendwie sauber argumentieren sollte, kann auch die Bildstrecke für sich argumentieren, und wenn man das, weil man vielleicht - weiß der Henker - eben nicht Kunst studiert hat, sondern irgendwas anderes, das mag ja durchaus vorkommen, dann muss man sich da ein bisschen eingucken und denkt wirklich, es ist kryptisch. Den Vorwurf kann man auch wunderbar ertragen, weil das ist auch tatsächlich so. Das verhält sich genauso wie mit den Texten. Man muss sich so ein bisschen reinfummeln in diese Geschichte. Ob das L’art pour l’art ist, da bleibe ich lieber beim Quatsch.
    "Dieser Kunstbetrieb ist so verschnattert, dass diese ganze Blödheit auch ständig ans Licht kommt"
    Freundel: Sehr selten findet man in den Ausgaben von "Kultur und Gespenster" auch polemische Texte, unter anderem habe ich von Ihnen, Nora Sdun, einen Text gelesen, der den Kunstalltag als Galeristin in Hamburg sehr scharf aufspießt, und wenn ich so etwas von Ihnen als Herausgeberin von "Kultur und Gespenster" lese, frage ich mich, wieso Sie, wenn Sie die Hysterie und Selbstverliebtheit des Kunstmarkts so gut kennen und durchschauen, gleichzeitig noch an die Kunst als Schule des Sehens, auch als Medium der Kulturkritik glauben. Sonst würde nicht so viel Kunst in dieser Zeitschrift vorkommen.
    Sdun: Man kann vielleicht zu dieser speziellen Branche aktuelle bildende Kunst sagen, dass sie natürlich wirklich vollkommen lächerlich ist und wirklich auf eine ganz ärgerliche Art und Weise auch dumm. Dumm im Sinne von merkwürdig gierig und so weiter. Also es gibt sehr viele gute Gründe dafür, diese Branche zu hassen. Auf der anderen Seite gibt es wohl keine andere Branche, die so durchsichtig ist. Das macht daran Spaß. Ich würde sagen unter Medizinern und so weiter gibt es sicher mindestens ebenso viele Intrigen, die gesponnen werden, aber die sind nicht so öffentlich. Wenn man sich in dem Kunstfeld herumbewegt, hat man folgende privilegierte Situation: Man kann auf irgendwelchen bescheuerten Dachterrassen Champagner trinken, man kann aber auch in irgendwelchen verschimmelten Kellern Atelierbesichtigungen machen, man kann mit den Künstlern rumhängen, man kann mit den Kunden rumhängen, man kann mit den Museumsleuten sich unterhalten, man kann sozusagen Paternoster fahren in der Gesellschaft. Diesen merkwürdigen Dreh durch alle Etagen der Gesellschaft kriegt man nur über die bildende Kunst hin. Das kriegt man tatsächlich auch nicht als Geisteswissenschaftler hin, weil da arbeitet man sehr, sehr viel alleine in Bibliotheken und muss den Schnabel halten und nachdenken, und dieser Kunstbetrieb ist so verschnattert, dass diese ganze Blödheit auch ständig ans Licht kommt.
    Freundel: Das heißt, finden Sie auch im Kunstbetrieb mehr Interessenten für den Quatsch, den Sie eben machen wollen mit "Kultur und Gespenster", als im akademischen Raum?
    Sdun: Ich würde sagen, das ist ganz gerecht verteilt, weil natürlich sind auch die Akademiker heilfroh, wenn sie eine Zeitschrift in die Finger bekommen, die nicht peer-reviewed ist, die sich nicht an die Spielregeln des Wissenschaftsbetriebs hält et cetera. Das ist natürlich unglaublich entlastend zwischendurch, obwohl als junger Wissenschaftler braucht man diese peer-reviewten Magazine, das ist ganz wichtig für die eigene Karriere. Da kann man mit "Kultur und Gespenster" nicht um die Ecke kommen. Das nützt einem gar nichts, wenn man da drin veröffentlicht hat, obwohl das natürlich Ruhm und Ehre schon bringt, aber irgendwie voranbringt das einen nicht. Da bin ich wieder bei diesem Quatschmachen. Genauso natürlich bei den Leuten, die sich im Kunstbetrieb herumbewegen, seien es jetzt die Galeristen oder die Künstler oder die Museumsleute, auch die freuen sich natürlich total, wenn man zwischendurch zum Beispiel solche Texte mal serviert bekommt, wo jemand sich in einer Art und Weise über sich selber lustig macht, wie ich das da tue in dem Text über die Galeriearbeit, weil natürlich geht das ganz vielen so. Das geht ja nicht nur mir so. Das ist ja im Grunde genommen ein kleines Sittengemälde, kleines Miniaturgemälde, was ich da gezeichnet habe. Diese merkwürdigen Verrenkungen, die man macht, um irgendein Bild zu verkaufen, zum Beispiel. Das kann einem jeder Galerist sagen, das sagt man nur nicht öffentlich.
    Freundel: Nun ist die neuste Ausgabe von "Kultur und Gespenster" die Nummer 17 jetzt im Juni gerade erschienen, "Ding Ding Ding" betitelt, und leuchtet einem entgegen. Sonst hat man ja sich eher an so ein klassisch schwarz-weißes Design von "Kultur und Gespenster" gewöhnt, und plötzlich schillert es in allen Farben. Man kann darin etwas lesen über die Dingpoetik Eduard Mörikes, es geht um die Dinge im Märchen, es geht auch um Tierpräparate im Berliner Naturkundemuseum. Warum sollte man tiefsinnig werden über das Ding an sich in "Kultur und Gespenster", Nora Sdun?
    Sdun: Ich weiß nicht, ob man tiefsinnig werden sollte. Auf jeden Fall sollte man sich vielleicht amüsieren können oder man sollte sich dabei ertappen können, dass man mit dem Toaströster spricht, dass man mit seinem Auto redet, dass man ein merkwürdiges Verhältnis zu allen möglichen Dingen unterhält. Über dieses Verhältnis macht man sich keine Klarheit, und man könnte, wenn man dieses Magazin gelesen hat oder Teile daraus - es ist schon wieder viel zu dick geworden, es sind über 300 Seiten -, wenn man also ein bisschen darin herumgelesen hat, kann man sich möglicherweise ganz gut amüsieren und lauter solche Dinge eben an sich selber auch feststellen, also ein merkwürdig magisches Verhältnis zu unbelebten Gegenständen aller Art.
    "Der Kulturbetrieb ist voller Absurditäten, Angebereien und merkwürdiger Karrieren"
    Freundel: In einem der Hefte zitieren Sie auch den Dadaisten Walter Serner, der da geschrieben hat: "Da es weder Schein noch Sicherheit gibt, bleibt das einzig probate Mittel, um nicht unsicher zu werden: gar nicht erst sicher sein zu wollen" und dazu bezeichnen Sie, Nora Sdun, das Weiterwursteln als typische Situation in der bildenden Kunst, die sich neben den soziologisch etablierten Win-win-Situationen Win-lose- oder Lose-lose-Situationen etabliert hat. In welche Richtung wollen Sie denn weiterwursteln mit "Kultur und Gespenster"? Wissen Sie das schon?
    Sdun: Wir planen folgende Ausgaben in Zukunft: Es wird kommen eine Ausgabe - und ich weiß noch nicht, wie der Titel im Ende lauten wird, das wissen wir nie -, aber die wird sich irgendwie um Krankheit und Gesundheit drehen, was natürlich absurd ist, weil das Magazin heißt "Kultur und Gespenster", so wäre es natürlich toll, ich sehe das jetzt schon vor mir, "Kultur und Gespenster": Krankheit und Gesundheit, also da fängt es schon an mit dem Blödsinn. Also so arbeiten wir halt. Das ist absolut nicht seriös. Diese Ausgabe wird kommen, die braut sich bereits zusammen. Dann arbeiten wir mit einer wiederum anderen Gruppe von Externen zusammen, die entwickeln gerade ein Dossier für uns zum Thema Computerspiele, was für mich wahnsinnig interessant sein wird, weil ich habe überhaupt keine Ahnung davon. Das ist übrigens auch ein vielleicht ganz entscheidend wichtiger Punkt für mich: Ich komme natürlich im Laufe der Zeit und der Arbeit an den verschiedenen Ausgaben an Themen heran, dafür wäre ich viel zu faul, mir das selber zu erarbeiten, aber weil das als Magazin hergestellt werden muss, weiß ich dann plötzlich ganz viel über Hubert Fichte. Ich vergesse es leider auch wieder, aber ich weiß dann zum Beispiel ganz viel über Drogen, ich weiß ganz viel über Hochstapler. Habe ich leider auch alles wieder vergessen. Ich wusste wahnsinnig viel über Autofiktion. Also ich werde ganz viel wissen über Computerspiele. Ich kann es ja auch nachlesen, ich weiß ja, dass es da irgendwo ist im Regal. Ich glaube, auch eine sehr schöne Ausgabe könnte werden zum Thema Depot, wo wir einmal über die wunderliche Situation sprechen wollen, dass in den Museen … In allen möglichen Museen sind ja die Lagerräume zehnmal größer als die Ausstellungsflächen, was auch vollkommen korrekt ist, weil das ist ja im Grunde genommen eigentlich eine Forschungsinstitution und keine Halli‑Galli‑Plattform für Abendveranstaltungen und ondulierte Haare, aber natürlich ist das ganze problematisch, wenn in den Lagern der Museen die Sachen langsam zu Staub zerfallen, und man weiß überhaupt nicht mehr, was man da hat, weil der alltägliche Betrieb eines Museums zum Beispiel vollkommen drauf erpicht ist, immer die gleichen Stars zu zeigen, und die Mauerblümchen von vor 50 Jahren kennt kein Mensch mehr. Das ist ein interessantes Thema. Zu dem Thema Depot gehört zum Beispiel auch diese merkwürdigen Zollfreilager, wo man A teuren Wein lagern kann, aber auch natürlich irgendwelche Kunstwerke, die in der Nähe der Flughäfen überall - auch in Hamburg gibt es ein großes Zollfreilager - dem Markt und dem Fiskus entzogen sind und natürlich ein ganz merkwürdiger Ort sind, weil da kommt man nicht ran. Die sind tatsächlich merkwürdig weg, aber natürlich wird damit wahnsinnig herumspekuliert. Also das wird bestimmt doch eine tolle Ausgabe. Was planen wir noch - richtig, eine ganz besonders lustige Ausgabe, aber das liegt noch weit in der Ferne, wird eine Ausgabe sein zu Angeberei im Kulturbetrieb und im Wissenschaftsbetrieb. Das ist natürlich toll und nicht ganz unproblematisch, weil wenn man Wissenschaftler dazu auffordert, sie sollen ihr eigenes Nest beschmutzen, da muss man entweder überlegen, ob man dann mit Pseudonymen arbeitet oder wie man das gut einfädelt, ohne dass die Leute sich selbst beschädigen, weil das muss man natürlich mögen und wollen und auch wissen, dass man sich damit wirklich beschädigen kann. Also mal schauen, wie das wird, aber natürlich ist dieser Kulturbetrieb - ich hatte es eben schon erwähnt -, weil er so durchsichtig ist, voller Absurditäten und Angebereien und merkwürdiger Karrieren. Das ist natürlich ein Fest, das wird bestimmt auch eine sehr schöne Ausgabe.
    Freundel: Vielen Dank, Nora Sdun, und viel Spaß beim Weiterwursteln!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.